Alle Artikel in: Roman

© Thomas Hummitzsch

Die Wundertüte der Literatur

Lange Zeit als Fleißpreis verschrien, bietet der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung den Wortschauflern der Literatur die Anerkennung, die ihnen oft verwehrt bleibt. Die fünf nominierten Bücher sind erzählerische Meisterwerke, deren Genuss wir ihren Übersetzer_innen verdanken.

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Literatur, lass es krachen

Die Welt ist am Ende, es lebe die Literatur. Es ist nicht das schlechteste Zeichen, wenn die nominierten Titel für den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse literarisch etwas wagen. Dabei entführen sie nach Norddeutschland, in den wilden Osten oder in die weite Welt, schwanken zwischen Milieustudie, postmoderner Odyssee, Weltminiatur und regionaler Geschichtsschreibung. Neben vier bemerkenswerten Titeln gibt es auch einen, den man schnell wieder vergessen wird.

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Achterbahnfahrt mit Zombies

Dath-Welten sind Nerd-Welten. Da werden schon mal ganze Arten abgeschafft oder Gesellschaft hinter tausend Monden neu erfunden. Sein neuer, brandaktueller Roman ist ein rasanter Abgesang auf den Zeitgeist, in dem Metaphysik, politische Theorie und Biopolitik die Klingen kreuzen, um am Ende einen Konzertsaal in die Luft zu jagen.

Nis-Momme Stockmann | Foto: Thomas Hummitzsch

Stranger than fiction oder: Der Raum, wo das Neue wäre, bleibt unerreichbar

Der Dramatiker Nis-Momme Stockmann kann sich berechtigte Hoffnungen auf den Preis der Leipziger Buchmesse machen. In seinem 700-seitigen Debütroman »Der Fuchs« schlittern die Leser auf verschiedenen, kompliziert ineinander gewundenen Erzählbahnen durch das komplexe Ideen- und Gedankengebäude des Erzählers Finn Schliemann, in dessen Kopf Zustand und Perspektive von Mensch, Welt und Kosmos vielstimmig verhandelt werden. Ein Gespräch über das Ende der Postmoderne, die Lage der Nation, Verramschungsklauseln und bierlaunige Theaterkritik. Oder anders gesagt, ein Gespräch über »reden und schreiben und meinen und denken und fühlen«.

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Hochgelobt und totmassiert

Der New Yorker Sprachkünstler Ben Lerner legt mit »22:04« einen schmalen, aber großen Roman über das Werden des Menschen und des Künstlers vor. Seine Prosa ist ebenso betörend wie verstörend. Seine Sprache durchbricht immer wieder das Sagbare und macht so die Komplexität der Moderne verständlich.

Inside Refugee oder: Abbas Khider und sein Roman zur Stunde

Auch wenn der neue Roman des Deutsch-Irakers Abbas Khider vor der Kulisse des zweiten Golfkriegs spielt, ist der lückenlose Erfahrungsbericht seines in Deutschland gestrandeten Asylsuchenden von höchster Aktualität. Wer verstehen will, was die Flüchtlingspolitik mit den Betroffenen im Inneren anrichtet, muss diese »Ohrfeige« auf das europäische Asylsystem lesen.

Die letzte Ausfahrt vor der Verantwortung

Ann hat nicht nur ihren Mann, sondern auch den Kontakt zum Leben verloren. Sie macht sich auf die Suche nach sich selbst und begegnet dabei einem Pariser Kommissar, der vor seiner Beförderung davon- und seinem wahren Ich entgegenläuft. Was es heißt, das Leben in die Hand zu nehmen und welche Kapriolen es dann schlägt, davon erzählt der Berliner Autorin Katerina Poladjan in ihrem Roman »Vielleicht Marseille«. Ein Gespräch über die innere Heimat, Selbstverlust und Selbstermächtigung und über das Bedürfnis, an die Hand genommen zu werden.

Das Leben, nur ein Windstoß

Anthony Doerr ist einer der größten Erzähler Amerikas. Für »Alles Licht, das wir nicht sehen« erhielt er im vergangenen Jahr den Pulitzerpreis für Literatur. Der Roman ist zweifellos eines der eindrucksvollsten und berührendsten Bücher, das vom Kampf ums Überleben und der Unmenschlichkeit des Krieges erzählt. Seine Besprechung bildet den Auftakt einer Doppel-Kritik-Reihe, deren Gegenstück von Sabine Blackmore auf dem Blog Litdocs erschienen ist.

Berliner Literatur(t)räume

Das Literaturjahr 2015 hat gezeigt, dass Berliner Autoren erfolgreicher schreiben, als die Hauptstadtclubs Fußball spielen. Ob das Literaturjahr 2016 mithalten kann, bleibt abzuwarten, aber es gibt einiges, worauf man sich freuen kann. Das Schöne daran: der besonderen Provinzialität von Berlin wird schreibend definitiv ein Ende gemacht wird.

Materialsammlung aus V.M.Strakas Roman »Das Schiff des Theseus« | Foto: Thomas Hummitzsch

Die Sirenen am Seitenrand

J. J. Abrams und Dough Dorst präsentieren mit »S. – Das Schiff des Theseus« klassische Odyssee, Detektivgeschichte und literarische Verschwörungstheorie in einem. Ihr haptisches Werk ist das Meta-Buch des Jahres, das wie kein anderes vorführt, wo die Grenzen des eBooks liegen.

Bora Cosic | Foto: Thomas Hummitzsch

»Von normaler Prosa versuche ich mich fernzuhalten«

Bora Ćosić ist zweifellos einer der größten osteuropäischen Autoren, über dreißig Bücher hat er bislang geschrieben. Mit »Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution« hat er seinen literarischen Durchbruch gefeiert, nun ist in Deutschland erstmals sein in den siebziger Jahren geschriebenes Opus Magnum »Die Tutoren« in der famosen Übersetzung von Brigitte Döbbert erschienen. Ein Gespräch über dieses sprachgewaltige und vielstimmige Werk, das in Jugoslawien zum Kultbuch avancierte, weil dessen Autor auf jeder Seite ein Fest des Oralen feiert und es nicht wie Marcel Proust dabei belässt, das Gewesene zu verehren.

Anke Stelling | Foto: Thomas Hummitzsch

Die Gemeinschaft ist eine Utopie

Anke Stellings Roman »Bodentiefe Fenster« stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis und auf der Hotlist des Preises der unabhängigen Verlage. Ausgezeichnet wurde der Roman schließlich mit dem Melusine-Huss-Preis. Die Wohlstandsgesellin Sandra erzählt darin ebenso ermattet wie sarkastisch von ihrem Alltag in einem offenen Wohnprojekt und davon, wie der Lebensauftrag ihrer Eltern, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zur Stolperfalle wird. Ein Gespräch über Fallstricke und Rettungsseile im gemeinschaftlichen Leben hinter bodentiefen Fenstern.

Witzel in der Maschine

Vor zwei Wochen wurde Frank Witzels kühner Roman »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« als bester deutschsprachiger Roman des Jahres ausgezeichnet. Seither läuft die Buchpreis-Maschine auf Hochtouren, man hört von weiteren Auflagen, Hörbuch, Taschenbuch, Auslandslizenzen und schauspielerische Inszenierungen.