Die Neunte Kunst aus Flandern zeichnet ihr spielerischer Umgang mit den schönen Künsten aus. Die Bandbreite reicht vom satirischen Zeitungsstrip über den ambitionierten Künstlercomic bis hin zu Graphic Poems. Und dann sind da noch die Klassiker.
Wenn der Comic in Europa eine Heimat hat, dann in Belgien. Zeichner wie Hergé, Morris oder André Franquin gelten als Mitbegründer der europäischen Sprechblasenliteratur, mit ihren Geschichten von Tim und Struppi, Lucky Luke und Gaston haben sie Comicgeschichte geschrie…, pardon, gezeichnet (über die einzelnen Comictraditionen in Flandern und den Niederlanden wird in der aktuellen Comixene berichtet). Der von ihnen eingeführte und weiterentwickelte franko-belgische Stil ist der berühmteste Comicstil der Welt. So berühmt, dass Hergés erster Tim und Struppi-Band Tim im Lande der Sowjets in Frankreich und Belgien gerade in einer farbigen Neuausgabe von Casterman angekündigt wird.
Doch der Name führt ein wenig in die Irre, denn seinen Ursprung hat dieser Stil weder in Frankreich noch im französischsprachigen Teil Belgiens, sondern in der nordbelgischen Region Flandern. Diese ist gemeinsam mit den Niederlanden Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Unter den mehr als einhundert Buchtiteln aus der gemeinsamen Sprachregion, die zu diesem Anlass in deutscher Übersetzung erscheinen, sind auch ein gutes Dutzend Comics. Und das ist gut so, möchte man rufen, denn der Comic hat sich in der Region enorm weiterentwickelt. Insbesondere im belgischen Flandern hat sich eine künstlerische Vielfalt herausgebildet, die geprägt ist von opulenten Bildlandschaften, die deutlich machen, warum das Genre auch als Neunte Kunst bezeichnet wird.
Die Kunstorientierung ist ein Markenzeichen des flämischen Comics, so man denn von einem solchen sprechen will. Als sich die nordbelgische Comicszene 2009 bei Europas größtem Comicfestival in Angoulême der Welt präsentierte, stand der Auftritt unter dem Motto »Ceci n’est pas la BD flamande«. Die Anlehnung an Magrittes berühmtes Gemälde, das eine Pfeife zeigt, aber eben keine Pfeife ist, war keineswegs ein Zufall. Zwar gibt es den flämischen Comic nicht, wenn man ihn aber irgendwie greifen kann, dann in seinem spielerischen Umgang mit den schönen Künsten.
Da ist zum einen die große Tradition der niederländischen Malerei – Hieronymus Bosch, Jan van Eyck und die Brueghel-Familie stehen hier Pate. Zum anderen ist da das Erbe der »Ligne Claire«. Beides greifen die Kunsthochschulen in Brüssel, Antwerpen und Gent auf. Sie sind die Kaderschmieden des Comic-, Grafik- und Designernachwuchses. Bei all dem verwundert es nicht, dass die Neunte Kunst in Flandern als Teil der Literatur gilt. Comickünstler profitieren von der allgemeinen Literaturförderung, Sonderförderungen und das Hoffen auf Preise zur Finanzierung des nächsten Albums, wie es hierzulande nicht unüblich ist, braucht es nicht. Das führt dazu, dass Zeichner in Ruhe ihren eigenen Stil entwickeln oder Projekte angehen, die nicht den typischen Verkaufskriterien entsprechen.
Wie etwa die Kombination von Lyrik und Comic, die sich aktuell im niederländischsprachigen Raum entwickelt. Der junge Künstler Wide Vercnocke gilt als Vorreiter des »Gedichtverstripping«, in seinem Album Meine Muse liegt im Sessel (Bries Verlag), der bislang nur auf flämisch vorliegt, illustriert er auf 80 Seiten eigene Gedichte. Die Literaturzeitschrift die horen hat diesen Trend aufgegriffen und zahlreiche »Graphic Poems« in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht. Renommierte Zeichner wie Erik Kriek und Marcel Ruijters illustrieren dort neben Nachwuchstalenten wie Aimée de Jongh und Jan Cleijne gefeierte Lyrikerinnen und Lyriker wie Anneke Brassinga, Ilja Leonard Pfeiffer oder Stefan Hertmans. Einige Illustratoren bleiben mit ihren Zeichnungen recht nah an der poetischen Vorlage, andere spielen mit ihr oder Verweisen auf kunsthistorische Vorläufer, so dass den poetologischen Sprachbildern neue illustrative hinzugefügt werden.
Dass das Konzept des »Gedichtverstripping« hierzulande Fuß fast, beweist das jüngste Buch der deutschen Lyrikerin Lydia Daher. Für Kleine Satelliten (MaroVerlag) hat sie ihre Verse zum amerikanischen Comiczeichner Warren Craghead III geschickt, der flirrende Bleistiftzeichnungen zu Dahers Gedichten angefertigt hat.
So avantgardistisch wie das Konzept des »Gedichtverstripping« ist die grafische Herangehensweise der flämischen Comicmacher. Sie legten anlässlich des Gastlandauftritts auf der Frankfurter Buchmesse einen großen Auftritt hin. Sie schwelgen in der Tradition der schönen Künste – erinnern stilistisch an Henri Rousseaus exotistische Urwälder, an Fernand Légers kubistische Figuren, an Piet Mondrians Kompositionen, Dalis schmelzende Uhren und Kirchners expressionistisches Farbrauschen. Ben Gijsemans schickt seinen stillen und einsamen Protagonisten Hubert auf der Suche nach der perfekten Frau gleich durch die Museen. Seine Geschichte ist die der Emanzipation von der Kunst zugunsten des Lebens – eine Geschichte, von der auch einige der flämischen Comics erzählen, die wie in unserem Schwerpunkt eine Woche lang vorstellen.
[…] Spezial: Comics aus Flandern – Wide Verknocke »Meine Muse liegt im Sessel«, die horen 263 […]
[…] Spezial: Comics aus Flandern – Wide Verknocke »Meine Muse liegt im Sessel«, die horen 263 […]
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[…] Als ich das erste Mal ihre Bleiglasfenster gesehen habe, musste ich umgehend an Chris Ware und seine akkurat gezeichneten Arbeiten denken. Ware hat in den USA auch eine Sammlung ihrer Arbeiten herausgegeben. Zugleich lässt die Vielfalt ihrer Arbeiten, die ständige Suche nach neuen künstlerischen Ufern an junge Künstler wie Brecht Evens oder Brecht Vandenbroucke denken. Fühlen Sie sich manchmal wie ein Gründungsvater einer neuen, vor allem flämischen Comicschule? […]
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