Der französische Comiczeichner und Filmemacher Riad Sattouf öffnet die Augen für die wirklich wichtigen Dinge, ganz egal, ob er den Zeichenstift in die Hand nimmt oder zur Kamera greift.
Nein, am Anfang war nicht das Wort, sondern eine magische Zeichentafel. Geschenkt bekam sie der kleine Riad von Tarek, einem Leibwächter des syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad. Dieser gehört zu den einflussreichen Freunden, auf die sich Riads Vater immer wieder bezieht, wenn er seiner Familie ein Leben in Saus und Braus verspricht. Mit dieser Zeichentafel hat Riad Sattouf im zarten Alter von neun Jahren seine Leidenschaft für das Zeichnen entdeckt. So zumindest wird es im dritten Teil seiner grandiosen und preisgekrönten Erinnerungen »Der Araber von morgen« erzählt.
Demnach war das für syrische Verhältnisse sündhaft teure Präsent kein Zufall. Denn Tarek war einer der Studenten von Riads Vater, der noch seinen Abschluss machen musste. Und obwohl sich Dr. Sattouf als unbestechlichen Prüfer beschreibt, schaut er seltsam drein, als Tarek das Geschenk überreicht. Von dessen Prüfung erfährt man auch nur, dass er »seinen Namen und den meines Vaters auf seine Abschlussarbeit geschrieben (hat). Ansonsten blieben die Blätter leer.«
Mit solch vielsagend offenen Anekdoten blickt der Comiczeichner und Filmemacher Riad Sattouf auf seine Kindheit zwischen Frankreich, Libyen und Syrien zurück. Aus ihnen schimmert die arglose Verwunderung dieses blonden Kinderhelden über die wirklichen Verhältnisse und zugleich seine unverfrorene Weisheit angesichts des seltsamen Gebarens der Erwachsenen durch. Dieser Mix aus kindlicher Naivität und schonungsloser Offenheit prägt seine beliebten Arbeiten.
Auch sein neuestes, auf viele Jahre angelegtes Projekt »Esthers Tagebücher«, in dem er die Berichte der zehnjährigen Tochter eines befreundeten Paares verarbeitet. »Wir sprachen über ihre Lieblingsmusik, was sie an Jungs cool fand und was blöd, und so weiter. Das war für mich, als hätte mir ein Außerirdischer von seinem Leben auf einem anderen Planeten erzählt. Mir wurde bewusst, dass mir ihr Universum vollkommen fremd war.« Von diesem Universum berichtet er nun in einseitigen Comicstrips. Seine unprätentiösen Momentaufnahmen aus dem Leben einer Heranwachsenden gewinnen vor allem auf lange Sicht ihren Reiz – als Linklater’sches Reifeprotokoll. Girlhood unlimited.
Den Zeichner fasziniert bei seinen Arbeiten vor allem die Perspektive. »Ich versuche, nicht zu viel nachzudenken und die Dinge zu intellektualisieren. Als Leser begeistern mich Reiseberichte. »Esthers Tagebücher« oder »Der Araber von morgen« sind in meinen Augen Berichte aus einem fernen Land, aus der Welt der Kindheit, von der wir meist falsche und vereinfachende Vorurteile haben. Die Welt aus der Sicht eines kindlichen Autors zu beschreiben, gibt mir auch die Möglichkeit, einige Absurditäten aus der Welt der Erwachsenen zu offenbaren.« Deshalb spielt der in sich gefangene Vater Abdel-Razak in »Der Araber von morgen« mindestens genauso eine große Rolle wie der kleine Riad.
Entsprechend skurril kommen seine Comics und Filme daher. Im Rückblick lassen sie sich zu bissig-satirischen Kommentaren zum Zeitgeschehen umdeuten. Als 2008 Frankreichs Vorstädte brannten, lasen Experten seine in »Charlie Hebdo« erschienene Comicserie »Das geheimnisvolle Leben junger Menschen«, um zu verstehen, was sich in den Köpfen der rebellischen Jugend abspielte. Sein Debütfilm »Les Beaux Gosses«, der 2009 in Cannes Premiere feierte, war eine weitere Annäherung an das Seelenleben junger Menschen.
Nicolas Sarkozys ordoliberale Politik bildete die Schablone für seine (nur auf Französisch vorliegende) Serie »Pascal Brutal« – Ein »postapokalyptischer Comicband«, in dem er »all die neoliberalen Auswüchse auf die Spitze treiben und die Exzesse aufzeigen« konnte, wie er selbst sagt. Mit dem dritten von vier Alben gewann er 2010 den Hauptpreis beim wichtigsten europäischen Comicfestival in Angoulême, 2015 erhielt er den Preis für den ersten Teil seiner Kindheitsgeschichte ein zweites Mal. Die Erzählung seiner späten Beschneidung (die er im »Araber von morgen« noch einmal aufgreift) war zudem Teil der hiesigen Debatte über die Jungenbeschneidung.
Über den zunehmenden religiösen Extremismus zwischen Nordafrika und Nordkorea machte er sich in seiner Komödie »Jacky im Königreich der Frauen« lustig. Es ist die Geschichte eines Naivlings, der hofft, dass ihn die kommende Führerin der matriarchalischen Volksrepublik Bubunne als »großen Dödel« wählt. Ein höchst amüsantes Abenteuer zwischen Religionskritik und Genderpolitik, in dem Männer Burkas tragen und heilige Pferdchen anbeten.
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Zum Skurrilen gesellt sich bei Sattouf stets auch die Komik, selbst das Tragische führt in seinem Werk zum leisen Schmunzeln. Und das ist kein Zufall. »Das Gefühl, das ich am schönsten finde, ist das Lachen«, gesteht der Franzose. »Ich brauche Humor und halte nach ihm Ausschau. Ich versuche ihn zu übertragen, um all die verschiedenen Arten des Lachens herauszukitzeln: das leise Gickeln, das schallende Gelächter, das angewiderte Lachen und das verlegene Kichern. Selbst wenn ich über ernste Dinge spreche, möchte ich fast immer auf Humor zurückzugreifen, weil es die Gefühle noch einmal verstärkt.«
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 7/2017 des Rolling Stone Magazins.
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