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Pokerspiel um Schuld und Sühne

In dem fesselnden Thriller »The Card Counter« von »Taxi-Driver«-Autor Paul Schrader überzeugt Oscar Isaac mit einer eindrucksvollen Performance als Einzelgänger, der sich seiner Vergangenheit stellen muss.

Was für eine Rechnung Kartenzähler William Tillich offen hat, weiß man nicht so genau. Aber dass es hässlich wird, wenn er sie begleicht, lässt der neue Film von »Taxi Driver«-Autor Paul Schrader von Anfang an vermuten. Da sieht man, wie William das Zimmer eines billigen Motels bezieht und in sicheren Handgriffen das Mobiliar in weiße Tücher packt. Als würde hier gleich ein Blutbad stattfinden, dessen Spuren schnell beseitigt werden müssen.

In seinem Tagebuch denkt der Spieler über moralische Schuld und den Preis nach, den jeder für seine Sünden zahlen muss. Unter dem Pseudonym William Tell zieht Tillich von einem Provinzcasino ins nächste. Die einzige kluge Casino-Wette sei Rot-Schwarz beim Roulette, erklärt er aus dem Off, denn die Gewinnchance sei nirgends höher. Dennoch sollte man immer daran denken, rechtzeitig aufzuhören. »Wenn Du gewinnst, musst Du aufhören. Wenn Du verlierst auch.«

Paul Schrader: The Card Counter. Mit Oscar Isaac, Willem Dafoe, Tye Sheridan, Tiffany Haddish. Weltkino Filmverleih 2022. 112 Minuten.

Rechtzeitig aufhören ist seine Strategie. Im Knast hat er gelernt, Karten zu zählen. In den Casinos spielt er nun um Beträge, die ihm seine Existenz sichern, aber niemanden alarmieren. »Dune«-Star Oscar Isaac (»Inside Llewyn Davis«, »A Most Violent Year«) spielt den Glücksspieler William als selbstkontrollierten Einzelgänger, in dem es brodelt. Flashbacks zeigen verzerrte Bilder aus einem Foltertrakt, die an die Bilder aus dem Geheimgefängnis Abu Ghraib erinnern.

Einmal mehr kreist Schrader in seinem filmischen Œuvre (»Dog Eat Dog«, »First Reformed«) um die Frage nach Schuld, Sühne und Vergebung. Dabei lebt sein bei den Filmfestspielen in Venedig gefeierter Film von der knisternden Spannung, die über dem Geschehen am Pokertisch und den Abgründen der Vergangenheit liegt. Beide Welten sind in Dunkelheit gehüllt, die Schraders Kameramann Alexander Dynan in eindrucksvollen Tableaus ausleuchtet.

Cirk und William treffen sich in einem Casino | © Focus Features, LLC

Eines Tages spricht ihn ein junger Mann an, mit dessen Vater William eine gemeinsame Vergangenheit hat. Beide Männer dienten unter General Gordo, gespielt von Willem Dafoe, der im Krieg gegen den Terror auf »erweiterte Verhörmethoden« setzte und Gefangene misshandeln ließ. »Die einzige Chance, das zu überleben, war die Welle des Wahnsinns zu reiten«, erklärt William dem jungen Cirk (Tye Sheridan). Dessen Vater hat der Wahnsinn nicht verlassen. Zurück in Amerika brachte er sich um. Der Sohn strebt nun nach Rache und hofft auf Williams Unterstützung. Statt ihm zur Seite zu springen, bricht er seine eiserne Regel und begibt sich in die Hände von Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish). Als Pokerprofi will er soviel Geld erspielen, das er Cirk ein neues Leben bieten kann.

Im vergangenen Jahr konkurrierte Paul Schrader mit »The Card Counter« in einem stark besetzten Wettbewerb um den Goldenen Löwen der 78. Biennale. Gegen Audrey Diwans Abtreibungsdrama »Das Ereignis« konnte sich aber auch der Altmeister nicht durchsetzen. In diesem Jahr wird die Drehbuch- und Regie-Ikone Schrader bei den 79. Filmfestspiele von Venedig mit dem Goldenen Ehrenlöwen für sein Lebenswerk als »einer der wichtigsten Filmemacher seiner Generation« ausgezeichnet, so Festivalleiter Alberto Barbera. Die 79. Ausgabe des renommierten Filmfestivals findet vom 31. August bis 10. September 2022 statt.

Willem Dafor als General Gordo | © Lucky Number, Inc. All rights reserved

Aber zurück zum Film. »The Card Counter« ist eine ungewöhnliche Kombination, mit der Schrader die amerikanischen Alpträume von Kriegstrauma und sozialem Abstieg bearbeitet. Das funktioniert auf faszinierende Weise gut, auch weil Oscar Isaacs Spiel von großer Anziehungskraft ist. Und natürlich knüpft Schrader auch hier an sein Vorbild Robert Bresson und seiner großen Referenz in dessen Spielfilm »Pickpocket« an. So wie er Isaac immer wieder in seinen geradezu klinisch leeren Hotelzimmern inszeniert, wirkt dies fast wie ein direktes Zitat. Viel offensichtlicher wird dies aber in der Grundsatzfrage nach Schuld und Sühne, die »Taxi Driver«-Autor Paul Schrader in diesem packenden Drama diskutiert.

Schrader hatte im Frühjahr seinen Film selbst als den besten Film des Jahres bezeichnet. Darüber kann man sicherlich streiten. Dass er zu den besten Filmen des Jahres gehört, ist hingegen unbestreitbar.