Das neue Buch von Kultautor Bret Easton Ellis ist eine lässig vorgetragene Provokation und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kunst- und Redefreiheit.
»I don’t give a damn about my reputation / I’ve never been afraid of any deviation«, singt Joan Jett Anfang der Achtziger auf ihrer Debütsingle »Bad Reputation«. Der Song ist eine der Punk-Rock-Hymnen dieser Dekade und muss sich Bret Easton Ellis ins Hirn gebrannt haben. Sein Ruf war ihm schon immer egal, bis heute schert er sich nicht darum, was andere von ihm, seinen Ansichten und seinem Schreiben halten. Wenngleich er sich von der Welt missverstanden fühlt, wie er in einem Interview einräumte, als im Herbst 2018 sein neues Buch in den USA erschien. Zwischen dem, was er tue, und dem, was ihm zugeschrieben werde, habe es schon immer eine Lücke gegeben, sagte er da.
Diese Aussage basiert natürlich auf der Erfahrung, die er mit seinem Kultroman »American Psycho« gemacht hat. Als er die Geschichte um den Investmentbanker und Serienmörder Patrick Bateman 1991 seinem Verlag vorlegte, weigerte der sich, es zu publizieren, weil es grausame Vergewaltigungs- und Mordszenen enthielt. Der Roman (vor nicht allzu langer Zeit auch erstmals ungekürzt in knapp 17 Stunden grandios nonchalant eingelesen von David Nathan) ist ein Porträt der ersten, vom Überfluss gelangweilten Yuppie-Generation und angesichts der Verehrung, die der selbstherrliche Ich-Erzähler Patrick Bateman einem gewissen Donald Trump entgegenbringt, vielleicht aktueller den je. Es machte den Amerikaner auf Anhieb weltberühmt, kaum ein Land, in dem nach dem Erscheinen von »American Psycho« keine Kontroverse aufkam. Hierzulande war das Buch zwischen 1995 und 2001 verboten.
Seither eilt Ellis der Ruf des Skandalautors voraus, dabei waren die danach erschienenen vier Romane nicht annähernd so spektakulär. Mit »Lunar Park«, der Geschichte eines Autors namens Bret Easton Ellis, der einen Skandalroman mit dem Titel »American Psycho« geschrieben hat, sorgte er noch einmal für Aufsehen, in seinem letzten Roman »Imperial Bedrooms« knüpfte er an sein literarisches Debüt »Unter Null« an. Das ist inzwischen neun Jahre her, man könnte nicht sagen, dass es still um ihn geworden wäre.
Als bekennender Homosexueller hat er sich in den vergangenen Jahren auf Twitter, in Magazinen und in seinem eigenen Podcast immer wieder zu Wort gemeldet, ganz egal, ob es um Filme, Literatur oder aktuelle gesellschaftliche Debatten ging. Dabei hat er mit meinungsstarken Aussagen nicht hinterm Berg gehalten und sich das von den Talking Heads geliehene Motto, das »American Psycho« vorangestellt ist, zu eigen gemacht. »And as things fell apart / Nobody paid much attention.« Im Zeitalter von Trump und dessen Twittertiraden ist diese Aussage von besonderer Bedeutung.
Und auch der amerikanische Kultautor macht sich Sorgen. Eine Bedrohung sieht er jedoch nicht im gesellschaftlichen Rechtsruck, im Gewaltregime gegen Schwarze und anderen Minderheiten oder im Verfall von Werten und Normen, sondern in der allgegenwärtigen Empörung über vom Mainstream abweichende Ansichten und Meinungen. »Das größte Verbrechen dieser neuen Welt ist das Auslöschen von Leidenschaft und das Knebeln des Individuums.«
Diese These zieht sich wie ein roter Faden durch die acht Kapitel seines neuen Buches, in dem Gedanken und Texte aus den zurückliegenden zehn Jahren versammelt und essayistisch miteinander verbunden sind. Es geht dabei zunächst um seine persönliche kulturelle, insbesondere cineastische, Sozialisation (mit Filmen wie Hal Ashbys »Shampoo«, William Friedkins »Der Exorzist«, Douglas Hickox »Theatre of Blood« oder Paul Schraders »Ein Mann für gewisse Stunden«) und deren Einfluss auf sein literarisches Schaffen.
Sinn und Zweck der Übung besteht darin, deutlich zu machen, wie sich die Wahrnehmung von dem, was (explizit) erzählbar ist und was nicht, und wie man darüber diskutiert, seit den siebziger Jahren verändert hat. Dies mündet in eine kulturgeschichtliche Erzählung, die vom »zunehmenden Kult der Gefälligkeit« im Zeitalter der Sozialen Medien herrscht. Dieser zwinge gewissermaßen jeden dazu, sich und der Welt etwas vorzugaukeln. »Wir mussten überdenken, mit welchen Mitteln wir unsere Gefühle, Gedanken und Vorstellungen in diesem riesigen Nichts ausdrücken können – erzeugt von einer Unternehmenskultur, die uns ständig zum Schweigen zu bringen versucht, indem sie mit ihrem Regelwerk des Benehmens alles absaugt, was menschlich, widersprüchlich und echt ist. Wir sind unsicher in eine Art Totalitarismus hineingestolpert, der freie Rede tatsächlich verabscheut und Menschen dafür bestraft, dass sie ihr wahres Selbst preisgeben.«
Ellis schreibt hier lustvoll gegen alles an, was sich irgendwie nach Wohlfühlblase anhört. Ob Barry Jenkins oscarpremiertes Meisterwerk »Moonlight« oder David Foster Wallace Purzelbäume schlagende Prosa, ob die »Black Lives Matter«-Bewegung oder das Anti-Trump-Lager – sie alle bekommen ihr Fett weg. Und man muss neidlos anerkennen, dass er das auf gleichermaßen hohem Niveau mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten tut.
Exemplarisch seien an dieser Stelle seine Ausführungen über Barry Jenkins »Moonlight« paraphrasiert, den der Autor dieses Texte überaus positiv bewertete. Da schreibt er, man möchte Jenkins »Stil und seinen Geschmack so gern bewundern, aber er bräuchte dringend mehr Humor, mehr Leichtigkeit, mehr funkelnden Sex«, nicht aus Prinzip, sondern um es als authentisches Kino anzunehmen. Jenkins mache es aber dem mehrheitlich nichtschwulen Publikum leicht, den Film zu mögen, weil er auf tatsächlich schwule Sexualität verzichtet, so Ellis. Der schwule Mann sei im amerikanischen Kino immer noch unterdrückt oder ein magischer Elf, gefangen in einer »endlosen Minstrel-Show«, in der Schwule »entweder als Opfer oder als zickige Clowns oder als tuntige beste Freunde dargestellt« werden.
Der Titel seines neuen Buches hat eine skurrile Geschichte. Joan Didions Essaysammlung »Das weiße Album« ist eines seiner Lieblingsbücher. Einen ähnlichen Titel wollte er für seine Reflektionen zur bedrohten Kunst- und Meinungsfreiheit finden. Aus der Überlegung, es »Weiß, Privilegiert, Männlich« nennen – das hätte hierzulande zwar ganz gut zum Erscheinen von Sophie Passmanns lesenswerten Schlichtungsversuch »Alte weiße Männer« gepasst, inhaltlich aber hätte der Arbeitstitel aber auf eine falsche Fährte geführt –, wurde schließlich einfach nur »Weiss«. Dies eröffnet deutlich mehr Assoziationsräume, auch und insbesondere in Bezug auf die Meinungsfreiheit. Die, so argumentiert der 55-Jährige in seinem Buch, erfordert nämlich eine gewisse Neutralität, eine Art whiteout, der alle positiven und negativen Perspektiven tilgt und den Kommentator nüchtern auf die Dinge blicken lässt.
Ellis argumentiert vielfach, dass der Furor, der die modernen Gesellschaften umtreibt, niemanden weiterbringt, sondern vielmehr in die dunkle Zelle der moralischen Indoktrination führt. Die Rede- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, jeder soll davon profitieren können. Sobald man beginne, den einen das Recht zu sprechen zuzubilligen, den anderen aber nicht, sei dies der Anfang vom Ende der freien Gesellschaft. In Zeiten, in denen insbesondere von rechts außen verbale Attacken übelster Art gefahren werden, eine steile These.
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht schreiben kann, ohne Menschen vor den Kopf zu stoßen«, zitiert Ellis den jungen James Joyce. Und folgt ihm mit diesem Buch einmal mehr entschlossen auf diesem Weg.
[…] geringerer als Barry Jenkins, der für »Moonlight«, diese überwältigende – wenngleich nicht unumstrittene – Adaption eines Bühnenstückes über einen jungen, homosexuellen, afroamerikanischen Mann, 2017 […]
[…] Dabei steht dieses Literatur vor allem für sich selbst. Kathy Acker, William S. Burroughs und Bret Easton Ellis verehren ihn als letzten Outlaw der amerikanischen Literatur. Büchner-Preisträger Clemens J. Setz […]
[…] verbindet sie mit Ikonen wie Susan Sontag oder Joan Didion, mit denen sie auch die Geschichte des Fräuleinwunders teilt. Aber Frauen, die Attraktivität mit […]