Film

Simply The Best

Eine zweistündige Dokumentation zeichnet Leben und Leiden der Queen of Rock Tina Turner nach. Beneidenswert ist dieses Leben nicht, aber eines, das einen genauen Blick verdient.

Nicht nur auf der Bühne war Tina Turner eine Erscheinung, dort aber besonders. Das macht schon der Einstieg in die knapp zweistündige HBO-Dokumentation der Oscar-Gewinner T. J. Martin und Daniel Lindsay (»Ungeschlagen«) deutlich. Im silbernen Flitterkleid und eindrucksvoller Löwenmähne sieht man sie bei einem energiegeladenen Open-Air-Konzert die Bühne rocken und mit voller Inbrunst »Ask me how I feel« singen. Der Konzertausschnitt ist – wie alle anderen in diesem Film – nicht zufällig gewählt. Er wirkt wie ein Hilferuf, den nie jemand gehört hat.

Ihre ersten Schritte ins Showbusiness machte Anna Mae Bullock, aufgewachsen auf einer Baumwollfarm im Süden der USA, an der Seite ihres späteren Ehemanns Ike Turner. Als Teenager besuchte sie die Konzerte seiner Band »Kings of Rhythm«, die in den 50ern mit »Rocket 88« die R&B-Billboard-Charts stürmte. Als Backgroundsängerin durfte sie ab Ende der 50er mit der Band auftreten. Im Hintergrund blieb sie nicht lange, ihre markante Stimme wurde bald zum Aushängeschild. Während Anna Mae jedoch nur singen wollte, erkannte Ike das Superstar-Potential in ihr. Er gab ihr einen neuen Namen und feierte mit ihr fortan als »The Ike & Tina Revue« große Erfolge. Darunter leiden mussten vor allem ihre Kinder, die die Eltern mehr im Fernsehen als in der heimischen Küche sahen.

Während der Karriereweg von Tina Turner steil nach oben führte, ging ihr Privatleben vor die Hunde. Ike konnte nicht ertragen, dass er mehr und mehr in den Schatten seiner Frau geriet. Erst schrie er sie an, dann begann er sie zu schlagen, später missbrauchte er sie regelmäßig. »Ich hatte irrsinnige Angst vor dem Mann«, gestand Tina Turner dem Musikjournalisten Kurt Loder 1981 in einem bahnbrechenden Interview.

Loder ist einer der Weggefährten, der in der Dokumentation »Tina« auf den Werdegang der Sängerin zurückblickt. Die aktuellen Gespräche mit Oprah Winfrey, Roger Davies oder Tina Turner selbst ergänzen und kommentieren die historischen Videoaufnahmen, Konzertmitschnitte und Nachrichtenschnipsel, mit denen die Macher die Licht- und Schattenseiten dieser Karriere nachzeichnen. Den größten Schatten wirft die gewaltvolle Beziehung zu Ike Turner über dieses Leben.

Daniel Lindsay, T. J. Martin: Tina | © Rhonda Graam

Unaufhaltsam steuert die Dokumentation in der ersten Stunde auf dieses schmerzhafte Kapitel zu. Als wollte sich der Film von dieser Last befreien, um endlich von der Neuerfindung Tina Turners als Rock-Ikone erzählen zu können. Letztlich erleidet er aber das gleiche Schicksal wie die Sängerin. Die hatte fünf Jahre nach ihrer Trennung von Ike nur deshalb mit Loder gesprochen, um dessen Schatten ein für allemal abzuwerfen und endlich – mit Anfang 40! – eine eigene Karriere zu starten. Also legte sie ihre Gewalterfahrung offen und erzählte, wie sie 1976 aus dem Tour-Hotel in Dallas floh, die Scheidung einreichte und alles bis auf ihren Künstlernamen an Ike abtreten musste.

Das Interview sollte ein Befreiungsschlag werden, entpuppte sich aber als Büchse der Pandorra. Denn weder die mit harter Arbeit gestartete Solokarriere noch der gigantische Erfolg ihrer Alben »Private Dancer« oder »Break Every Rule« verhinderten, dass sie bei fast jedem Auftritt auf die Ike-Story angesprochen wurde. Als ignorant, retraumatisierend und deprimierend ordnen Weggefährten wie Oprah Winfrey, Angela Bassett, Katori Hall oder der langjährige Manager Roger Davies diese Erfahrung ein. Das all dies hier noch einmal detailliert aufgearbeitet wird, macht es nicht besser.

Daniel Lindsay, T. J. Martin: Tina | © Rhonda Graam

»Ich hatte viel Gewalt erfahren. Das kann man nicht anders erzählen«, rechtfertigt Turner dies im exklusiven Interview zur Doku, die ihr Ehemann Erwin Bach als Produzent verantwortet. Sie solle am Ende einer langen Karriere einen »versöhnlichen Abschluss« darstellen, so Bach. Dafür wird auch nichts öffentlich gemacht, was nicht schon öffentlich ist.

Das Urtrauma, von der Mutter als Kind sitzengelassen zu werden, bleibt hier nur eine Randnotiz. Der Selbstmord von Tina Turners Sohn Craig (dem der Film gewidmet ist) und ihre bedrückende Krankheitsgeschichte (Schlaganfall, Krebs, Nierenschaden) werden gar nicht erwähnt. Auch eine grundsätzliche Einordnung des Aufstiegs einer schwarzen Sängerin in den Olymp der immer noch vorwiegend weißen Rockmusik bleibt aus.

Daniel Lindsay, T. J. Martin: Tina. Mit Tina Turner, Oprah Winfrey, Roger Davies, Kurt Loder. Universal Home Entertainment 2021. 118 Minuten.

Stattdessen zeichnet »Tina« das Nebeneinander von Höhepunkten und Tiefschlägen der Sängerin eindrucksvoll in Wort, Bild und Musik nach. »Es war kein gutes Leben«, gesteht Tina Turner darin. Aber eines, auf das zurückzublicken sich lohnt.