Der chinesische Journalist Yang Jisheng und der ins Exil getriebene Autor Liao Yiwu erinnern uns mit ihren aktuellen Büchern an die gewaltvolle Geschichte ihrer Heimat, die mit dem, was China heute ausmacht, noch eine Menge zu tun hat.
Der Blick des Westens auf China hat sich rasant verändert. Einerseits wurden wir Zeugen der Verfolgung des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei und des schreibenden Friedenspreisträgers Liao Yiwu – beides engagierte Gegner der chinesischen Führung. Andererseits erlebten wir die Auszeichnung des als regimetreu eingestuften Literaturnobelpreisträgers Mo Yan. Beides zusammengenommen macht es nahezu unmöglich, einen unverstellten Blick auf das Land zu bekommen.
Auffällig ist, dass der Blick auf China zunehmend ahistorisch wird. Die dramatische Geschichte der kommunistischen Regime gerät vor dem Hintergrund des rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs fast in Vergessenheit. Der chinesische Journalist Yang Jisheng, der seit Mitte der 1970er Jahre für die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua arbeitet, sorgt mit seinem Grabstein dafür, dass niemand mehr sagen könnte, er habe das nicht gewusst.
In der Manier eines Alexander Solschenizyn hat Jisheng in zwei Jahrzehnten unzählige Daten und Fakten in Archiven und Statistikbehörden, in Gesprächen und Begegnungen zur großen Hungerkatastrophe während Maos Reformkampagne des »Großen Sprungs nach vorn« gesammelt. Auszüge aus den Befehlsketten innerhalb des Apparats wechseln sich mit Briefausschnitten betroffener Bauern ab. Die Protokoll- und Parteierklärungen werden mit der bloßen Gewalt konfrontiert, die aus den nackten Zahlen der Statistiken hervorgeht. Und die irrsinnigen Jahrespläne stehen der Kraftlosigkeit einer ausgemergelten Bevölkerung gegenüber.
Yang Jisheng verhilft mit seiner akribischen Puzzlearbeit den Nachweisen einer strukturellen Hungerpolitik durch die Regierung Mao Zedongs ans Tageslicht, deren Last erdrückend und deren Fülle erschlagend ist. Sein Grabstein zur großen chinesischen Hungerkatastrophe zwischen 1958 und 1962 ist ein Mahn- und Denkmal für die 36 Millionen Chinesen, die in dieser Zeit an Hunger starben und ein Grabstein für das System, das ihren Tod verursachte.
Yang Jisheng erinnert uns, ebenso wie übrigens Liao Yiwu in seinem neuen Buch Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens, in dem er anhand von Zeugenaussagen und Opferangehörigen die Ereignisse vom 4. Juni 1989 zu rekonstruieren versucht, daran, dass dieses China, mit dem wir heute zu tun haben, eine Geschichte hat, die nicht in Vergessenheit geraten darf, weil sie in ihrer gewaltigen Dramatik die Chinesen bis heute prägen.