Der schwedische Regisseur Roy Andersson schickt in »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach« sein Protagonisten mit Lachsack und Vampirzähnen in die Schlacht namens Leben. Seine skurrile Komödie erinnert an Meister des Dogma-Kinos wie Lars von Trier und Thomas Vinterberg, aber auch an die Könige der unerträglichen Leichtigkeit des Seins Wes Andersson und den frühen Emir Kusturica.
Sam und Jonathan wären ihre besten Kunden, wenn beide nur ein wenig Abstand zu ihrem Geschäft hätten. Dieses besteht darin, antiquierte Scherzartikel unter die Menschen zu bringen. Mit Vampirzähnen, Lachsäcken und Horrormasken wollen sie den Menschen helfen, Spaß zu haben. Doch die Scherzartikel sind genauso wenig komisch wie die Welt, durch die das seltsame Duo schlurft. Sam und Jonathan sind für diesen Job alles andere als gemacht. Zu ihrer Lizenz sind sie gekommen wie andere zum Selbstbauset für Kugelschreiber. In die Jahre gekommen verfolgen sie keine gemeinsame Strategie, streiten sich vor ihren Kunden und sind täglich kurz davor, das Ganze hinzuschmeißen. Im Tiefsten ihres Herzens sind sie das Klinkenputzen leid. Aber sie haben keine Wahl, denn beide sind vollkommen pleite, die Scherzartikel ihre letzte Hoffnung. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich jeden Morgen mit ihrem kleinen Koffer wieder auf den Weg zu machen, auch wenn ihnen aus jeder Pore die Tristesse entweicht, die tief in ihren Körpern steckt.
Sam und Jonathan sind das lebendig gewordene Leitmotiv der Idiotie des Lebens, mit der sich Roy Anderssons tragikomische Komödie Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach auseinandersetzt. Sie bildet den Abschluss einer filmischen Trilogie über das menschliche Wesen, die er mit dem Film Songs from the Second Floor aufnahm und mit Das jüngste Gewitter fortsetzte. »Ich glaube, dass uns das visuelle Porträt des Menschen, sowohl in der Malerei als auch im Film, mehr sagt als Worte«, begründet Andersson die Notwendigkeit einer Filmreihe, um den Menschen zu ergründen.
Im vergangenen September feierte der Film bei den internationalen Filmfestspielen in Venedig seine Premiere und wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Es war der Höhepunkt eines mit Filmpreisen gepflasterten Werdegangs. Schon 1970 erhielt er mit seinem ersten Spielfilm Eine schwedische Liebesgeschichte vier Auszeichnungen bei der Berlinale. Der schwedische Filmemacher wurde mehrfach in Cannes ausgezeichnet, ist zweifacher Träger des schwedischen Filmpreises und erhielt den Schwedischen Leninpreis für die »Eigensinnigkeit« in seinem Werk. Mit seinen melancholischen, Filmen sorgt er stets für Aufsehen. Um seine minutiösen Menschenstudien unbeeinflusst von Produzentenwünschen drehen zu können, hat er in Stockholm bereits 1981 sein Studio 24 ins Leben gerufen.
Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach ist ein Mix aus dem schwerelosen Humor der Filme Wes Anderssons und der tänzelnden Musikalität der frühen Filme von Emir Kusturica. Zugleich wurzelt er tief in der zeitlosen Melancholie, wie man sie auch aus den Werken von Lars von Trier kennt. Mit langen Einstellungen und statischer Kamera fordert Andersson einen Blick auf die Welt heraus, der in der Hektik der Moderne verloren gegangen ist.
Schon zu Beginn des Films zeigt er uns in drei Szenen die Abgründe des Alltags, die emotionalen Kellerlöcher unserer Gegenwart und die skurrile Wirklichkeit, die uns umgibt. Da ist der Mann, der beim Entkorken der Weinflasche einen Herzinfarkt erleidet, während seine Frau in der Küche die Brote schmiert. Oder die rüstige Dame im Altersheim, die auf dem Sterbebett ihren Söhnen nicht die Handtasche überlassen will, in der sich ihr Schmuck befindet. Und der tote Passagier, der an der Kasse in der Cafeteria einer Fähre zusammengebrochen ist und dessen Bier nun schal zu werden droht.
Anderssons neues Meisterwerk ist voll von Absurditäten. Sie füllen die Lücken in unserer Wahrnehmung mit der befremdlichen Anmut des Existenziellen. In insgesamt 39 Szenen konfrontiert uns Andersson mit der Trivialität und Lakonie des Daseins. Sie werden wie Kurzgeschichten in die offene Handlung eingestreut. Sie erzählen beispielsweise vom einsamen Leutnant, der an verschiedenen Orten vergeblich auf jemanden zu warten scheint. Oder sie werfen einen Blick auf den verzweifelten Vorstandsvorsitzende, der mit dem Revolver in der Hand noch einmal den Telefonhörer abhebt. Oder sie porträtieren eine Wissenschaftlerin, die zum Plaudern aufgelegt ist, während sie einem in eine Testreihe eingespannten Affen Elektroschocks zufügt. Diese Szenen werden von einem Satz am Telefon zusammengehalten: »Ich freue mich zu hören, dass es dir gut geht.«
Vermeintliche Schlüsselsätze und -szenen wie diesen gibt es in diesem Film zuhauf. Sie konterkarieren wie ein Tritt in den Allerwertesten die jeweilige Inszenierung und heben ironisch die Erwartung auf. Einen ähnlichen Effekt haben die Ausflüge in die Geschichte, die Andersson seine Figuren unternehmen lässt. Etwa die träumerische Erinnerung des Stammkunden im Kellerlokal, der sich an den Krieg erinnert, als Matrosen in der damaligen Kneipe »Zur hinkenden Lotta« mit Küssen und Zärtlichkeiten bezahlten. Die zynische Aufbereitung der europäischen Kolonialverbrechen, als britische Soldaten ihre afrikanischen Gefangenen in eine glühende Kupferorgel zwingen. Oder der halbfiktionale Ausflug auf die Schlachtfelder des 18. Jahrhunderts, auf die der schwedische König Karl XII. mit Ross und Reiter zieht, nicht ohne zuvor in einer Kneipe der Gegenwart Halt zu machen und dort die Gäste zu beschimpfen.
Als Zuschauer wohnt man diesem seltsamen Treiben stauend bei und begreift, dass man die Taube ist, die vom Kinosesselzweig diese Ereignisse verfolgt und dabei über das Leben nachdenkt. Nur können wir nicht die Flügel öffnen und abheben. Wir sind Teil dieses absurden Menschheitstheaters.
[…] Roy Andersson es in seinem im vergangenen Jahr mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Bilderreigen Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach getan hat, führen Jensens Werke in spektakulär unspektakulären Bildern die Idiotien der […]
[…] der Hoffnung. »Die Trübsinnigen werden zuerst abgeschoben«, heißt es in dem Film, der an Roy Anderssons Venediggewinner von 2014 Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Le… erinnert und zurecht als Geheimfavorit unter den Anwärtern für den Goldenen Bären gilt. […]