Die illustrierten Romane des schwedischen Künstlers, Sängers und Autors Simon Stålenhag erzählen Geschichten aus anderen Welten. Vergangenheit und Zukunft laufen dabei stets unweigerlich zusammen.
»Tief unter der Erde lag der Loop. Ein gigantisches unterirdisches Tunnelsystem, das einen Teilchenbeschleuniger sowie eine Forschungsstation für Experimentalphysik beherbergte und sich einmal um die nördlichen Mälarinseln wand«, heißt es zu Beginn von Simon Stålenhags illustriertem Roman, der die Vorlage zur gleichnamigen Amazon-Serie bildet. Darin geht es um das Leben in der südschwedischen Küstenregion in den 80er Jahren. Der Stromkonzern Riksenergi war damals der wichtigste Arbeitgeber, sein Loop-Tunnel eines der zukunftsträchtigsten Projekte zur Energiegewinnung. Doch alles hat seinen Preis und beim Loop sind das die Schwingungen, die Verschiebungen im Raum-Zeit-Kontinuum nach sich ziehen. Fans der deutschen Netflix–Erfolgsserie »Dark« könnten meinen, »Tales from the Loop« sei ein Blurb der faszinierenden Geschichte um Jonas Kahnwald und Martha Nielsen in der fiktiven deutschen Stadt Winden. Das ist aber mitnichten der Fall. Stålenhags Geschichte bildet ein ganz eigenes Universum.
»Tales from the Loop« ist keine Crime- und Zeitreise-Story, sondern eine Art historischer Bericht von einer vergangenen Welt. Aus Dokumenten und Erinnerungen wird dabei zusammengesetzt, wie das System des Loops das Leben der Menschen auf den schwedischen Inseln einmal geprägt hat. »Die Landschaft war überseht von Gerätschaften und Schrott, und alles hing auf die eine oder andere Weise zusammen«, heißt es, bevor einige Hinterlassenschaften der Loop-Zivilisation vorgestellt werden. Darunter eine gigantische Stahlkugel in der ehemaligen Kiesgrube, die leuchtenden Türme der Bona-Werke und das Wrack des Magnetrintankers MS Ancylus.
Der sogenannte Magnetrineffekt ist zentral in der Welt des Loops, denn auf ihm basiert ein Großteil der Mobilität. Dabei macht man sich die natürlichen Magnetfelder des Planeten zunutze, die elektrostatisch aufgeladene Metallscheiben von der Erde abstoßen. Statt Fliehkräfte heben also Stoßkräfte vieles, was sich bewegen soll, in die Lüfte. Deshalb schweben durch diese Welt ganz selbstverständlich Kräne, Planierraupen und ganze Schiffe, wie man den geradezu filmischen Zeichnungen entnehmen kann.
Die Schwäche von literarischen Dystopien liegt oft darin, dass die Sprache nicht in dem Maß die Bilder evozieren kann, die es braucht, um sich eine andere Welt vorzustellen. Dies ist hier anders. Die Verführungskunst von Stålenhags großformatigen Alben liegt in ihrer Visualität. Hier illustrieren die Bilder nicht den Text, sondern die auf den Punkt geschriebenen und von Stefan Pluschkat übersetzten Texte ergänzen die Bilder. Das ist in der Sache Science Fiction, in der Form ist es Novel Fiction. Denn durch Instagram, TikTok und Co haben Bilder an vielen Stellen längst den Text abgelöst und das Erzählen übernommen. Dieser Trend wird noch zunehmen. Simon Stålenhag beweist in »Tales from the Loop«, dass das nicht weniger literarisch sein muss.
Bei seiner, in der deutschen Übersetzung vorher erschienenen postapokalyptischen Amerikareise »The Electric State« – zu der es das Videoprojekt »The Void« gibt – ist das ähnlich, wenn auch etwas anders gelagert. Hier ist der Zugang leichter, weil Text und Bild einander ergänzen, miteinander in einem klarerer Verhältnis stehen. Die – nicht weniger faszinierenden – Bilder dienen hier oft der Illustration eines Textdetails, so dass man schnell in diese Geschichte hineingezogen wird, die aus der Perspektive eines jungen Mädchens davon erzählt, wie die Menschen erst der Virtuellen Realität verfallen sind, um dann in einem vernichtenden Drohnenkrieg die Zivilisation von Künstlichen Intelligenzien nahezu auslöschen zu lassen.
Durch die Überreste dieser Zivilisation fährt Michelle mit ihrem Androiden Skip. Es ist eine Reise ohne Ziel, die durch eine Art verwunschenen Themenpark führt, der voller Militaria steckt. Wie auch die Industriebrachen in »Tales from the Loop« strahlen Stålenhags Landschaften einen morbiden Charme aus. Augenfällig ist dabei die weitgehende Abwesenheit von Anzeichen menschlichen Lebens. Das einzig Menschliche geht aus dem Text hervor, in dem sich die Ich-Erzähler:innen an ihre Kindheitserlebnisse erinnern. Autobiografisch, wie Stålenhag im Verlagsgespräch zum Buch einräumt. »Die Figuren, die dort beschrieben werden, die Atmosphäre, die Situationen, das Thema Scheidungen, Freunde mit irgendwelchen Problemen, das habe ich alles selbst erlebt. Anders kann ich fast gar nicht schreiben.«
Dies steigert nur die Einsamkeit, die die Protagonisten inmitten des Technikschrotts umgibt. In der ihnen innewohnenden Verlorenheit evozieren die unter die Haut gehenden Kunstwerke des Schweden Vergleiche mit der Gegenwart und fühlen sich auf unheimliche Weise allzu oft viel realer an als die Welt außerhalb der Buchseiten. Da stört es nicht einmal, wenn urzeitliche Riesenechsen neben Robotern durch Stålenhags endzeitliche Industrial-Punk-Landschaften ziehen.
THE VOID | UE4 Cinematic from JKeudel
Der Guardian lobte »Tales from the Loop« zu den zehn besten Dystopien. Zweifellos gelingt es diesen Alben, eine Welt heraufzubeschwören, die gleichermaßen die Flucht und die Auseinandersetzung mit unserer technikfixierten Wirklichkeit bietet. Dabei empfiehlt es sich, den Bildern mindestens genauso viel Zeit wie den Texten zu widmen, sich zu vertiefen und die Spuren unserer Gegenwart in ihnen zu suchen. Die Zeichnungen zeigen meist von der Natur zurückeroberte Industriebrachen und entseelte Landschaften, in denen der Kampf der Maschinen bereits getobt hat.
Der Mensch spielt in der Welt der Loops, Floods (der zweite Band aus dem Loop-Universum »Things from the Flood« erscheint im Frühjahr 2021) und Eletric States keine große Rolle. Er erobert sie sich erst zurück, indem er von ihr erzählt. Das ist der Clou an den Büchern des schwedischen Multitalents, die weder in das Genre der Graphic Novels noch in das der klassischen Literatur passen.
Ist das, was wir da sehen, unsere Zukunft? Ausgeschlossen ist das leider nicht.
[…] – all das thematisiert er in seinem etwas mehr als 100 Seiten zählenden Langgedicht, das sich wie eine dystopische Erzählung von Simon Stålenhag liest. »Zone« ist Hohelied und Abgesang in einem: eine Hymne auf das, was war und hätte sein können, […]