Literatur, Roman

Alles auf Anfang

Die Berliner Büchner-Preisträgerin Terézia Mora schließt die Trilogie um ihren tragischen Helden Darius Kopp ab und findet einen galanten Abschluss für ihren über zehn Jahre entstandenen Bildungsroman.

Auf den letzten Seiten von Terézia Moras Abschluss ihrer Trilogie um ihren Glückssucher Darius Kopp stellt eben jener fest, »dass er wieder einmal, anfing glücklich zu werden.« Da sitzt er, der von Gott Verlassene, in der Kirche, und hat noch einmal Alles vor sich. Wer hätte das gedacht, nachdem er im ersten Teil der Trilogie als einziger Mann auf dem Kontinent im Dotcom-Hype untergegangen ist und dann im zweiten Teil mit der Asche seiner Frau eine verzweifelte Flucht durch Europa angetreten hat. Der erste Teil war ein Ereignis, der zweite eine Sensation, die dann auch mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Nun war es fraglich, ob die frisch gebackene Büchner-Preisträgerin ihre viel gelobte Trilogie gut zu Ende bringen kann.

Kann sie, kann man nach der Lektüre antworten, auch wenn das zu Ende bringen wohl im Vordergrund stand. Kopp hat es inzwischen über Griechenland nach Sizilien getrieben, wo er als Aussteiger in einer Pizzeria jobbt und sich mit dem begnügt, was der Mensch zu leben braucht. Ein Dach über dem Kopf, eine täglicher Mahlzeit und bitte keine weiteren Verpflichtungen. Das zeigt schon, wohin die zahlreichen Schicksalsschläge den spießigen New-Economy-Aufsteiger gebracht haben. Im Laufe der Trilogie ist aus dem Kleinbürger mit Aufstiegsträumen ein gelassener Lebemann geworden, der der Pflichtschuldigkeit in seinem Leben gekündigt hat.

Terézia Mora: Auf dem Seil. Luchterhand Literaturverlag 2019, 368 Seiten, 24,- Euro. Hier bestellen

Moras europäischer Bildungsroman in drei Teilen erhält nun noch einmal eine Wende, denn plötzlich steht Kopps 17-jährige Nichte Lorelei vor ihm und sucht bei ihm Zuflucht. Ihr Leben ist ziemlich aus den Fugen geraten. Mit Kopps Schwester hat sie sich überworfen, von ihrem Ex-Freund erwartet sie ein Kind und zu guter Letzt hat sie noch den Osteuropäer Metin an ihrer Seite, den sie auf der Zugfahrt durch Italien kennengelernt hat. Und schwups, ist es wieder da, das Verantwortungsgefühl, weil auch Kopp nicht aus seiner Haut kann. Mit Lorelei und Metin geht es zurück nach Berlin, wo den mittellosen Kopp nichts anderes erwartet als seine alten Sorgen, vor denen er geflohen ist. Es bleibt ihm nichts übrig als in seinem Leben aufzuräumen und noch einmal von vorn anzufangen.

Moras Kunst besteht darin, den unsicheren Existenzen in ihren Romanen eine authentische und glaubhafte Stimme zu geben. Dabei entlässt sie sie nicht in die Depression oder Verzweiflung, sondern erzählt das mit Witz und Ironie. Hier scheint sie auch von ihrer Übersetzertätigkeit zu profitieren, bei der sie eine hohe Empfindsamkeit für die Wirkung von Sprache und Stil entwickelt hat. Die Dialoge ihrer Figuren wirken wie aus dem Leben gegriffen, Orts- oder Perspektivwechsel geschehen einfach so, ohne dass sie einem überhaupt auffallen.

Am Ende, als Darius Kopp bei einem alten Bekannten untergekommen, sich emotional von seiner Eigentumswohnung und den Erinnerungen verabschiedet und eine Lösung für Lorelei gefunden hat, geht er noch eine Runde um den Block. Ob er tatsächlich wiederkommt oder wie beim Zigarettenholen einfach erneut das Weite sucht, bleibt offen. So entlässt Mora ihren Helden in die Freiheit.