Film

Explodet statt reloaded – Abgesang auf James Bond

Daniel Craig hat in »Keine Zeit zu sterben« seinen fünften und letzten Auftritt als James Bond. Seiner Figur wird darin ein ebenso melancholisches wie brachiales Ende bereitet. Überzeugend ist das nur in Teilen.

Irgendwo in Norwegen steht ein kleines Haus an einem zugefrorenen See. Ein Mann mit Porzellanmaske tritt aus dem Wald und marschiert auf dieses Haus zu. Er will Rache nehmen für den Tod seiner Eltern, umgebracht von einem Auftragskiller. Doch er findet nur eine betrunkene Mutter und ihre kleine Tochter. Die Episode, mit der der neue James Bond beginnt, führt tief in die Geschichte einiger zentraler Figuren, bevor er sich der Gegenwart zuwendet und in ein italienisches Bergdorf führt, wo Bond mit seiner Geliebten Madeleine Swann ein paar schöne Tage und Nächte verbringen will. Doktor Swann, feinfühlig gespielt von Léa Seydoux, kennt man noch aus dem letzten Bond-Spektakel »Spectre«, sie ist die Tochter von Mr. White, der zur Entourage des Bösewichts Blofeld gehörte.

Der neue und letzte James Bond mit Daniel Craig in der Hauptrolle des ermittelnden Martini-Liebhabers sollte schon vor zwei Jahren in die Kinos kommen. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass der Starttermin immer wieder verschoben wurde. Als Amazon die Metro-Goldwyn-Mayer-Studios kaufte, wurde schon gemunkelt, dass Craigs Bond-Finale im Streaming-Angebot des Portals starten würde. Nun startet der Film doch in den Kinos, mit zweijähriger Verspätung. Die Branche wartet sehnsüchtig auf den Blogbuster in der Hoffnung, er möge die Säle wieder füllen und den Menschen die Angst vor dem Kinosaal nehmen. Die Erwartungen sind riesig, erfüllen kann sie »Keine Zeit zu sterben« kaum.

Foto: Nicola Dove / Universal Pictures

In dem italienischen Dorf gerät Bond in einen Hinterhalt, als er sich am Grab seiner großen Liebe Vesper von ihr verabschieden will. Es folgt eine rasante Verfolgungsjagd durch die pittoreske Kulisse von Matera, bei der Daniel Craig dem Ruf seiner Figur alle, aber wirklich alle Ehre macht. Von Anfang an bewegt sich das Niveau der Stunts am oberen Ende, Craig lässt es im wahrsten Sinne noch einmal ordentlich krachen. Das führt aber auch dazu, dass die Handlung in einem permanenten Kugel- und Bombenhagel untergeht. Ob in der felsigen Kulisse Italiens, auf einem Fischkutter mitten auf dem Ozean, in der Altstadt von Havana, in norwegischen Wäldern oder einer Insel bei Japan – wo auch immer Bond auftaucht, wird wild um sich geschossen.

Obwohl, es gibt einen Hort der Ruhe. Auf Jamaika hat sich Bond zur Ruhe gesetzt, beim MI6 ist die Position des Agenten 007 neu besetzt. Die resolute Agentin Nomi, gespielt von Lashana Lynch, ist es, die von M ihre Befehle und von Q ihre technische Ausrüstung erhält. Sie haben es mit einem Einbruch in ein geheimes Biowaffen-Labor zu tun, aus dem eine gefährliche Biowaffe entwendet wurde. Ein Serum ermöglicht es, die Waffe zielgenau gegen Individuen einzusetzen, indem sie auf die DNA der Zielperson angepasst ist.

Zweimal 007. Der berühmteste Agentenposten der Welt ist nun doppelt vergeben | Foto: Nicola Dove / Universal Pictures

Der pensionierte Bond taucht derweil in Sean-Connery-Manier in der Karibik nach Fischen und lässt es sich gut gehen. Bis sein Freund Felix Leiter auftaucht und ihm von dem Vorfall erzählt. Hinter dem Coup steckt der teuflische (und natürlich gezeichnete) Lyutsifer Safin (gespielt von Rami Malek), den wiederum mit Madeleine Swann einiges verbindet. Bond weiß das noch nicht, die Zuschauer schon.

Überhaupt begegnet uns in Daniel Craigs letztem Auftritt als 007 ein erstaunlich nahbarer James Bond. Hinter der harten Hülle – auch die hat nachgelassen, Bond kommt in die Jahre – ist ein weicher Kerl, der unverhohlen um seine verstorbene Geliebte trauert, mit seiner Position auf dem Abstellgleis hadert und davon träumt, ewig Zeit zu haben, um mit der aktuellen Flamme dem Sonnenuntergang entgegenfahren zu können. Als er seinem Gegenspieler Blofeld (Christoph Waltz) gegenübertritt –dessen Verwahrung mit Hannibal Lecters Sicherheitsstufe mithalten kann – flüstert der ihm hämisch entgegen »You were always so sensitive«.

007 und Bondgirl in neuer Kombination. Lashana Lynch und Léa Seydoux im neuen Bond-Film | Foto: Nicola Dove / Universal Pictures

Die Handlung von »Keine Zeit zu sterben« führt über einige Umwege auf eine Insel, wo sich Lyutsifer mit dem russischen Entwickler der Waffe zurückgezogen hat, um eine gigantische Biowaffen-Zuchtanlage aufzubauen. Hier wird der Film seinen explosiven Showdown haben. Die Bildsprache ist gigantisch. Panoramaaufnahmen, Vogelperspektiven, Nahaufnahmen – ein ständiger Wechsel vor imposanten Kulissen, mal nah dran, mal wieder alles in den Blick nehmend. Das ist überaus eindrucksvoll, wenngleich auch ansatzweise etwas drüber.

Das Problem des neuen Bonds ist, dass er das Genre des Agentenfilms vollständig verlassen hat und nur mehr als Actionfilm à la Terminator daherkommt. Serienjunkies mögen an die neueste Staffel »Haus des Geldes“ denken, die in Ermangelung einer echten Handlung im ratternden Dauerfeuer untergeht. Das ist bei »Keine Zeit zu sterben« angesichts von 160 Minuten Länge irgendwann dann doch einfach nur ermüdend. Da hilft es auch nicht, dass Regisseur Cary Fukunaga (»True Detective«, »Beasts Of No Nation«) noch eine zweite »gun barrel sequence« platziert. Die kann aber nicht retten, dass Q nicht ein technischer Geniestreich gegönnt ist, dass sich M`s stabilisierende Autorität in den Sorgenfalten auf seiner Stirn auflöst und Bonds Selbstironie im Abschiedsschmerz auflöst.

Rasante Verfolgungsjagden in gigantischen Aufnahmen. »Keine Zeit zu sterben« macht Eindruck | Foto: Nicola Dove / Universal Pictures

Dem Film zugutehalten kann man, dass Bond-Adepten auf ihre Kosten kommen. Es hagelt an Filmzitaten aus dem Bond-Imperium (wie überhaupt aus dem Kino, wie das Steve McQueen-Zitat im Titelbild zeigt), ohne dass diese aus der Zeit gefallen Figur zu sehr idealisiert wird. Bond-Neulinge dürfte es allerdings schwerfallen, angesichts der zahlreichen Querverweise und Vorgeschichten, auf die sich der Film stützt, den Einstieg zu finden. Und für sich steht dieser Film auf hölzernen Beinen. Die Handlung wird nur lose von den Actionszenen zusammengehalten. Logische Brüche, erzählerische Lücken, offene Fragen und ein Gut-Böse-Schema, dass an den Kalten Krieg erinnert – all das schleppt der Film als Ballast mit sich herum.

Aber Bond ist weitgehend in der Neuzeit angekommen. Der Transfer des niemals alternden Agenten in die Gegenwart wurde seit den Anfängen von Daniel Craig konsequent betrieben, ob durch den Transfer von Rollen oder durch die technischen Raffinessen in den einzelnen Teilen. Dass nun eine Schwarze Frau im britischen Geheimdienst als 007 übernimmt, ist vor diesem Hintergrund nur konsequent. Eine Vorentscheidung ist das jedoch nicht. James-Bond-Produzent Barbara Broccoli hat bereits ausgeschlossen, dass die Titelfigur künftig mit einer weiblichen Hauptrolle besetzt wird.

Ana de Armas als selbstbewusster Sidekick in »Keine Zeit zu sterben« | Foto: Nicola Dove / Universal Pictures

Schade, will man kommentieren. Nicht, weil dringend Gleichstellungsbedarf herrscht, sondern weil die selbstbewussten weiblichen Figuren im neuen Bond am meisten überzeugen. Lashana Lynch als Agentin 007 tritt nicht nur für ihre Funktion überzeugend ein, sondern hat auch die Größe, dem in seiner Eitelkeit getroffenen Bond ihre Nummer Zeitweise abzutreten. Ana de Armas gibt nicht nur eine umwerfende Femme Fatale und weiß, geübt an sämtlichen Waffen, gut für sich selbst zu sorgen. Sie widersteht auch den klassischen Bond-Avancen und lässt seinen Blick an ihrem sehenswerten Rücken abgleiten. Und auch das Schmachten von Eve Moneypenny (Naomie Harris) hält sich im neuen Bond in Grenzen. Es herrscht weibliche Solidarität zwischen ihr und der neuen 007-Agentin. Hier spürt man den Einfluss von Fleabag-Autorin Phoebe Waller-Bridge auf das Drehbuch.

Mit Billie Eilish hat man wieder einen Superstar gefunden, der dem Film einen Titelsong verpasst hat, der wie Adeles Skyfall ins Ohr geht und in Erinnerung bleibt. Für den 25. Bond-Film kann man das nicht so einfach sagen. Klar, es ist Daniel Craigs letzter Bond und er ist schon deshalb besonders, weil da ein Bond-Darsteller erstmals seine Figur mit ins Grab nimmt. Das war von Sean Connery über George Lazenby, Roger Moore und Timothy Dalton bis hin zu Pierce Brosnan keinem Bond-Darsteller gegönnt. Wie es nun mit der aufgeladenen Reihe, die Cineasten seit seiner Jagd auf Dr. No vor 59 Jahren bewegt, weitergeht, ist vollkommen offen.