Auf der diesjährigen Berlinale reüssierten vor allem Beiträge, die humanistische Themen wie Menschenrechte und die Aufklärung in den Mittelpunkt stellten. Mit dem historischen Drama »Der Leibarzt und die Königin« kommt nun einer der preisgekrönten Filme in unsere Kinos.
Der Germanist und Kant-Experte Manfred Geier hat jüngst in seinem für den Leipziger Buchmessepreis nominierten Sachbuch über die Aufklärung selbige als Europäisches Projekt beschrieben. Und denkt man an die großen Aufklärer, von Locke, Voltaire und Rousseau angefangen über Diderot, d’Alembert, Descartes und Hume bis hin zu Mendelssohn, Grimm, Wolf, den Humboldt-Brüdern und Kant, dann vereint all diese ihr Europäer-Sein. Wer auf dieser Liste fehlt ist der der deutsche Arzt Johann Friedrich Struensee, der als Minister am dänischen Königshof mit seinen aufgeklärten Thesen und Initiativen den Klerus vorführte. Der schwedische Schriftsteller Per Olov Enquist erinnerte vor etwas mehr als zehn Jahren an den deutschen Aufklärer in seinem Roman Der Besuch des Leibarztes. Mit Nikolaj Arcels Der Leibarzt und die Königin kommt nun eine filmische Hommage an Struensee in die deutschen Kinos.
In dem zweistündigen Film, entstanden in Zusammenarbeit mit Rasmus Heisterberg und Lars von Trier, erzählt der dänische Regisseur (Verblendung) die Struensees Geschichte am dänischen Königshof unter Christian VII. Richtiger gesagt muss es heißen, dass Arcel erzählen lässt: Königin Caroline Mathilde, mit der Struensee eine leidenschaftliche Affäre gehabt und ein Kind gezeugt hatte und deshalb später von ihren Kindern getrennt und aus Dänemark verbannt wurde, erzählt kurz vor dem eigenen Ableben ihren Kindern die Geschichte der tatsächlichen Umstände ihrer Verbannung.
Struensee und der psychisch labile dänische König trafen erstmals 1768 aufeinander. Struensee begleitete den König auf seiner Reise durch Europa. Schnell fasst der König Vertrauen zu dem sensiblen Denker und ruft ihn als Leibarzt an seinen Hof. Dort beobachtet Struensee, wie der klerikale Hofstaat dem König die politische Macht aus der Hand nimmt, ihn zur Marionettenfigur degradiert und an der Nase herumgeführt. Der Arzt hilft dem König, sich aus dem eisernen Griff von Adel und Klerus zu befreien. Struensee gewinnt an Einfluss am Hof, baut sich einen kleinen Beraterkreis mit radikalen Freidenkern und Reformern auf und übernimmt nach und nach die Staatsgeschäfte des psychisch labilen Königs. Er versuchte fortan, die Ideen der Aufklärung in Dänemark – einem Staat, in dem es auf den Tod verboten war, aufklärerische Schriften einzuführen – umzusetzen.
Mit hunderten Dekreten und Erlassen führte Struensee die Entmachtung des Adels und der Gutsherren, Meinungs- und Pressefreiheit und die Abschaffung der Folter, reformierte das Schulwesen und zielte auf eine Kontrolle des Getreidehandels. Der deutsche Arzt ließ Findelhäuser und Hospitäler gründen und öffnete den königlichen Schlossgartens für die Promenaden der Bevölkerung. Zum Missfallen der bislang alles bestimmenden Staatskirche reduzierte Struensee auch die Zahl der Feiertage und schaffte die so genannte Kirchenzucht ab.
Unterstützt wurde der Arzt dabei von einem engen Aufklärerkreis, zu dem auch sein Altonaer Freund Enevold von Brandt gehört, den er an den Hof rufen ließ. Vor allem aber stärkte ihm Königin Caroline Mathilde den Rücken in all seinen Reformen. Seine aufklärerische und wenig dogmatische Geisteshaltung entsprach ihrem Gemüt.
Bekanntermaßen war Caroline Mathilde unglücklich in ihrer Ehe mit Christian, dessen Geisteskrankheit sich immer deutlicher ausprägte. Sie verliebte sich in den belesenen Struensee. Die Affäre beider scheint dem König wohl gleichgültig gewesen zu sein, dem entmachteten Hofstaat kam sie zupass. Er nutzte das unchristliche Verhalten des aufgeklärten, freidenkerischen Struensee und der gegen den christlich-konservativen Hofstaat rebellierenden Königin, um ein Komplott zu schmieden.
Der Leibarzt und die Königin ist ein bewegender Film über die Anfänge der Aufklärung und die Hindernisse, die es zu überwältigen galt, um zu einem menschlicheren Miteinander zu gelangen. Zwei silberne Bären hat En Kongelig Affǣre überraschend gewonnen. Nikolaj Arcel und Rasmus Heiterberg wurden für ihr Drehbuch ausgezeichnet und Mikkel Boe Følsgaard für seine grandiose Verkörperung des geisteskranken dänischen Königs, mit der er sich durchaus mit Leonardo di Caprio als geistig behinderter Arnie Grape in Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa messen kann.