Der schottische Schriftsteller John Burnside schließt mit »Über Liebe und Magie« seine autobiografisch motivierte Romantrilogie über das Aufwachsen eines ganz normalen Jungen in besonderen Umständen ab.
Knapp neun Jahre ist es her, als John Burnside mit seinen »Lügen über meinen Vater« die Welt eroberte. In diesem erschütternden Dokument rechnete er mit seinem Erzeuger ab, der Zeit seines Lebens Lügen, Alkohol und Gewalt seine Familie terrorisierte. Burnside hatte für diesen Mann noch Jahre nach dessen Tod nichts anderes übrig als Hass und schrieb sich diesen radikal ehrlich von der Seele. Mit Blick auf sich selbst musste er allerdings erkennen, dass die Abgründe dieses Tyrannen in ihm weiterleben. Mit ihnen setzt er sich fünf Jahre später in dem autobiografischen Roman »Wie alle anderen« auseinander – ein Bericht aus dem Labyrinth der Selbstzerstörung, in das er sich mit Alkohol und Drogen gestürzt hatte, um der eigenen Biografie zu entkommen.
Was hielt Burnside nach einer solchen Kindheit voller Entbehrung und Exzess, die ihn bis in die Psychiatrie führte, überhaupt aufrecht? Woher nahm er die Kraft, überhaupt noch an das Gute in der Welt zu glauben, das im Hintergrund seiner oft düsteren Literatur den Schimmer der Hoffnung bildet? Die Antwort liefert Burnside mit dem Abschluss seiner autobiografischen Romantrilogie »Über Liebe und Magie«. Darin geht es titelgetreu um magische Begegnungen mit dem anderen Geschlecht sowie um die Schönheit und den Trost, den die verletzte Seele des erzählenden Freaks in Musik und Literatur, Film und Fotografie finden kann.
Auch im dritten von Bernhar Robben wunderbar ins Deutsche übertragenen Band beginnt er in seiner Kindheit und arbeitet sich grob chronologisch durch Erlebnisse und Erinnerungen bis in die Gegenwart vor, unterbrochen von Momenten der Abschweifung, in denen er das eigene Erleben geistesgeschichtlich reflektiert – etwa indem er über Narzissmus nachdenkt, dem Verlorene-Mädchen-Syndrom in der klassischen Literatur nachgeht, über die bedeutungsschweren Geschichten hinter den bekannten Mörderballaden nachdenkt oder den von Diane Arbus fotografierte Freaks und ihrem Blick auf die Welt hinterherspürt.
Seine Erinnerungen setzen in einer Küche ein, jedoch nicht in der, in der ihm die graue Chimäre seines Vaters am Ende des zweiten Bandes erschienen ist, sondern in der seiner Cousine Madeleine, die dem damals neunjährigen John und seiner Mutter Nina Simones »I Put a Spell on You« vorspielte. »Und in jenen zweieinhalb Minuten wurde mir klar, dass dies das Schönste war, was ich je gehört habe«, erinnert sich Burnside.
Es ist der Beginn einer lebenslangen Liebe für die Musik, die er hier immer wieder zitiert, wenn er über die Liebe als Rückzugs- (The Beatles) und Sehnsuchtsort (The Rolling Stones) schreibt, sie als Konvention (The Great Society) oder als Tabubruch (The Doors) entlarvt, sich an die Liebe als befreienden Ausbruch (DJ Stu Bonham) und als verrückte Geiselnahme (Andy Williams) erinnert, den Schmerz ebenso spüren (The Temptation) lässt wie den Trost (P.J.Harvey). Viel wird dabei nur angedeutet, um das Geheimnisvolle zu wahren und nicht ins Profane abzugleiten.
»Man kann Küsse nicht auslöschen; hat man sich geküsst, ändert sich alles«, schreibt er in Erinnerung an einen langsamen heißen Sommer. Ein Satz, der so einfach wie klug und in seiner Lakonie so typisch Burnside ist; und von dem es noch zahlreiche Zwillinge gibt, die sich dem Verlassen(werden), dem Alleinsein, dem Wahnsinn, der Verzweiflung und dem Trost widmen.
Am berührendsten ist aber auch dieser dritte Teil von Burnsides autofiktionalem Großwerk dann, wenn er sich seinen Eltern und dieser unvermeidlichen Beziehung zuwendet, von der ihn nicht einmal deren Tod befreit »Ich kann nicht behaupten zu wissen, was es heißt, ein Mensch zu sein, doch was ich über das Menschsein gelernt habe, stammt in erster Linie von meiner Mutter«, schreibt er im zentralen Kapitel des Buches und ergänzt »Hat mich ein Vater zu einem Mann gemacht, trat meine Mutter dem entgegen, indem sie mir beibrachte, ein Mensch zu sein und ein Künstler nach meiner Fasson zu werden, so wie sie nach ihrer lebte.« In Sätzen wie diesen wird deutlich, dass Burnside hier zwar keine gänzlich andere Geschichte als bisher erzählt, sich die Perspektive auf die Dinge aber gewandelt hat. Sein Blick scheint nun versöhnlicher zu sein.
Dass dies wirklich der Fall ist, man wünschte es ihm, darf aber zugleich daran zweifeln. Denn am Ende seiner Trilogie räumt Burnside ein, dass er seinen Erinnerungen nicht länger traue. Er habe zu viel Zeit damit verbracht, sie umzuschreiben und zu löschen. Doch da ist diese Erzählung längst zu einer eigenen grandiosen Geschichte geworden.
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