Film

Das Ding im Kopf

Die argentinische Regisseurin Natalia Meta versetzt das Publikum in ihrem Film »El Prófugo« in die Psyche einer Frau, die sich selbst sucht.

Dringen die Figuren, denen die Synchronsprecherin Inès im dunklen Tonstudio ihre Stimme leiht, in ihren Kopf? Ist es ihr Ex-Freund, der aus dem Jenseits mit ihr spricht? Oder treiben sie einfach Stress und Schlaflosigkeit in den Wahnsinn? Was es auch immer ist, die junge Frau verliert zunehmend den Bezug zur Wirklichkeit. Zumindest will das Natalia Meta in ihrem als Psycho-Sex-Thriller angekündigten Wettbewerbsbeitrag »El Profugo« glauben machen.

Was hier Wirklichkeit und was Wahn ist, bleibt von Beginn an unklar. Es ist ein ständiges Spiel der Ebenen, (Tag)Träume, Fantasien und Sequenzen der Filme, die Inès synchronisiert, legen sich übereinander und entführen die Zuschauer:innen in eine Welt, in der nicht mehr klar zu sagen ist, ob die Wirklichkeit übel mit der Figur spielt oder die Figur ihren Ängsten erliegt.

Einiges passiert im Laufe der knapp 90 Minuten. Inès Freund kommt ums Leben, ihre Mutter nistet sich bei ihr ein und ein junger Orgelbauer macht ihr engagiert den Hof. Aber geschieht das alles wirklich? Oder sind es Hirngespinste? Oder vielleicht beides? Man weiß es nicht so genau. Auch dass Inès, die ihren Lebensunterhalt nicht nur mit ihrer Stimme verdient, sondern in ihrer Freizeit in einem Chor singt, zunehmend die Kontrolle über ihre Stimme verliert und sich seltsame Geräusche in ihre Aufnahmen verirren, gehört zu den Mysterien dieses Films.

Érica Rivas und Nahuel Pérez Biscayart in »El prófugo | The Intruder« von Natalia Meta | ARG, MEX 2020, Wettbewerb | © Rei Cine SRL, Picnic Producciones SRL

Der Großteil der Handlung spielt sich im Zwielicht ab – entweder in abgedunkelten oder künstlich belichteten Räumen oder bei Nacht, wenn die Gegenwart in den somnambulen Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit hinübergleitet. Zudem arbeitet Kamerafrau Bárbara Alvarez viel mit Spiegelungen, Unschärfen und Bildtiefe, um den surrealen Zustand der Unsicherheit, der Inès umgibt, ins Bildhafte zu übersetzen. Das funktioniert auch sehr gut, der Übergang ins Psychedelische der Heldin ist fließend. Das liegt aber auch an Érica Rivas konzentriertem Spiel, das eine Frau verkörpert, die nicht weiß, was genau mit ihr passiert, aber spürt, dass es von großer Bedeutung ist.

»Sie leiden an einem Eindringling«, flüstert ihr eine Kollegin eines Tages zu, als sich die Probleme bei den Aufnahmen nicht lösen lassen. Sie drängt die junge Frau, diesen Eindringling dringend loszuwerden, weil es sonst schlimm enden könnte.

Der argentinischen Regisseurin Natalia Meta ist eine verschlungene Allegorie auf die Sehnsucht und das Begehren einer Frau gelungen, die sich auf eine geheimnisvolle Suche nach sich selbst macht.