Literatur, Roman

Prix Goncourt 2025 geht an Laurent Mauvignier

© Thomas Hummitzsch

Der französische Autor Laurent Mauvignier erhält in diesem Jahr den renommierten Prix Goncourt für sein Buch »La Maison vide«. Dies teilte die Académie Goncourt gestern mit. Sein ausgezeichneter Roman erzählt die Geschichte von vier Generationen in der Kulisse eines alten Landhauses. Zuletzt erschienen in Deutschland seine Romane »Geschichten der Nacht« und »Von Menschen«.

Der knapp 750 Seiten starke Mehrgenerationen- und Familienroman sei »von grundlegender Bedeutung« weil er die Leser dazu bringe, über die Gegenwart nachzudenken, sagte der Präsident der Académie Goncourt Philippe Claudel. Von der französischen Kritik wird der Roman als Höhepunkt von Mauvigniers Schaffens bezeichnet. Mauvigniers Schreiben sei ein Akt des Widerstands gegen das Glätten und Verfälschen der Vergangenheit, schreibt Kai Nonnenmacher bei Rentrée Littéraire, das in privaten wie offiziellen Darstellungen stattfinde, und suche nach einer emotionalen und psychologischen Wahrheit hinter den etablierten Fakten.

Laurent Mauvignier: La Maison Vide. Les Éditions de Minuit 2025. 752 Seiten. 25,- Euro. Hier bestellen https://www.leseditionsdeminuit.fr/livre-La_Maison_vide-3486-1-1-0-1.html
Laurent Mauvignier: La Maison Vide. Les Éditions de Minuit 2025. 752 Seiten. 25,- Euro. Hier bestellen.

Laurent Mauvignier wurde 1967 in Tours geboren und studierte dort an der École des Beaux-Arts Bildende Kunst. Seit 1999 schreibt der in Rennes lebende Autor Romane, Theaterstücke und Drehbücher für Film und Fernsehen. Seine Nicht-Berücksichtigung wurde in den vergangenen Jahren in Frankreich immer wieder kritisiert. Nun hat er den mit nur zehn Euro dotierten, aber renommiertesten Literaturpreis der französischsprachigen Welt erhalten.

Im Mittelpunkt seines ausgezeichneten Romans, der in Frankreich bei Les Éditions de Minuit erschienen ist, steht ein altes verlassenes Landhaus. Jahrzehntelang verschlossen, werden dessen Tore und Fenster wieder geöffnet und mit ihnen die Erinnerungen, Gesichter und Geheimnisse von vier Generationen. Ein Klavier, eine kaputte Marmor-Kommode, Fotos mit herausgeschnittenen Gesichtern – diese Objekte sind nicht nur Zeugen, sondern Schlüsselelemente dieses Hauses, das von Kriegen, von Schweigen, von willensstarken Frauen und verschwundenen Männern geprägt ist.

Mauvignier verwebe das Persönliche mit dem Historischen, schreibt sein deutscher Verlag Matthes & Seitz Berlin. Es gehe um die Frage, wie viel Herkunft uns prägt und wie wenig wir über die Menschen wissen, denen wir folgen. »La Maison vide« sei ein Buch über das Schweigen der Familien, über den Mut zu erinnern und über die erschütternde Kraft, die entsteht, wenn man beginne, in vermeintlich leere Räume einzutreten. Die deutsche Übersetzung von Claudia Kalscheuer soll 2027 bei Matthes & Seits Berlin erscheinen.

Sieben Romane von Laurent Mauvignier sind ins Deutsche übersetzt, einige sind nur antiquarisch lieferbar. Abgelegene Häuser spielen in seinen Romanen als Handlungsort immer wieder eine Rolle. Sein letzter Roman »Geschichten der Nacht«, der 2023 in der Übersetzung von Claudia Kalscheuer erschienene Roman, handelt von vier Menschen, die zurückgezogen in der französischen Provinz leben und ein Geheimnis teilen. Marion, Patrice, Ida und Christine haben Differenzen, doch zu Marions vierzigsten Geburtstag kommen sie zum Feiern zusammen. Drei Unbekannte tauchen auf und bald eskaliert die intime Feier in einer Spirale der Gewalt. »Geschichten der Nacht« ist ein Thriller, der unter die Haut geht, sprachlich präzise und abgründig wie die Nacht.

Romane von Laurent Mauvignier in deutscher Übersetzung

Ebenfalls 2023 ist Annette Lallemands Übersetzung des Romans »Von Menschen« bei Wagenbach erschienen. Der spielt in einem abgelegenen französischen Bergdorf, in dem bei einem Geburtstagsfest freigelegt wird, was jahrzehntelang verschwiegen wurde. Es geht um ungelebte Liebe, verpasste Chancen und das unaufhörliche Nagen von Verletzungen und Enttäuschungen. Mauvignier umkreise die historische und die individuelle Wahrheit seiner Figuren, heißt es beim Verlag, seine sprachlichen Bilder seien nachdenklich und genau.

Darüber hinaus sind vor Jahren die Romane »Mit leichtem Gepäck«, »Was ist ein Leben wert?« und »Die Wunde« in der Übersetzung von Annette Lallemand bei dtv und bei Eichborn die Romane »Fern von euch« sowie »Ein Ende finden« in der Übersetzung von Josef Wininger erschienen.

Finale Auswahl für den Prix Goncourt 2025

Mauvignier hatte für »La Maison Vide« in diesem Jahr bereits den Prix Littéraire Le Monde, den Prix des libraires de Nancy – Le Point und den Prix Landerneau erhalten. Beim prix Goncourt setzte er sich in der ersten Abstimmungsrunde gegen die Familienromane »Le Bel Obscur« von Caroline Lamarche, »La nuit au cœur« von Nathacha Appanah den von den Medien favorisierten Roman »Kolkhoze« von Emmanuel Carrère durch.

Nathacha Appanahs Roman »La nuit au cœur«, der anhand der Geschichten von drei Frauen von häuslicher Gewalt erzählt, wurde noch am selben Tag mit dem Prix Feminina ausgezeichnet.

Emmanuel Carrères Roman »Kolkhoze« handelt von seinem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter Hélène Carrère d’Encausse, einer Russlandhistorikerin und ständigen Sekretärin der Académie française, und wurde mit dem Prix Medicis ausgezeichnet.

Im vergangenen Jahr wurde der nach Frankreich geflohene algerische Schriftsteller Kamel Daoud mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Er erhielt den Preis für seinen Roman »Houris«, der vom algerischen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren handelt. Die hervorragende deutsche Übersetzung von Sabine Müller und Holger Fock ist vor wenigen Wochen bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.