Film

Die Einsamkeit der Angehörigen

Der Regisseur Hans-Christian Schmidt hat den autofiktionalen Roman »Wir sind dann wohl die Angehörigen« verfilmt. Erzählt wird die Geschichte der Entführung des Soziologen und Mäzens Jan Philipp Reemtsma aus der Perspektive seines 13-jährigen Sohnes.

Am 25. März 1996 ändert sich das Leben des 13-jährigen Johann Scheerer für immer. Das liegt weder an der anstehenden Lateinarbeit noch an den Diskussionen um das Logo seiner Schülerband »Am kahlen Aste«, sondern an einem »Abenteuer«, dass er mit seiner Mutter bestehen muss. Sein Vater ist gekidnappt worden, die Entführer fordern 20 Millionen D-Mark Lösegeld. Mehr als zwanzig Jahre später wird der echte Johann Scheerer sein Buch »Wir sind dann wohl die Angehörigen« schreiben, in dem er sich aus der Perspektive seines 13-jährigen Ichs an die Entführung seines Vaters, den Hamburger Publizisten und Mäzen Jan Philipp Reemtsma, erinnert.

Die gleichnamige Verfilmung des Buches von Hans-Christian Schmid (»Was bleibt«, »Requiem«, »Lichter«) zeichnet nun konsequent diese Teenager-Perspektive nach. Im Mittelpunkt stehen neben den scheiternden Geldübergaben, alerten Hilferufen und den Erwachsenen am Rand des Nervenzusammenbruchs vor allem die Gefühle von Johann, sein Ärger, seine Ängste und seine (vollkommen unberechtigten) Schuldgefühle.

Johann (Claude Heinrich) und seine Mutter Ann Kathrin Scheerer (Adina Vetter). | Copyright: Pandora Film

Der Film setzt ein am Tag vor der Entführung, als Johann mit seinem Vater für eine Lateinklausur lernen soll. Der 13-Jährige hat allerdings wenig Verständnis für Vergil und dessen Bedeutung für die heutige Literatur, so dass das Ganze ziemlich nach hinten losgeht. Am nächsten Morgen ist der gerade noch nervige Vater verschwunden und Angst angesichts der willkürlichen Gewalterfahrung macht sich in Johann breit.

Noch am gleichen Tag ziehen zwei »Angehörigenbetreuer« der Polizei in die Familienvilla ein. Und schon der Satz, mit dem Sie sich vorstellen, klingt verheerend. »Ich betreue die Angehörigen« klingt, als sei Reemtsmas schon nicht mehr am Leben. Und genau diesen Eindruck wird Johann nicht mehr los. Ihr eigentliches Anliegen besteht darin, die Verhandlungen mit den Entführern im Sinne der Polizei zu führen und die Familie mit Floskeln zu beruhigen.

Vera und Nickel (Yorck Dippe, Enno Trebs) beraten sich mit Christian Schneider (Hans Löw), dem Anwalt Johann Schwenn (Justus von Dohnányi) und der Familie. | Copyright: Pandora Film

Die Interessen der Familie werden von Reemtsmas Anwalt Johann Schwenn und Familienfreund Christian vertreten. Letzterer kümmert sich als Patenonkel vor allem um Johann, kauft mit ihm eine neue E-Gitarre und sucht immer wieder das vertrauliche Gespräch. Dass er dabei so manchen Wunsch der Mutter erfüllt, ahnt Johann nur, während die Zuschauer es ganz sicher wissen. Nicht nur hier verlässt der Film immer wieder die Perspektive von Johann, um die Geschichte in einem größeren Zusammenhang zu erzählen. So nimmt die bizarre Notgemeinschaft, die sich in Johanns Haus zusammenfindet, immer mehr Raum ein und wir erfahren, wie ihre Mitglieder mehr als einmal aneinander verzweifeln und voneinander enttäuscht sein werden.

»Es waren zwei Geldübergaben gescheitert und mein Vater vermutlich tot. Das Faxgerät hatte kein Papier mehr, wir keine Reserven, und irgendwo lag ein Brief mit Neuigkeiten.« Wie fühlt es sich an, wenn einen die Mutter weckt und berichtet, dass der eigene Vater entführt wurde? Wie erträgt man die Sorge, Ungewissheit, Angst und die quälende Langeweile? Wie füllt man die Tage, wenn jederzeit alles passieren kann, man aber nicht mal in die Schule gehen, Sport machen, oder Freunde treffen darf? Und selbst Die Ärzte, Green Day und die eigene E-Gitarre nicht mehr weiterhelfen?

Die Geschichte einer Entführung aus der Sicht von Menschen im Ausnahmezustand zu erzählen, birgt die Gefahr, den Blick für das Wesentliche zu verlieren und ins überzogene Dramatisieren abzugleiten. Hans-Christian Schmid und seinem Co-Autor Michael Gutmann haben der Adaption aber eine bemerkenswerte Balance eingeschrieben. So bleibt der Film nah bei den Angehörigen und gibt der Qual ihrer Ungewissheit und dem nervtötendem Warten Raum.

Johann (Claude Heinrich) und seine Mutter Ann Kathrin Scheerer (Adina Vetter) im Garten ihres Hauses. | Copyright: Pandora Film

Adina Vetter etwa spielt die zunehmend in die Hysterie gleitenden Mutter, die zwischen der Sorge um ihren Mann und der Sorge um ihren Sohn zerrissen wird, mit großem Gewicht. Neben ihr beeindruckt Claude Albert Heinrich als 13-jähriger Reemtsma-Spross, der seiner Figur eine große Gewissheit einschreibt, während sie mit jeder neuen Hiobsbotschaft mehr und mehr in Verzweiflung versinkt und sich isoliert – wissend, dass ihn niemand verstehen kann und will.

Zugleich zeigt Schmid den Interessenkonflikt zwischen der Familie und der ermittelnden Behörde, die nicht nur den Familienvater befreien, sondern auch die Täter schnappen will. Dass Wissen darum, dass beides gelungen ist, nimmt dem Film zwar etwas Spannung. Seinen Reiz entwickelt das Drama aber ohnehin aus einer anderen Quelle: den bislang wenig gehörten Eindrücken und Prägungen der Angehörigen.

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