Film

Erinnerungen an einen Besessenen

Bettina Böhlers Filmbiografie »Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien« ist eine materialreiche Hommage an den engagierten Künstler und Freund Christoph Schlingensief. Ein Jahr nach der Premiere auf der Berlinale ist der Film nun für das Heimkino erhältlich.

Gleich zu Beginn dieses aus unzähligen Ausschnitten von Filmen, Bühnenstücken, Aktionen und Fernsehauftritten montierten Memoires an den Künstler, Mensch und Freund Christoph Schlingensief zeichnet dieser vor der Kamera seine Lebenslinie auf. Bettina Böhler, die mit »Auf der Suche nach Ingmar Bergman« bereits eine Künstlerbiografie verantwortet hat und eine der wichtigsten deutschen Filmeditorin ist, geht in ihrem 2020 auf der Berlinale gefeierten Regiedebüt diese Linie bis ganz an den Anfang zurück, um sie dann anhand Schlingensiefs künstlerischem Schaffen nachzuzeichnen.

Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien. Regie: Bettina Böhler. Mit Christoph Schlingensief, Irm Hermann, Udo Kier, Sophie Rois, Tilda Swinton. Weltkino Filmverleih. 125 Minuten. 15,99 Euro. Hier bestellen

Ihre filmische Reise reicht von den ersten filmischen Gehversuchen mit der Super-8-Kamera des Vaters über die drastische Deutschland-Spielfilmtrilogie – bestehend aus »100 Jahre Adolf Hitler«, »Das Deutsche Kettensägenmassaker« und »Terror 2000« –, seine Bühnenarbeit und politische Aktionskunst bis hin zur künstlerischen Verarbeitung seiner Krebserkrankung in der »Kirche der Angst vor dem Fremden in mir«.

Dabei montiert sie private mit Archivaufnahmen, Anekdoten aus seinem medialen Wirken mit seinem künstlerischen Vermächtnis, in dem Irm Hermann, Udo Kier und Sophie Rois zu den herausragenden Akteuren gehören. So tritt mehr und mehr der Mensch hinter dem Künstler in den Vordergrund, dessen Motiv eher nicht die Provokation, sondern mutmaßlich eher die Obsession war.

Böhlers Film macht deutlich, dass Schlingensief – der im vergangenen Jahr 60 Jahre alt geworden wäre – mit jeder Inszenierung, jeder künstlerischen Intervention das beredte Schweigen über die wirklichen Abgründe seiner Zeit brach. Zehn Jahre nach seinem Tod rollt dieser von der AG Kino-Gilde als beste Doku ausgezeichnete Film nicht nur die künstlerische und intellektuelle Hinterlassenschaft Schlingensiefs aus, sondern macht deutlich, wie sehr einer wie er heute fehlt.