Film

Die lässig-weirde Poesie des Jim Jarmusch

Jim Jarmusch gilt als Erfinder des amerikanischen Autorenkinos, Filme wie »Stranger Than Paradise«, »Down By Law« und »Dead Man« sind längst Kult. Seit seinem 70. Geburtstag liegt eine vollständige Sammlung seines filmischen Schaffens vor.

»Es geht nicht darum, woher die Dinge kommen, sondern wohin sie dich führen«, hat Jean-Luc Godard einmal gesagt. Die Galionsfigur der Nouvelle Vague ist für Jim Jarmusch einer der wichtigsten Filmemacher überhaupt. In Interviews bezog er sich immer wieder auf ihn, etwa wenn er behauptete, dass es im Kino keine Originalität, sondern nur Authentizität gebe. Entsprechend könne man sich gelassen an anderen Stoffen bedienen. Was der Kultregisseur dann auch ausführlich tat. Ob Western, Vampirfilm oder Zombiestreifen – kein Sujet war Jarmusch zu abwegig, um darin nicht die Welt zu spiegeln.

Jim Jarmusch: Jim Jarmusch Complete Collection. Mit Bill Murray, Tilda Swinton, Cate Blanchett, Chris Parker, Leila Gastil, John Lurie, Eszter Balint, Richard Edson, Tom Waits, Roberto Benigni, Nicoletta Braschi u.v.m. Studiocanal 2023. 69,99 Euro.

Im vergangenen Jahr ist der amerikanische Regisseur 70 Jahre alt geworden, zum feierlichen Anlass erschien erstmals eine vollständige Werkausgabe für das Heimkino. In seinen 15 Filmen, die seit 1980 unter seiner Regie entstanden sind, folgte Jarmusch nie dem Ansatz der großen Hollywood-Projekte, einer mehr oder weniger mitreißenden Story mit der Kamera hinterherzurennen, sondern stets einer visuellen Idee, zu der sich dann eine Geschichte fügt. Jarmuschs Kino ist nicht nur unterhaltsam, sondern eine großartige Schule des Sehens.

Seinen internationalen Durchbruch feierte er 1984 mit »Stranger Than Paradise«, einem amerikanischen Roadmovie in schwarzweiß, der so langsam erzählt ist, dass er manchmal fast auf der Stelle steht. Wie eine fotografische Studie lässt der Film Amerika an seinen Rändern leuchten. Schon hier sieht man die Einflüsse des europäischen Kinos und von Filmemachern wie Nicholas Ray oder Wim Wenders, von denen Jarmusch sich das Handwerk abgeschaut hat.

Chris Parker in Jim Jarmuschs Debütfilm »Permanent Vacation«

Bereits 1980 erschien sein Debütfilm »Permanent Vacation«, mit dem er sein Studium abschließt. Darin porträtiert er einen heimatlosen Jugendlichen in News York. Schon hier ist der Jarmusch-Sound voll und ganz da: knappe Dialoge, New Wave und Jazz, ausgedehnte Kamerafahrten. Jarmusch war von Anfang an ein Autorenfilmer durch und durch, sein Kino ist der Welt abseits des Mainstreams gewidmet.

Die Gegenkultur hatte es ihm schon früh angetan, Beatniks wie William S. Burroughs und Jack Kerouac oder Bands wie Mothers of Invention nahmen ihn gefangen. Später schrieb er selbst Lyrik, bis heute macht er Musik. Am erfolgreichsten ist er aber mit seinem Kino, das lässig und cool daherkommt, aber nie ohne Tiefe ist.

John Lurie und Eszter Balint in Jim Jarmuschs Durchbruch »Stranger Than Paradise«

Mit Filmen wie »Down By Law«, »Mystery Train«, »Night on Earth« und »Dead Man« folgte zwischen 1986 und 1995 eine Serie von Meisterwerken, die Jarmusch einen Platz im Olymp des unabhängigen Kinos sichern. In »Down By Law« spielen die Musiker John Lurie und Tom Waits zwei abgehalfterte Typen, die im Knast von New Orleans auf den schrägen Italiener Bob, gespielt von Roberto Benigni, treffen. Der ist dann auch das heimliche Zentrum des Films, seine Störfeuer sind legendär. Im Booklet zur Werkausgabe erfährt man, dass er den größten Teil seiner Performance improvisiert hat.

Wie viele der Jarmusch-Figuren sind die drei liebenswerte Freaks, die fremd in einer Gesellschaft wirken, die allen die kalte Schulter zeigt. Seine Anti-Held:innen stolpern und stolzieren durch Settings, die ruinös und doch romantisch angehaucht sind. Die Referenzen sind leidlich versteckt, Zitate aus der Popkultur durchdringen seine zu modernen Klassikern gewordenen Filme, weshalb Jarmusch-Anhänger:innen zu leidenschaftlichen Diskussionen anheben, wenn ein neuer Film des Amerikaners das Werk weitet.

John Lurie, Roberto Begnigni und Tom Waits in Jim Jarmuschs Gefängnisfilm »Down By Law«

In Episodenfilmen wie »Mystery Train« oder »Night on Earth« gibt Jarmusch der Welt einen Raum, in dem sie sich entfalten kann. Seine Elvis-Story in Memphis, Tennessee bewohnen nicht nur zwei aus Yokohama angereiste Japaner, sondern auch einige Südstaaten-Punks, mit denen er den amerikanischen Rassismus gegen den Strich bürstet. In »Night on Earth«, seiner ganz eigenwilligen Version von »Taxi Driver«, lässt er Winona Ryder mit Gena Rowlands durch Los Angeles streifen. Armin Müller-Stahl macht mit Giancarlo Esposito New York unsicher, Isaach de Bankolé kutschiert eine blinde Beatrice Dalle durch Paris, Roberto Benigni bringt mit seinen römischen Sex-Stories Paolo Bonacelli um den Verstand und in Helsinki kutschieren vier Freunde Kaurismäki-haft durch die Nacht.

In seinem weirden Western »Dead Man« lassen Jarmusch und sein Main Act Johnny Depp den Naturmystiker William Blake in Gestalt eines Beamten wieder auferstehen und auf einen weisen Native mit dem vieldeutigen Namen Nobody treffen, der ihm ins Ohr flüstert, einst ein Dichter und Maler gewesen zu sein, jetzt aber als »Mörder an weißen Männern« durch die Welt zu gehen. Depps passiver Charakter bildet »eine Art Gefäß, das uns [zu den Klängen von Neil Young, A.d.A.] durch die Geschichte führt«, erklärte Jarmusch später in einem Interview.

Johnny Depp als William Blake in Jim Jarmuschs Anti-Western »Dead Man«

Der Anti-Western »Dead Man« ist nur eines von vielen Beispielen, in denen Jarmusch mit den Genres spielt. Mit Forest Whitaker als Killer »Ghost Dog« versucht er sich an einer Neu-Interpretation der amerikanischen Mafia-Geschichte, indem er sie mit Hip Hop und Martial Arts kreuzt. In »Only Lovers Left Alive« erfand er den Vampir-Film neu, in »The Dead Don’t Die« präsentierte er seine eigene Version von »Walking Dead« in Zeiten von Klimawandel und Trump. Dabei hat er keine Angst vor Leichtigkeit. Er inszeniert einen Roadmovie ebenso leidenschaftlich und ernsthaft wie einen Vampir- oder Zombiefilm. Im Zentrum stehen jedoch immer wieder die angeregten Gespräche.

Das Jarmusch-Kino ist voller (pop)kultureller Verweise, die von Lyrik (»Down By Law«) über Hip Hop und japanischen Schwertkampf (»Ghost Dog«) bis hin zum Horrorfilm (»The Dead Don’t Die«) reichen. Poetisch eigenwillig erzählt er immer wieder beiläufig von einem Amerika abseits des Mainstreams (»Broken Flowers«, »The Limits of Control«, »Patterson«), für das sich die großen Hollywood-Produktionen nicht interessieren.

Adam Driver und Bill Murray in Jim Jarmuschs Zombie-Persiflage »The Dead Don’t Die«

Stars wie Roberto Begnigni, Bill Murray, Cate Blanchett, Tilda Swinton oder Adam Driver verkörpern seine skurrilen Figuren, Musikikonen wie Neil Young, Tom Waits oder Iggy Pop liefern den lässigen Sound, der seinen Filmen immer wieder den Rhythmus vorgibt. Der Weg war Jarmusch immer wichtiger als das Ziel – nichts führt das besser vor Augen, als sein Kino.

»Die Schönheit des Lebens liegt in den kleinen Dingen, nicht in den großen Ereignissen«, wird Jarmusch im Begleitbuch zur Werkschau zitiert. Indem er den kleinen Dingen Raum gibt, erscheint die Welt in einem neuen Licht, weil wir genauer hinsehen. Die amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael verglich Jim Jarmusch einmal mit Samuel Be­ckett. Wenn dessen Theater einen das genaue Hinhören lehre, lerne man bei Jarmusch, genau hinzusehen. Mit der Werkschau kann man sich diesem Lernprozess noch einmal voll und ganz hingeben.