Seit zehn Jahren ist die Fotojournalistin Kate Brooks in der arabischen Welt unterwegs und dokumentiert den Alltag mit ihrer Kamera. In ihrem fotografischen Reisetagebuch »Im Licht der Dunkelheit« wirft sie ein Licht auf die Welt, die von den Folgen der Anschläge am 11. September 2001 am meisten betroffen ist.
Anlässlich des zehnten Jahrestags der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon erscheint eine Vielzahl an Büchern, die auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken. Zehn Jahre, die in der westlichen Welt wesentlich von der internationalen Bekämpfung des Al-Quaida-Netzwerkes und den Versuchen der Demokratisierung der arabischen Welt geprägt sind. Zehn Jahre, in denen die westliche Welt einen recht einseitigen Blick auf die arabische Welt und insbesondere auf die zwei Konfliktherde Afghanistan und Irak erhielt. Zehn Jahre, in denen in Deutschland und Europa die Debatte um die Integration von Muslimen in unsere westlichen Gesellschaften kontrovers geführt wurde. Auf all das lassen zahlreiche Buchtitel mit verschiedenen Schwerpunkten zurückblicken.
Einmalig ist hingegen das fotografische Tagebuch Im Licht der Dunkelheit von Kate Brooks. Die 33jährige Fotografin reiste kurz vor nach den Anschlägen am 11. September 2001 nach Pakistan. Seitdem ist sie in der arabischen Welt mit der Kamera unterwegs und dokumentiert mit ihren Bildern für die renommiertesten Zeitungen und Magazine den Alltag zwischen Afghanistan und Nordafrika. Ihre Fotografien wurden unter anderem im Time-Magazine, der Newsweek, dem New Yorker, im Wall Street Journal oder der New York Times veröffentlicht.
Ihr kommentiertes Fototagebuch rückt die arabische Welt in den Fokus der Ereignisse der vergangenen zehn Jahre. Bewusst sind der westlichen Welt in dieser Zeit fast ausschließlich die Kriegshandlungen und aufsehenerregenden Anschläge sowie deren traurige Folgen, die es in die Nachrichtensendung geschafft haben. Kate Brooks kann dies nicht aussparen, zu oft hat sie die Folgen der Kriege und Kämpfe erlebt. Mit ihren Aufnahmen bezieht sie dabei nie Partei, verurteilt nicht die Protagonisten auf ihren Fotografien, sondern sie macht sie sichtbar, konfrontiert die Betrachter ihrer Fotografien mit der Wirklichkeit der Menschen, denen Sie begegnet ist.
Ihre Bilder sind dabei mehr als Momentaufnahmen. Es sind Fotografien, die von Biografie und Schicksal derjenigen erzählen, die sie ins Zentrum rücken und die zugleich auch von der jüngeren Vergangenheit einer Kulturregion berichten. Dabei erinnert Kate Brooks teilweise an Dinge, die aus dem westlichen Fokus gerückt sind: Etwa die Zerstörung der Mohnfelder in der afghanischen Provinz Nangahar. Der Kampf gegen afghanisches Opium hat schon immer einen erheblichen Einfluss auf die lokale Situation der Afghanen, in der westlichen Welt spielt er aber kaum mehr eine Rolle. Dabei wird auch deutlich, dass sich Kate Brooks für ihre Arbeit immer wieder einem kaum zu kalkulierenden Risiko ausgesetzt hat. »Wiederholte Male waren Dutzende Mohnkapseln auf mich niedergeprasselt, die man mit Kalaschnikow-Kolben oder Panzerfäusten von ihren Stängeln geschlagen hatte, wobei ich jedes Mal befürchten musste, dass sich aus ihnen versehentlich ein Schuss löste.«
Das zentrale Thema in Brooks Tagebuch ist dennoch die Dokumentation der seit zehn Jahren anhaltenden Kämpfe in der arabischen Welt, die den Alltag der Menschen prägten. Afghanistan und Irak sind nur die Zentren, auch in Pakistan, im Iran, in Ägypten und im Libanon wurden intensive Auseinandersetzungen in den vergangenen zehn Jahren geführt. Dies bildet der Bildband auch ab. Ob es die Kämpfe der US-Truppen gegen die Taliban sind, die Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Clans in Afghanistan und Pakistan, die Scharmützel in der nordirakischen Provinz Kurdistan, den 33-Tage-Krieg zwischen Israel und Libanon oder die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten zu Beginn dieses Jahres. Brooks war dort, wo es brenzlig wurde. Auch wenn dabei spektakuläre Fotografien entstanden, teilt sie die Meinung, dass Kriegsfotografie einfach nur spannend und aufregend sei, nicht. »Kriegsberichterstattung wird oft mit einer Droge verglichen, aber manchmal ist es nur ein Job, für den man Risiken eingehen muss, die nicht in Ordnung zu sein scheinen.«
Dies wird auch in ihren Tagebucheinträgen deutlich, die ihr automatisches, reflexhaftes Tun als Fotografin inmitten der größten Gefahr nachträglich kommentieren. Sie spiegeln das verspätet einsetzende Bewusstsein, das Bewusstwerden des Erlebten. Im August 2003 wurde Kate Brooks Zeugin eines Autobombenanschlags in Nadschaf, bei dem 135 Menschen starben. Die grausame Szenerie hielt sie wie in Trance mit ihrer Kamera fest, erfreut darüber, diese Bilder verkaufen zu können. Erst am Abend wurde ihr das Ausmaß des Ereignisses bewusst. »Wie konnte ich nur froh darüber sein, all dies mit eigenen Augen gesehen zu haben?«
Nachdem Sie im Februar 2011 die Kämpfe in Libyen erlebte, bei denen mit Chris Hondros und Tim Hetherington zwei der renommiertesten Kriegsberichterstatter ums Leben kamen, schrieb sie von ihren eigenen Zweifel und ihrem Hadern in ihrem Tagebuch: »In keinem anderen Moment habe ich dermaßen mit mir, meiner Berufung als Fotojournalistin und der Sehnsucht nach Schutz gehadert. Dies war kein kalkuliertes Risiko. Hier ging es nur um Glück, und ich kämpfte innerlich darum, entweder den Mut aufzubringen oder einen Sinn darin zu sehen.«
Sie muss viele solcher Situationen erlebt haben, ihre Fotografien bezeugen den grausamen Alltag in den Krisenregionen auf der arabischen Peninsula. Es sind teilweise erschreckende Aufnahmen, die das zeigen, was der Westen oft nicht sehen will: Verletzte, Tote, Verstümmelte. Es sind die Folgen der täglichen Gewalt. Immer wieder zwingen sie den Betrachter, innezuhalten und tief durchzuatmen, um das Unfassbare zu begreifen. Diese Bilder prägen sich ein und sind nur schwer zu ertragen.
Die Aufnahmen der Amerikanerin sind auch deshalb etwas Besonderes, weil sie andere Perspektiven bieten. Denn es finden sich nur wenige Journalistinnen, die sich dem Risiko, als Frau in der arabischen Welt unterwegs zu sein, aussetzen. In einer von Männern dominierten Welt, in der in den vergangenen Jahren westliche Journalisten immer wieder zwischen die Fronten gerieten – man denke nur an das tragische Schicksal des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl, der 2002 in Pakistan von einer lokalen Rebellenbewegung enthauptet wurde – war Kate Brooks neben wenigen anderen Berichterstatterinnen besonders gefährdet. Denn während sich Männer einen Bart wachsen lassen können, um sich in der Menge aufzulösen, müssten Frauen wie Kate Brooks zur Burka greifen, wenn sie nicht auffallen wollen.
Kate Brooks weigerte sich, sich zu verhüllen. Sie versuchte, der besonderen Gefährdung als Frau anders beizukommen, indem sie den Menschen, die Sie umgaben, vertraute. Dieses Vertrauen muss sie zurückbekommen haben, nur so sind die teils intimen Fotografien, die sie machen konnte, zu erklären. Etwa von Marsia Mohammad, der ersten Frau, die ins afghanische Parlament gewählt wurde. Oder von Bibi Aisha, deren Bild um die Welt ging, weil ihr ihr Ehemann das Gesicht verstümmelte, indem er ihr Nase und Ohren abschnitt. Brooks zeigt aber auch die Befreiung der Frauen in der arabischen Welt, die im Osten der arabischen Welt erst vorsichtig beginnt – sinnbildlich die Aufnahmen einer Frauentheatergruppe vor der Aufführung eines Shakespeare-Stückes oder die Fotografie der vor einem Wahllokal wartenden Frauen (beides Afghanistan) – und im Westen der arabischen Welt auf den ersten Blick kaum von unseren Verhältnissen zu unterscheiden ist, etwa wenn Frauen bei einer Party in Libanons Kapitale Beirut auf den Tischen tanzen.
Das fotografische Tagebuch von Kate Brooks bildet die historischen Momente in der arabischen Welt in den zurückliegenden zehn Jahren ab – im Guten wie im Schlechten. Die Ankunft Benazir Bhuttos in Afghanistan steht gleichberechtigt neben Bildern, die den erbitterten Vernichtungsfeldzug der Islamisten gegen die eigenen Bevölkerungen zeigen. Fußballspielende Jugendliche vor dem zerstörten Darul-Aman-Palast in Kabul folgen der Aufnahme zweier Flüchtlingskinder, die in der Ruine der ehemaligen Königsresidenz Schutz suchen. Brooks zeigt die Widersprüche in der arabischen Welt, ohne sie in einer vagen Hoffnung aufzulösen – denn sie sind schlichtweg existent.
Ihre Fotografien beeindrucken in ihrer Klarheit und Komposition, die nicht Resultat einer tiefen Überlegung, sondern eines Gefühls in der jeweiligen Situation ist. Kate Brooks kennt die Wirkungsmacht von Bildern und versteht es, sich ihr bietende Situationen zu lesen. Dies klingt rational-unterkühlt, ist es aber keineswegs. Denn trotz aller Professionalität hat sie sich eine Grundregel bewahrt: Sie fotografiert nicht Situationen, sondern sie fotografiert Menschen und deren Zeugnisse. Sie verneigt sich vor der Lebenskraft wider aller Umstände, die sich die Menschen in der arabischen Welt bewahrt haben. Gerade das macht ihren Bildband Im Licht der Dunkelheit so wertvoll.