Comic, Interviews & Porträts

Wilde Rosen und mörderische Gesänge

Der niederländische Comickünstler Erik Kriek verneigt sich mit »In the Pines« vor der amerikanischen Folkmusik. In den dunklen Silhouetten und harten Konturen seiner holzschnittartigen Zeichnungen ruht nicht nur der zeitlose Horror, der aus diesen Erzählungen aufsteigt, sondern auch die sanfte Melancholie, die in den Tiefen der amerikanischen Folkmusik ruht. 

Diese Geschichte beginnt im Dezember 2013 in der Fabelhaft-Bar in Berlin-Neukölln. Während vor der Tür der westsibirische Winter durch die Straßen pfeift, haben sich in der Raucherbar etwa 40 SciFi-Comic-Geeks versammelt, um sich von dem niederländischen Zeichner Erik Kriek bei Bier und Zigaretten in die jenseitige Welt von H. P. Lovecraft entführen zu lassen. Als Kriek nach einer Stunde am Ende seiner Buchvorstellung und die Luft so dick ist, dass man sie fast schneiden kann, zeigt er noch einige Bilder des Comicprojekts, an dem er vor wenigen Wochen zu arbeiten begonnen hat. Man sieht, wie eine Frau panisch durch einen Wald irrt. Etwas scheint sie zu verfolgen, was es ist, kann man nicht sehen.

Nun, zweieinhalb Jahre später, kann man sehen, von wem die junge Frau verfolgt wird. Es sind die Geister von Caleb Meyer, einem ungehobelten Wüstling, der die junge Nellie Kane überfallen und vergewaltigt hat, als ihr Mann in der Stadt ist. Sie wehrt sich und bringt den Angreifer mit einem abgebrochenen Flaschenhals um. Die US-amerikanische Bluegrass-Singersongwriterin Gillian Welch erzählt die Geschichte in ihrem Song »Caleb Meyer«. Erik Kriek hat ihn nun für seinen Comicband In the Pines adaptiert. Fünf so genannte murder ballads hat er darin in Bildergeschichten verarbeitet. Sie erzählen von Liebe und Verrat, Tat und Vergeltung, Verbrechen und Tod erzählen.

»Hier müsste man ein Konzert geben«, sagt Erik Kriek, als er die alte Schmiede im Südwesten von Leipzig betritt. Wir sind in der Industriehalle zum Fotoshooting verabredet. Wo Ende des 19. Jahrhunderts die Industrie blühte, sorgen heute eine schummrige Bar, ein paar alte Kinositze und ein ranziger Billardtisch für Atmosphäre. Kriek passt in diese Kulisse, als wäre sie für ihn gemacht, von seiner Rockabilly-Aufmachung geht eine ungeheure Präsenz aus.

Vor dem Shooting reden wir über seinen neuen Comicband und darüber, wie wichtig ihm Musik ist. Kriek ist nicht nur ein begnadeter Zeichner, sondern auch ein talentierter Musiker. Bislang wussten das nur Eingeweihte, aber seit er vor wenigen Wochen seine Comics von murder ballads wie »Where the Wild Roses Grow«, »Pretty Polly« oder »Long Black Veil« herausgebracht hat, kann man ihn immer öfter auch mit der Gitarre auf der Bühne sehen. Er gibt dann die im Comic adaptierten Songs zum besten, die er mit den befreundeten Blue Grass Boogiemen eigens eingespielt hat.

Erik Kriek | Foto: Bob Sala

Wenn er sich zwischen Comics und Musik entscheiden müsste, dann wäre das schwierig, sagt Kriek. »Ich kann weder ohne das eine noch ohne das andere. Wenn ich aber wählen müsste, ob ich den Rest meines Lebens keine Comics mehr lesen oder Musik hören möchte, dann wird es doch einfach. Ich entscheide mich für die Musik, denn ich kann nicht ohne Musik. Ich kann aber einfach ohne Comics.« Auch das erinnert an Robert Crumb, der in seinem Jazz-Comic Mister Nostalgia schreibt, dass Musik neben Sex zu seinen größten Freuden gehöre. »Um ehrlich zu sein, ich habe daran mehr Spaß, als an Kunst. Musik ist unmittelbarer, sinnlicher.«

Tatsächlich braucht der in Amsterdam lebende Künstler die Comics nicht. Er ist einer der gefragtesten Illustratoren in den Niederlanden, unzählige Cover, Filmplakate oder Bilderstrecken hat er in den letzten Jahren gezeichnet. Blättert man durch sein Portfolio, findet man neben der Games of Thrones-Illustration auch politische Karikaturen, Künstlerplakate und die Titelbilder der niederländischen Harry Potter-Ausgabe.

Dieser »commercial stuff«, wie er ihn auf seiner Homepage nennt, reicht, um seine Kleinfamilie zu versorgen. Die Comics sind eine Herzensangelegenheit, maßgeblich ist dabei sein Geschmack. »Ich möchte gern Sachen machen, die es noch nicht gibt und die ich selbst gern lesen möchte.« Wie seine Indie-Seifenoper Gutsman, die er 1994 gestartet und zunächst im Selbstverlag herausgebracht hat. Im Zentrum steht jener Gutsman, ein »maskierter Verteidiger männlicher Unzulänglichkeit«, und seine Partnerin Tigra, die in dieser Superheldenpersiflage die Hosen anhat. Die Serie gilt längst als Kult, auch dank ihr wurde Kriek 2008 mit dem Stripschapprijs, dem niederländischen Eisner-Award, für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

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Erik Kriek: In the Pines – Murder Ballads. Aus dem Englischen von Benjamin Mildner. Aus dem Niederländischen Katrin Herzberg. avant-verlag 2016. 136 Seiten inkl. CD. 24,95 Euro. Hier bestellen

In Deutschland wurde er erst Jahre nach der Auszeichnung entdeckt. Während sich das Nachbarland Belgien den Ruf der Heimat des europäischen Comics mit Frankreich teilt, läuft die niederländische Comicszene etwas unter ferner liefen. Avant-Verleger Johann Ulrich war auf den Künstler aus Amsterdam aufmerksam geworden, als dieser in seiner Heimat einige Erzählungen von H. P. Lovecraft in düster-beklemmende Bildergeschichten brachte. Vom Jenseits und andere Erzählungen heißt Krieks deutschsprachiges Comicdebüt, das Ende 2013 erschien. Auf der Basis von fünf Erzählungen des US-amerikanischen Meisters der Horror- und SciFi-Literatur hatte Kriek die schaurige Parallelwelt, die außerhalb unseres Vorstellungsvermögens, aber in den Tiefen unseres Bewusstseins lauert, in faszinierende Bilder gebracht.

Wie auch die Lovecraft-Geschichten sind die Mörderballaden von In the Pines ein Herzensprojekt. »Diese Art Musik, Country, Bluegrass, Folk, ist eine große Leidenschaft von mir.« Ebenso wenig ist Zufall, dass auch hier Geschichten erzählt werden, die direkt unter die Haut gehen. »Lovecraft ist außerirdischer Horror, die murder ballads aber erzählen vom menschlichen Horror« – von Liebe und Verrat, Tat und Vergeltung, Verbrechen und Tod. Die Idee zu diesem Comic ist schon älter, vor gut zehn Jahren hatte er für das Comicprojekt Comics in Stereo einen niederländischen Song illustriert. »Das hat mir gut gefallen, so dass ich damals schon den Gedanken hatte, warum daraus nicht ein ganzes Buch machen?«

Die Mörderballaden bilden den Keim der amerikanischen Folkmusik. Lead Belly und Johnny Cash, Bob Dylan und Nirvana, The Khillers und nicht zuletzt Nick Cave and the Bad Seeds haben diese Geschichten berühmt gemacht. Bands wie Mumford & Sons oder Filme wie Felix Van Groeningens The Broken Circle Breakdown haben das Genre wiederbelebt.

Die Mörderballaden seien die sozialen Medien ihrer Zeit gewesen, erklärt Musikliebhaber Erik Kriek. »Die meisten Leute konnten nicht lesen und schreiben. Die Troubadoure zogen von Dorf zu Dorf und erzählten, was sie woanders aufgegabelt hatten. Und überall kam noch etwas dazu.« Kriek greift die Tradition des Hinzudichtens auf. Seine Verarbeitungen schauen zwischen die Textzeilen und fragen, welche Tragödien in den Geschichten stecken. In »Where the Wild Roses Grow« rückt er Eliza Day in den Fokus. Er hält diese »Wild Rose« nicht für die unschuldige Jungfrau, wie sie Kylie Minogue im Duo mit Nick Cave verkörpert. »Ich denke, sie ist ein Miststück, ein hintertriebenes Luder«. In seinem Comic zu Gillian Welchs Folksong »Caleb Meyer« fügt er eine heimliche Schwangerschaft ein, die der Erzählung einen fast feministischen Turn gibt. »Pretty Polly« von den Stanley Brothers verbindet er mit einer alten englischen Seefahrer-Ballade, während er Johnny Cashs »Long Black Veil« fast eins zu eins umsetzt. Es ist die tragische Geschichte des unbekannten Mannes, der nach einem Schäferstündchen mit der Frau seines besten Freundes einen Revolver findet, fälschlicherweise als Mörder eines Priesters festgenommen und unschuldig am Galgen enden wird. Mit seinem Tod rettet er die Ehre seiner Geliebten, die fortan – bedeckt von dem langen schwarzen Schleier, der dem Song seinen Namen gibt – immer wieder heimlich sein Grab aufsucht. Mit Steve Earles »Taneytown« fügt er seinem Kanon eine Erzählung über den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft hinzu.

Erik Kriek | Foto: Bob Sala

Krieks Stil erinnert an klassische Holzschnitte und Schattenbilder. In den dunklen Silhouetten und harten Konturen ruht nicht nur der zeitlose Horror, der aus diesen Erzählungen aufsteigt, sondern auch die sanfte Melancholie, die in den Tiefen der amerikanischen Folkmusik ruht. Bei einem absoluten Klassiker des Genres, Lead Bellys In the Pines, dessen bekannteste Version wohl die Unplugged-Fassung von Nirvana ist, hat er sich den Titel für seinen Comicband geliehen.

Erik Kriek zeichnet sich mit diesem Band nicht nur in die Herzen der Musikliebhaber, sondern auch in den Olymp der Musikcomics, gleich neben Robert Crumbs Jazzcomic Mister Nostalgia. Comics und Musik passen gut zusammen, wer für den einen Sinn offen ist, scheint für den anderen selten verschlossen zu sein. Bemerkenswerte Verschränkungen findet man nicht nur bei Kriek und Crumb, sondern auch in Joann Sfars Klezmer-Serie, in Der fünfte Beatle von Andrew Robinson und Kyle Baker oder in Ed Piskors Musikhistorie Hip Hop Family Tree.

Bei einem absoluten Folkklassiker hat er sich den Titel für seinen Comicband geliehen. Lead Bellys »In the Pines«, auch bekannt als »Black Girl« oder »Where Did You Sleep Last Night« ist von unzähligen Künstlern und Bands gespielt worden, die bekannteste Version ist wohl die Unplugged-Version von Nirvana. Die erste Strophe des Songs fängt die Atmosphäre der von Kriek gezeichneten Erzählungen wie in einem Kristall ein. »My girl, my girl, don’t lie to me | Tell me where did you sleep last night | In the pines, in the pines | where the sun don’t ever shine | I would shiver the whole night through.«

Eine kürzere Fassung des Porträts erschien im Rolling Stone Magazin Mai 2016. Die Fotos von Erik Kriek sind von dem unnachahmlichen Fotografen Bob Sala.

1 Kommentare

  1. […] in der klassischen Literatur nachgeht, über die bedeutungsschweren Geschichten hinter den bekannten Mörderballaden nachdenkt oder den von Diane Arbus fotografierte Freaks und ihrem Blick auf die Welt […]

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