Der Italiener Antonio Pennacchi erzählt in »Canale Mussolini« vom italienischen Faschismus in der Provinz und macht ihn gerade dadurch begreifbar. Warum das spektakulär ist? Weil dieser Roman ein unglaubliches Vergnügen bereitet.
Große Romane, die die dunkle Seite einer Nation reflektieren, werden erfahrungsgemäß erst mit jahrzehntelanger Verzögerung geschrieben. Es braucht Abstand zwischen erlebter und verarbeiteter Historie, ein Blick in die europäische Nachkriegsliteratur macht das deutlich. 65 Jahre mussten vergehen, bis in Italien Antonio Pennacchis Roman Canale Mussolini, inzwischen prämiert mit dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, erschien. Anhand der Geschichte der Bauernfamilie Peruzzi erzählt Pennacchi darin die Geschichte des italienischen Faschismus, von den Vorläufern bis zu seinem Scheitern, von seinem Erfolg und seinem Niedergang.
Der Roman setzt 1904 ein, als sich Mussolini als sozialistischer Rebell auf einen Wagen von Rossoni Peruzzi flüchtet. Seit diesem Ereignis stehen die Peruzzi auf Mussolinis Seite, als Sozialisten, Syndikalisten und Faschisten. Als solche haben sie in ihrer sozialistisch geprägten Umgebung schlechte Karten, zumal Pericle Peruzzi als Anführer eines braunen Schlägertrupps im Furor den lokalen Priester erschlägt. Die Familie muss das Weite suchen.
Ihre neue Heimat finden die Peruzzi, Familienfreund Mussolini sei Dank, in den Pontischen Sümpfen vor Rom, einem malariaverseuchten Sumpfgebiet, das der Duce trockenlegen und besiedeln ließ. Wer in den zwanziger Jahren hier ankam, der musste vor allem eines können: entbehren. Von diesem Entbehren, von dem kleinen Glück inmitten großer Armut erzählt Pennacchi in beeindruckender Manier.
Canale Mussolini beschreibt dieses wahnwitzige Siedlungsprojekt, aber auch von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit sowie den Hoffnungen und Nöten der Menschen. Die Peruzzi sind das Brennglas, durch das Pennacchi das Licht auf das faschistische Italien wirft.
Der anonyme Erzähler, ein Vertrauter der Peruzzi, lässt keinerlei Ressentiments beim Leser aufkommen, wenngleich er sich nicht von deren Faschismus distanziert. Er erzählt ganz selbstverständlich davon, wohl auch, weil sich dieser Faschismus auf eine naiv-unideologische Vergötterung eines Mannes reduziert, der längst ein anderer geworden ist.
In diesem Roman wird niemals geurteilt, sondern schlicht von der »Wahrheit der Peruzzi«, ihren Liebschaften und Prügeleien, Zusammenkünften und Abschieden, Ruhmestaten und Verfehlungen erzählt. Provokant? Gewiss! Aber in seiner sprachlichen Sensibilität, der Konzentration auf die Geschichte der Familie Peruzzi und der undogmatischen Perspektive ist dieser Roman auch einfach nur grandios.