Comic

Der Panter aus der Schublade

Brecht Evens dritter deutschsprachiger Comic »Panter« ist ein kunstvolles Märchen, in dem ein einsames kleines Mädchen Besuch von hinterlistigen Kuscheltieren bekommt.

Der Comiczeichner der Stunde aus Flandern ist der erst 30-jährige Brecht Evens, der mit Freund und Zeichnerkollege Brecht Vandenbroucke in Gent bei dem deutschen Comickünstler ATAK studiert hat. Er präsentiert das grafisch eindrucksvollste und erzählerisch überzeugendste Werk dieser Tage aus Flandern, ein Kindermärchen mit alptraumhaften Zügen, an dessen Ende ein kleines Mädchen älter und erfahrener geworden ist.

Panter ist das dritte Album von Evens, das in deutscher Übersetzung vorliegt. Er spielt darin auf zauberhafte Weise mit allem, was das Medium Comic zur Verfügung stellt. Im Mittelpunkt seines expressionistisch-dadaistischen Märchens steht die zehnjährige Christin, deren Katze auf den ersten Seiten stirbt. Dem unglücklichen Kind erscheint danach ein wunderliches Wesen, das sich als Octavianus Abracadolfus Pantherisu, Kronprinz von Panterland vorstellt. Der Panterprinz erschleicht sich das Vertrauen des Mädchens, indem er sich wie ein Chamäleon an dessen Launen anpasst. Dabei entführt er sie unbemerkt in ein Labyrinth aus Wünschen, Träumen und Fantasmagorien, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Brecht Evens_Panter
Brecht Evens: Panter. Aus dem flämischen Niederländisch von Andrea Kluitmann. Handlettering von Olav Korth. Reprodukt Verlag 2016. 120 Seiten. 39,00 Euro. Hier bestellen

Es ist eine perfide Strategie, die dieser mal verspielt rosarote, dann quietschbunte und plötzlich grün vor Neid polternde Panter an den Tag legt, um das Mädchen nur für sich zu gewinnen. Ihre Seelentröster aus vorangegangenen Zeiten bringt er mithilfe seiner unheimlichen Freunde aus Panterland um die Ecke. Als der grausame Pudel Bonzo, das gerupfte Huhn, der kettenrauchende Affe, Herr Eimer und die Giraffe aus Christins Kommode steigen und mehr und mehr in ihre Welt eindringen, legt sich über deren knallbunte Träume ein dunkler Schatten.

Wie schon in seinen Alben Am falschen Ort und Die Amateure taucht Evens in diesem Werk tief ein in die tiefenpsychologische Ergründung des Menschen. Frei bedient er sich in der expressionistischen Farb- und Formlehre, um möglichst nah an die Seelenzustände seiner Figuren heranzukommen. Er springt wild durch die Stile und hat keine Scheu vor radikalen grafischen Experimenten. Mit dunklen Schatten und schwarzen Schraffuren legt er über die lustig-bunte Kinderzimmerwelt immer wieder eine alptraumhaft-dämonische Bedrohung. Die Angst ist hier ein schwarzer Schatten, der sich langsam an die Kinderseele herankriecht.

Grandios gelungen ist Evens der wandlungsfähige Panter, dem der Manipulationsdrang akkurat ins Gesicht und auf den Pelz gezeichnet ist. Im Grund ändert er seinen Minenspiel mit jedem Satz, der ihm über die Lippen kommt, sein mit Chamäleon-Eigenschaften versehener Pelz wechselt parallel dazu sprunghaft sein Muster. Die Dialoge sind, passend zur Erzählung, nur auf der Oberfläche kindlich naiv. In der Tiefe sind sie anspielungsreich und vieldeutig.

Evens ist einmal mehr ein grafisches Kunstwerk sondergleichen gelungen. Wenngleich stilistisch vollkommen anders atmet dieser Comic den magischem Realismus des großen US-amerikanischen Illustrators Maurice Sendak. Panter ist ein rauschendes Fest der Farben und der Formen, dessen Zauber man sich auf keiner Seite entziehen kann.

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Der Panter aus der Schublade – Brecht Evens »Panter«
Im dunklen Wald der Trauer – Nicolas Wouters & Mikael Ross »totem« (1.11.2016)
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Preußischer Weltuntergangsblues – Simon Spruyt »Junker« (4.11.2016)
Die etwas anderen Superhelden – Heirseele & Kamagurka »Cowboy Henk«, Nix »Kinky & Cosy« (5.11.2016)
Überzeugend ohne Worte – Pieter de Poortere »Wickie«, Brecht Vandenbroucke »White Cube« (6.11.2016)