Literatur, Roman

»In Berlin brennt das Leuchtfeuer der Hoffnung«

Die amerikanische Autorin Molly Antopol gastiert noch bis zum Sommer an der American Academy in Berlin. Ein Gespräch über das Leben in der Hauptstadt der Hoffnung, die USA unter Donald Trump und darüber, was es heißt, amerikanisch zu sein.

Molly Antopol, Sie schreiben hier in Berlin gerade an Ihrem neuen Buch »The After Party«. Können Sie schon darüber reden?

Das ist schwierig. Ich bin etwas abergläubisch und habe Angst, dass noch etwas schiefgeht, wenn ich darüber rede. Aber ich kann sagen, dass mein Roman in den USA und Europa zur Zeit des Kalten Krieges spielt.

Es wird gerade oft von der Rückkehr des Kalten Krieges geredet. Ein Zufall, dass Ihr neuer Roman in dieser Zeit spielt?

Das ist tatsächlich Zufall. Ich habe die Arbeit am Roman bereits vor vielen Jahren aufgenommen. Verrückt ist, dass auch bei mir eine Wahl eine wichtige Rolle spielt, nach der sich die politischen Beziehungen stark verändern. Ich konnte mir beim Schreiben nicht ansatzweise vorstellen, dass dieses Szenario so schnell Wirklichkeit werden könnte.

Werden Sie den Roman hier in Berlin fertigschreiben?

Nein, ich schätze, dass ich noch mindestens bis zur Mitte nächsten Jahres brauchen werde, bis ich fertig bin. Mal schauen, wie weit ich hier komme.

Wie gehen Sie beim Schreiben vor? Macht es beispielsweise einen Unterschied beim Schreiben, ob Sie an einer Erzählung oder einem Roman sitzen?

Nein, nicht wirklich. Das Ziel ist für mich immer das gleiche: gestalte die Handlung und die Charaktere psychologisch so kompliziert wie möglich, aber halte die Sätze und Szenen so klar und dicht wie möglich.

Sind Sie eine schnelle oder eine langsamer Schreiberin?

Ich brauche viel Zeit zum Schreiben. An meinen Erzählungen habe ich insgesamt zehn Jahre gearbeitet, also für jede einzelne habe ich ein bis eineinhalb Jahre gebraucht. Und ich arbeite jeden Tag, ich habe also nichts anderes gemacht. Ich brauche lange, aber das stört mich nicht. Ich muss nicht dreißig Bücher in meinem Leben geschrieben haben, das interessiert mich nicht. Wenn es am Ende fünf oder sechs sind, die zwar viel Zeit gebraucht haben, hinter denen ich dann aber voll stehen kann, dann ist das perfekt.

Fühlen Sie sich selbst als Amerikanerin oder eher als Europäerin oder Israeli?

Ich bin in den USA geboren und eine amerikanische Staatsbürgerin. Aber es gibt für mich nicht diesen einen Ort in der Welt, an dem ich mich vollkommen wohl fühle. Meine Vorfahren kommen aus Osteuropa und ich verbringe viel Zeit in Israel. In den letzten drei Jahren war ich außerdem viel in Europa unterwegs. Gewissermaßen fühle ich mich an vielen Orten der Welt wohl, aber zuhause fühle ich mich nirgendwo so richtig.

Wie schwer fällt es Ihnen, angesichts von Präsident Trump selbstbewusst Amerikanerin zu sein? 

Ich schäme ich mich für diesen Präsidenten. Trump ist ein narzisstischer Soziopath. Es gibt absolut nichts, was man an seiner Wahl positiv sehen kann.

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Wie erklären Sie sich seine Wahl?

Es geht ein enormer Riss durch die amerikanische Gesellschaft. Trumps Kampagne bediente sich der Angst und Wut vieler Amerikaner. Trump hat den Leuten einfach alles Mögliche versprochen, ohne auch nur den Ansatz einer Idee zu haben, wie das Ganze funktioniert. Für mich hat sich das angefühlt, als würde ein Teenager als Schülersprecher kandidieren und versprechen, dass es künftig keine Hausaufgaben, aber Cheeseburger und Schokoriegel für alle geben werde.

Mit Trumps Erfolg nahm auch der Rechtspopulismus und der Antisemitismus in den USA rasant zu. Was macht das mit Ihnen?

Das erschreckt mich außerordentlich. Aber es ist zugegebenermaßen nicht das einzige, das mich erschreckt. Die liberale Umgang mit Waffen, der wachsende Rassismus, all das lässt mein Blut in den Adern gefrieren.

Glauben Sie, dass man diesen Geist des Populismus jemals zurück in seine Flasche bekommen wird?

Ich hoffe es, habe aber auch Angst davor, sollte es nicht gelingen. Mut macht mir, dass die Menschen in den USA, die ich kenne, sich plötzlich für Politik interessieren. Meine Nichten und Neffen, die noch nicht wählen dürfen, wissen Dinge über das politische System in den USA, von denen ich in ihrem Alter keine Ahnung hatte. Die Bereitschaft, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren, hat zugenommen. Die Menschen setzen sich gegen Trumps Politik zur Wehr und werden politisch aktiv. Das gibt mir Hoffnung.

Sprechen wir über Ihre Erzählungen. Was steckt hinter dem Titel »Die Unamerikanischen«?

Als ich über den Titel für das Buch nachgedacht habe, war die offensichtlichste Parallele die zur McCarthy-Ära und das Komitee für unamerikanische Umtriebe, um das es in einigen der Geschichten ja auch geht. Aber ich war auch generell daran interessiert, was „amerikanisch sein“ für die junge Generation der Israelis heißen könnte, weil sie ja jeden Tag mit dem komplizierten und besonderen Verhältnis zwischen den USA und Israel konfrontiert sind. Und ich wollte mir vorstellen, was es für die Menschen bedeutet, die während oder nach dem Krieg aus Osteuropa in die USA geflohen sind, in der Hoffnung, dort eine neue Heimat zu finden, dort aber wie alle möglichen Menschen behandelt werden, nur nicht als Amerikaner. Ich mochte also, dass dieses „unamerikanisch“ auf so vielen verschiedenen Ebene und für so viele verschiedene Generationen eine Rolle spielt und wie ein Dach funktioniert, unter das all diese verschiedenen Geschichten passen.

Es gibt in Ihren Geschichten unglaublich viel Geschichte, die die Menschen mit sich herumschleppen. Sie gehören zur dritten Generation nach dem Krieg. Wollen Sie sich manchmal von dieser Geschichte freimachen oder wird sie immer ein Teil von Ihnen sein?

Ich denke, wir werden sie immer mit uns herumtragen. Wir werden damit immer einen Umgang finden müssen. Ich kann mir aber auch gar nicht vorstellen, als Autorin nicht ebenso viel über die Vergangenheit wie über die Zukunft nachzudenken. Auch deshalb spielt die Geschichte in meinen Erzählungen eine so wichtige Rolle.

Sie tragen den Namen des Ortes, aus dem Ihre Vorfahren stammen. Wie kam es dazu?

Als meine Vorfahren Weißrussland verließen und im Hafen von New York vom Boot stiegen, wurden Sie von einem Einwanderungsbeamten nach ihrem Namen gefragt. Weil sie kein Englisch konnten und ihn nicht verstanden, sagten Sie einfach nur, woher sie kamen, Antopolsky. Es war also ein Missverständnis, aber seitdem trägt meine Familie diesen Namen.

Haben Sie Antopol jemals besucht?

Nein, ich war zwar schon oft in Osteuropa und habe Antopol reisend umkreist, aber ich war noch nie da. Da der Ort im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, habe ich meiner Familie versprochen, so lange nicht hinzufahren, wie noch jemand am Leben ist, der aus diesem Dorf kommt. Aber eines Tages werde ich es natürlich besuchen.

Was bedeutet dieses historische Erbe für Sie persönlich?

Es ist eine Bürde im Leben und ein Geschenk beim Schreiben.

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In einer Ihrer Geschichten sagt einer der Charaktere: »Hast Du jemals daran, und sei es auch nur für eine Sekunde, gedacht, alles hinter dir zu lassen und wie jeder andere zu sein?« Was heißt es für Sie, wie jeder andere zu sein?

Das ist eine große Frage, die hat mir so noch niemand gestellt. Ich weiß nicht, ich glaube, für alle Charaktere in meinem Buch gilt, dass sie ein Teil von einer kleinen isolierten Gemeinschaft sind. Entweder sie sind Mitglied in der Kommunistischen Partei oder sie leben in einem Kibbuz in Israel oder sie sind Mitglied in einer irgendwie gelagerten Minderheitengruppe. Sie alle teilen das Gefühl, zu diesen Gemeinschaften gehören und so sein zu wollen, wie alle anderen in diesen Gruppen. Weil die Gemeinschaft eine Sicherheit bietet, ein Netz, das auffängt, wenn man fällt. Zugleich wollen sie aber auch aus dieser Gemeinschaft raus, weil sie sich irgendwie anders und nicht vollkommen zugehörig fühlen. Mit diesen ambivalenten Gefühlen kämpfen alle meine Figuren.

Wie muss ich mir Ihr Schreiben vorstellen? Kämpfen Sie um jedes einzelne Wort?

Ja, ich ringe mit mir und der Sprache. Aber Schreiben ist ein Prozess, der viel Demut erfordert. Jede Erzählung in »Die Unamerikanischen« wurde mindestens zehn, manche sogar bis zu fünfzehn Mal von mir lektoriert. Das wird auch bei dem Roman so werden, aber so arbeite ich nun mal, ich wüsste nicht, wie ich es anders machen sollte.

Möchte man da nicht manchmal etwas anderes machen, etwas, wo man schneller ein Ergebnis hat?

Nein, das ist das Leben, das ich haben will. Es geht doch darum, dass man etwas macht, das man als sinnvoll empfindet. Darum geht es doch im Leben. Es gibt schöne Dinge im Leben, aber auch viel Schreckliches. Und der einzige Weg, wie ich dem einen Sinn entnehmen kann, ist der des Lesens und Schreibens. Aber ich denke in letzter Zeit viel darüber nach, mir mehr Zeit für Dinge zu nehmen, die mir Spaß haben, aber nichts mit Arbeit zu tun haben. Fotografieren beispielsweise macht mir wahnsinnig Spaß, auch wenn ich darin nie richtig gut oder künstlerisch anspruchsvoll werde. Oder Laufen, und auch da werde ich nie Rekorde brechen. Es geht mir nur um das private Vergnügen.

In allen Erzählungen spielt die Biografie der Charaktere eine Rolle. Dabei geht es immer um die Frage der Identität. Ist es immer noch schwierig, sich zugleich jüdisch-amerikanisch und jüdisch-europäisch oder gar jüdisch-deutsch zu fühlen?

Jetzt gerade? Hier in Berlin? Also für mich ganz sicher nicht. Die Hoffnungen der Welt richten sich doch gerade auf Berlin, hier brennt gewissermaßen das Leuchtfeuer der Hoffnung. Es gibt doch kaum noch jemanden, der Deutschland derzeit nicht als einen der letzten fortschrittlichen Orte der Welt betrachtet.

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Molly Antopol: Die Unamerikanischen. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Hanser Berlin Verlag 2017. 320 Seiten, 19,90 Euro. Hier bestellen

Wie viel von Ihnen selbst steckt in Ihren Charakteren?

Sehr viel. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass alles von mir ist. Oder anders gesagt: ich stecke in jedem meiner Charaktere. Und je weiter die Charaktere von meiner eigenen Erfahrung weg sind, etwa wenn ich aus der Sicht eines älteren Mannes schreibe, desto näher komme ich an die Dinge heran, vor denen ich mich selbst fürchte. Indem ich mich in andere Figuren hineinversetze, kann ich diese Ängste besser erforschen. Als meine Erzählungen herauskamen, wunderten sich einige Kritiker, wie es mir gelungen war, diese nicht-autobiografien Geschichten so authentisch aufzuschreiben, weil sie so weit von meinem Erfahrungshorizont entfernt sind. Einerseits war das richtige, ich habe diese Erfahrungen nicht gemacht und musste daher viel recherchieren. Andererseits aber waren die Erzählungen sehr autobiografisch, weil sie alle Fragen behandelten, die mich seit Jahren faszinieren und fesseln.

Haben Sie Vorbilder beim Schreiben oder orientieren Sie sich an anderen Autoren?

Ja natürlich. Ich lese viel während ich schreibe. Ein großer Teil des Schreibens besteht im Lesen der eigenen Vorbilder. James Baldwin, Grace Pailey, Edward P. Jones oder Alice Munro sind drei sehr wichtige Autoren für mich. Ich lese aber auch sehr viel Poesie, die Sensibilität ist mir wichtig.

Berlin hat eine dunkle Geschichte. Ist es für Sie als jüdische Amerikanerin schwierig, hier in Berlin zu sein?

Ich liebe diese Stadt. Es fühlt sich gut an, hier zu sein, und ich überlege, herzuziehen. Mein Eindruck ist, dass es eine wunderbare Stadt für Künstler ist, man spürt eine unglaubliche Energie. Es scheint, als würden sich die Menschen hier mehr Zeit für die Dinge nehmen, die ihnen Spaß machen. Ich kenne außerdem niemanden, der in dieses Land derzeit nicht einen der letzten fortschrittlichen Orte der Welt sieht. Alle Augen richten sich derzeit doch auf Berlin, hier brennt gewissermaßen das Leuchtfeuer der Hoffnung.