Gastspiel, Geschichte, Gesellschaft, Sachbuch
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Willkommen am Meer

Egon Erwin Kisch, Stefan Zweig, Joseph Roth – heute Granden der deutschen Literatur, im Sommer 1936 personae non gratae in Nazideutschland. Volker Weidermann schreibt von ihrem gemeinsamen Sommer im Exil im belgischen Ostende, der ein Sommer der Freundschaft, aber auch ein Sommer der Abschiede und der Einsamkeit ist.

Sie treffen sich im belgischen Ostende. Stephan Zweig und Joseph Roth, der alte Freund, und die anderen – eine »Gemeinschaft der Fliehenden« in jenem Sommer 1936. Es »wird gelacht, gestritten und geschwiegen« im Cafè Flore, mit Blick aufs Meer. Es ist ein Ort, um den Blick zu weiten für das Eigene in der immer bedrohlicher werdenden Welt, und doch nur ein »Mauseloch«, um die Augen vor ebendieser Welt zu verschließen, für einen Sommer. Denn, wie Roth kurz nach der Machtübernahme Hitlers 1933 an Zweig schrieb, »die Hölle regiert« in Deutschland.

Im Mittelpunkt von Volker Weidermanns Ostende steht die verzweifelt innige Freundschaft dieser beiden Schriftsteller, »zwei Stürzende, die Halt beieinander finden«, eine tiefe Verbindung voller Gegensätze zwischen Bewunderung, Abhängigkeit, Verleugnung und Neid.

Weidermann, Feuilletonchef der FAS, hat sich bereits für sein 2008 erschienenes Buch der verbrannten Bücher »atemlos« in die Lebensgeschichten seiner Protagonisten eingelesen. Er zitiert aus Briefen und Werken, dann wieder schreibt er als allwissender Erzähler, wie ein naher Vertrauter oder Freund. Geschichte und Geschehen werden miteinander verwoben.

Im Gegensatz zum kompromisslosen Joseph Roth hatte der stille Pazifist und große Europäer Stefan Zweig lange versucht, der Katastrophe zu entgehen – dem Verlust der Heimat, auch der als Schriftsteller. Doch auch seine Bücher gehörten mit zu den ersten auf den Scheiterhaufen im Mai 1933, seit 1934 wurde er nicht mehr verlegt beim Leipziger Inselverlag, im selben Jahr emigrierte Stefan Zweig nach London. Seine Welt von gestern war zu dem Zeitpunkt bereits untergegangen – sein autobiografisches Werk erscheint 1942 posthum in Stockholm.

1936 ist das Jahr der Entscheidungen und des Abschiednehmens. Zweig hat »Angst, er fühlt sich gebunden durch Hunderte Verpflichtungen… Es gibt keine Lösung, keinen Halt.« Aber er wird sich noch einmal stärken für einen neuen Aufbruch in diesem Sommer in Ostende. Später schreibt er aus London, dass seiner Generation »der Verwesungsgeruch Europas … in der Nase« stecke.

Cover-Ostende
Volker Weidermann: Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2014. 157 Seiten. 17,99 Euro. Hier bestellen

In diesem Jahr hat er seinen glücklosen und die existenzielle Armut fürchtenden Freund Roth eingeladen. Er bewundert das Werk des Schriftstellerkollegen und schätzt die unerbittliche Strenge seines literarischen Urteils. Und der wohlhabendere Zweig unterstützt den »armen, kleinen Juden« aus dem Osten, schenkt ihm Geld und Anzüge, bezahlt Hotelrechnungen, mahnt, fleht, er möge sich beschränken (mehr dazu im Briefwechsel Jede Freundschaft mit mir ist verderblich).

Roth aber geht unter. Er verliert sich im Alkoholrausch mit seiner letzten großen Liebe Irmgard Keun. Er ist bereits seit dem Ende des Habsburgerreiches ein Heimatloser, viele Jahre schon als Korrespondent unterwegs und in Hotels zuhause. Seine großen Romane Hiob (1930) und Radetzkymarsch (1932), noch bei Kiepenheuer in Berlin verlegt, waren in Nazideutschland inzwischen verboten und verbrannt.

Auch die anderen Namen, ihre Geschichten und ihre Werke, sind nicht zu vergessen: Ernst Toller, revolutionärer Pazifist, der auf Reisen nie den Strick im Koffer vergisst, die unermüdlichen Kommunisten und Zeitungsmacher Arthur Koestler und Willi Münzenberg, der »rasende Reporter« und Weltberichterstatter Egon Erwin Kisch. Als ehemaliger Lektor bei Kiepenheuer in Berlin kennt einer sie alle. Hermann Kesten, der leidenschaftlich optimistische »Schutzvater aller Versprengten«, bleibt auch im Exil ein Knotenpunkt für viele deutschsprachige Autoren. Sie sind gemeinsam gefangen im endlosen Warten und Hoffen auf ein Ende des Spuks, dort, wo sie nicht mehr erwünscht sind, ihre Bücher nicht mehr verlegt oder gleich verbrannt werden. Sie haben ihre Ehefrauen und Geliebten mitgebracht: die unerschrockene Irmgard Keun, »Asphaltliteratin« und »Champagnerkönigin«, reist allein an, und verliebt sich in Joseph Roth. Es sind Frauen, die sich »schwächer zeigen, als sie sind, damit die Männer sich stark fühlen können«.

In klaren, einfachen Sätzen, die umso mehr berühren, erzählt Volker Weidermann, von dieser Exilgemeinde auf Zeit, erzählt von ihrem Leben, ihren Lieben und ihrem Schreiben, fühlt sich ein in ihre Abgründe, Ängste und Hoffnungen.

Dichter, die anschreiben gegen das Vergessen und die eigene Ohnmacht, »die vom Morden schweigen« und stattdessen Biografien oder Historienromane schreiben. Denn »es fehlt ihnen ja die Anschauung, der direkte Kontakt zur deutschen Gegenwart. Sie dringt immer nur als Gerücht oder als Propaganda zu ihnen. Was sie hier kennen, ist ein Zerrbild, eine Sehnsucht, ein Schreckensbild. Kaum tauglich, um es in gute Literatur zu verwandeln.« Das Schreiben wird zur Qual, denn es bleibt existenzielles Bedürfnis und Verpflichtung zugleich. Nur ja nicht sprechen über den alles zerfressenden Pessimismus, die Depression: »Defätismus ist ein Verbrechen, hier am Meer.«

Einer ist nicht gekommen in diesem Sommer, der auf seine Art der Einsamkeit und dem Gefühl, fremd zu sein in dieser Welt, entkommen will. Es ist Klaus Mann. »Im Tagebuch weinen, auf Postkarten jubeln und mühsam versuchen, Neid zu erregen. Aufrecht gehen. Keine Schwäche zeigen. Nicht den Gegnern. Nicht den Freunden. … Und denken an den Tod.«

Volker Weidermanns schmales, 157 Seiten zählendes Buch ist biografisches Sachbuch und verneigende Erzählung in einem, so packend, dass es einen noch lange nicht loslässt.

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