Vor wenigen Wochen stellte David B. auf dem Comicsalon in Erlangen den zweiten Teil seiner Geschichte über die Beziehungen der Vereinigten Staaten mit dem Nahen Osten »Die besten Feinde« vor. Ich sprach mit dem französischen Comicstar über seine neue Arbeit, aber auch über das Düstere und Absurde in seinem Werk, die Bedeutung von Träumen und Fantasien für seine Arbeit sowie die Suche nach grafischen Lösungen am Zeichentisch.
David B. soeben ist der zweite Band von »Die besten Feinde« erschienen, in der Sie das Verhältnis der Vereinigten Staaten mit dem Nahen Osten seit 1783 nachzeichnen. Woher kommt diese Gegnerschaft, auf die Sie im Titel anspielen?
Als ich zu recherchieren begann, wie die erste Begegnung dieser beiden Kulturen ausgesehen hat. Dabei bin ich auf die Geschichte der kleinen amerikanischen Wirtschaftsflotte im Mittelmeer gestoßen, die von muslimischen Piraten aufgebracht wurde, wie ich sie im ersten Teil von »Die besten Feinde« erzähle. Schon bei dieser ersten Begegnung trafen die Amerikaner die verheerende Entscheidung, das beiderseitige Verhältnis eher auf Krieg als auf eine friedliche Lösung hinauslaufen zu lassen. Die Amerikaner entschieden, dass man den Muslimen zeigen wolle, wer den längeren Atem hat und es begann eine Geschichte voller Verschwörungen und Komplotte. Die Vereinigten Staaten kooperierten in den folgenden Jahrzehnten immer mit denjenigen, die ihnen gerade genehm waren – ein Prinzip, das später auch in Vietnam und in Südamerika Anwendung fand und bis heute Praxis im Nahen Osten ist.
Für diese Geschichte haben Sie mit dem Historiker und Nahostexperten Jean-Pierre Filiu kooperiert. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Als der zweite Golfkrieg ausbrach, habe ich mich gefragt, wie es zu dieser Feindschaft zwischen Amerikanern und Muslimen kommen konnte. Ich habe eine Menge gelesen und je mehr ich mich durch Bücher wühlte, desto mehr Fragen tauchten auf. Auf dem Festival für historische Bücher in Levallois, zu dem ich für »Auf dunklen Wegen« eingeladen worden war, lernte ich Jean-Pierre Filiu kennen. Es war ein Zufall, dass er selbst ein begeisterter Comicleser ist, meine Arbeiten kannte, Spezialist für die Geschichte des Nahen Ostens ist und aus seinen verschiedenen Tätigkeiten das Verhältnis zwischen den USA und dem Nahen Osten sehr gut kannte. Da lag es nahe, dass ich ihn fragte, ob er sich eine Zusammenarbeit vorstellen konnte.
Wie sah die genaue Zusammenarbeit aus?
Erst hatte Filiu versucht, ein Storyboard zu zeichnen. Das ging aber gar nicht. Ich bat ihn, mir einfach nur die Fakten aufzuschreiben, übersetzte diese dann in ein Storyboard und entwarf erste Skizzen mit konkreten Texten, die ich ihm wiederum zur Kontrolle vorlegte. Er sagte mir dann, wenn Fakten nicht mehr stimmten, Hintergründe ungenau oder unverständlich umgesetzt waren oder ich Situationen falsch interpretiert habe.
Das stelle ich mir nicht so ganz einfach vor, da Ihr Stil ja sehr fantasievoll und verdichtend ist. Hatte Jean-Pierre Filiu von Anfang an ein Gefühl für die Art und Weise, wie Sie Dinge grafisch umsetzen?
Das war ja genau das, was ihn interessiert hat. Ich hatte ihm gleich zu Beginn gesagt, dass ich kein realistisches Album machen werde. Realismus interessiert mich nicht. Meine Arbeit besteht darin, die Wirklichkeit in eine andere grafische Sprache zu übersetzen, die zu meiner Geschichte passt. Hier haben wir es mit einer historisch-politischen Geschichte zu tun, also musste ich einen Stil, eine Symbolsprache finden, der das aufgreift – über grafische Metaphern, Symbole, Karikaturen und all diese Mittel, die dafür zur Verfügung stehen. Jean-Pierre Filiu konnte mit dem, was ich ihm geschickt habe, auch sofort etwas anfangen. Es war ja genau das, was er am Comic so mag. Es gibt im zweiten Band etwa die Sequenz, als israelische Bürger nach dem Massaker von Sabra und Schatila im Libanon gegen ihre Regierung demonstrierten. Ich habe in der Szene jedem Demonstranten einen Kadaver an die Seite gestellt. Das fand Filiu als Symbol der Sympathiebekundung mit den Opfern beispielsweise besonders stark, auch weil es von dem Schwarz-Weiß-Bild, das zu den Verhältnissen im Nahen Osten, die die meisten im Kopf haben, wegführt.
In »Die besten Feinde« sind wie auch in Ihren anderen Arbeiten zahlreiche mythologische Erzählungen verarbeitet. Das Gilgamesch-Epos, die biblischen Erzählungen, die griechische Philosophie und vieles mehr. Woher kommt diese Faszination für die Mythologie.
Die habe ich, seit ich klein bin. Mein Bruder und ich waren begeistert von allem, was geheimnisvoll war. Unsere Eltern waren beide Kunstprofessoren, wir hatten also auch zahlreiche Bücher mit Illustrationen zu all diesen Dingen zu Hause. Für Kinder ist das großartig. Wir fanden die Monster und Geister aus den mythischen Geschichten in den Kunstbüchern wieder – bei den alten Griechen, auf babylonischen Reliefs oder in Museen. Das trojanische Pferd etwa wird im Louvre in einem Flachrelief aufgegriffen. Mir wurde nach und nach klar, dass diese Geschichten mehr sind als nur Märchen, dass sie eine Bedeutung tragen, die über meine kindliche Faszination hinausgingen. Diese Übertragungen sind ein fester Bestandteil der Geschichte, der Kunst, der Religion und der Moral.
Zu Beginn des ersten Albums von »Die besten Feinde« haben Sie Gilgamesch und Enkidu Aussagen von George W. Bush und Donald Rumsfeld in den Mund gelegt. Glauben Sie, dass sich die Geschichte wiederholt?
Ich habe das Vorgehen der Amerikaner im Irak schon wie ein Echo der Geschichte aufgefasst, zumal das Gilgamesch-Epos ja auch im Irak verortet ist. Das fand ich schon irgendwie verrückt, ein Treppenwitz der Geschichte, zu dem es dann gut gepasst hat, Gilgamesch und Enkidu die Worte von Bush und Rumsfeld in den Mund zu legen. Das Gilgamesch-Epos ist in meinen Augen überaus wichtig, denn es ist das erste aufbewahrte Buch über die Menschheit, in dessen Erzählung eine philosophisch-moralische Dimension existiert. Diese Eingangsszene verdeutlicht die Bedeutung von Jean-Pierre Filiu für diese Arbeit, denn er hat diese ganzen Zitate ausfindig gemacht und mir zugearbeitet. Ich war beim Zeichnen dann ehrlich gesagt selbst ziemlich verblüfft über die Parallelität der Dinge: dass Gilgamesch und Enkidu mit der gleichen Vehemenz diese Bäume haben wollen, wie die Amerikaner das Öl im Nahen Osten. In beiden Fällen gab es die mahnenden Stimmen, die davor warnen, loszuziehen und alles kurz und klein zu schlagen. Und in beiden Fällen wurden sie fatalerweise ignoriert.
In den beiden Bänden gehen Sie auf zahlreiche Konflikte zwischen den Amerikanern und den Muslimen ein. Haben Sie dabei so etwas wie ein immer wiederkehrendes Muster entdecken können?
Die Grundregel besteht darin, dass die Amerikaner mit der allerersten Auseinandersetzung – die mit den muslimischen Piraten – für sich festgelegt haben, dass sie den Muslimen zeigen werden, wer der Chef im Ring ist: nämlich sie selbst. So wie vor kurzem Tripolis bombardiert wurde, um Gaddafi zu beseitigen, haben die Amerikaner das auch schon vor gut zweihundert Jahren gemacht. Die Mittel, mit denen die Konflikte ausgetragen werden, sind gleich geblieben, einzig ihre Schlagkraft hat sich im Laufe der Jahre geändert. Auch die Strategien wiederholen sich. Einer der Klassiker ist es, Aufstände und Palastrevolutionen zu unterstützen, wenn der aktuelle Staatschef als störend oder illoyal empfunden wird. Dabei konnten sich die Amerikaner sicher sein, irgendein unzufriedenes Familienmitglied oder einen untreuen Gefährte zu finden, dem man dabei unter die Arme greifen konnte. Nicht immer sind dann dabei die Hoffnungen der USA in Erfüllung gegangen. Dieses Muster des Putsches als politisches Mittel findet man bei der Machtergreifung des iranischen Schahs wieder, aber auch in Südamerika, etwa in Guatemala oder in Chile. Es spiegelt das typische Muster der amerikanischen Machtpolitik.
Tatsächlich habe ich die beiden Bände wie eine durchgehende Geschichte der Manipulationen und Einflussnahmen der Amerikaner auf die Staaten und Herrschaftshäuser im Nahen Osten gelesen.
Ja letztlich ist es auch genau das. Im zweiten Band treten zwar die machtpolitischen Fragen im Rahmen des Kalten Krieges in den Vordergrund, aber auch da waren die kleinen Machenschaften hinter den Kulissen der globalen Strategie entscheidend. Ebenfalls wird dort das Engagement der Amerikaner für den Staat Israel deutlich, wie es im Laufe der verschiedenen Kriege im 20. Jahrhundert gewachsen ist.
Nach den ersten zwei Bänden, kommt die Frage vielleicht zu früh, aber wie lautet die Moral von der Geschichte?
Oh, die Moral, das ist eine schwierige Frage. Vielleicht liegt sie darin, dass es immer die kleinen Völker und Gemeinschaften sind, die den Kürzeren ziehen und verlieren, weil sie mal von der einen und dann von der anderen Seite instrumentalisiert werden und das klassische Bauernopfer der großen Politik sind. Ein weiteres Fazit, dass ich ziehe, lautet, dass man dem Frieden einfach keine Chance gibt. Vielleicht muss die Moral am Ende so lauten – so einfach, so katastrophal. So gab es im ersten Libanonkrieg zahlreiche Parteien, die sich bereit erklärten, bei Friedensverhandlungen zu vermitteln, darunter Frankreich, Ägypten, Tunesien und Algerien. Aber da das die Israelis (und mit ihnen die Amerikaner) partout nicht wollten, wurde immer weiter gekämpft und kam es zu immer mehr Toten. Im Irak das Gleiche: Die Amerikaner wollten unbedingt einmarschieren und Saddam Hussein beseitigen. Dann wussten sie nicht, wie sie die Kämpfe beenden und aus dem Irak wieder hinauskommen sollten. Und aktuell erleben wir, was für ein Chaos sie hinterlassen haben. Wir werden gerade Zeuge eines religiösen Konflikts zwischen Sunniten und Schiiten, der explodiert und Al Qaida – einer Organisation, die erst viele Jahre von den USA alimentiert wurde – eine neue Chance gibt, mit ihrem Terror Fuß zu fassen.
Der arabische Frühling, lässt er für die Region hoffen?
Ich bin kein Spezialist, aber ich glaube, er ist gescheitert. Jean-Pierre Filiu ist da der bessere Experte [Jean-Pierre Filieu, Cyrille Pommes: Der Arabische Frühling. Carlsen-Verlag]. Er ist sehr hoffnungsvoll, was die syrischen Rebellen betrifft, die von den USA, Großbritannien und Frankreich ja auch ganz gut ausgerüstet wurden.
Das zweite Album endet nach dem Libanonkrieg 1984. Sitzen Sie schon am dritten Band?
Ja, im dritten Teil wird es vor allem um die beiden Golfkriege gehen, aber bislang habe ich noch wenig gemacht. Aber mit der Bush-Ära und den Ereignissen rund um den Nahostkonflikt wird das noch einmal viel Arbeit.
An Ihren Arbeiten begeistert mich am meisten die sprühende Kreativität der grafischen Lösungen. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration.
Das hat zunächst wenig mit Inspiration zu tun, sondern ist genau das, was mich interessiert. Wenn ich mir ein Thema suche, will ich es nicht realistisch repräsentieren, sondern eine visuelle Sprache finden, die dazu passt.
Wie gehen Sie bei dieser Suche nach »der richtigen Sprache« vor?
Für mich ist das Comiczeichnen wie das Schreiben eines Buches, nur dass ich neben Worten eben auch Striche beziehungsweise Zeichnungen verwende. Diese Zeichnungen gehören zu dem Vokabular, das mir zur Verfügung steht, sie sind Teil meiner Sprache, meiner Schrift. Wörter und Zeichnungen werden dann ins passende Verhältnis gebracht, so dass das Bild entweder den Text vervollständigt oder ihm widerspricht und so weiter. Dabei entsteht eine ganz eigene grafische Langage, deren wichtigste Elemente sich innerhalb des Albums wiederholen. In »Die besten Feinde« tauchen die Kernelemente in Variationen auf, um deutlich zu machen, dass sich auch die politischen Umstände geändert haben. Ein anderes Beispiel ist die Darstellung der verschiedenen Fraktionen im Libanon. Hier habe ich die einzelnen Gruppen nach einem bestimmten Prinzip auf eine Seite gezeichnet: in diesem Rechteck ist jede Gruppe genau dort verortet, wo sie ihr Machtzentrum besitzt. Man versteht so unmittelbar, dass dies die Situation im Land illustrieren soll, auch wenn die Geografie des Libanon nicht rechteckig ist. Die grafischen Lösungen müssen einfach zu dem passen, was sie illustrieren sollen.
Ist das auch der Grund, warum die Zeichnungen in »Auf dunklen Wegen« an Künstler wie Otto Dix und George Grosz erinnern?
Ja, weil sie für die Epoche stehen, in der die Geschichte angesiedelt ist. Ich versuche in meinen Arbeiten natürlich immer wieder, die Kunst der Epoche in den Zeichnungen zu verankern.
Eines Ihrer favorisierten Mittel ist auch das direkte Umsetzen von Sprache in Grafik. Das erinnert an Art Spiegelmans »Maus«.
Ich mag Wort-Bild-Spiele, also das Übersetzen von literarischen Metaphern in grafische Illusionen. Es geht mir um etwas Imaginäres, das beim Zeichnen entstehen muss.
Die Zusammenhänge zwischen Panels und Seiten sind im Imaginären verankert?
Es geht darum, eine Kontinuität zu finden, in der der Leser immer wieder auch einzelne Dinge wiederfindet. Ich verwende die Bilder wie Wörter, lade sie mit Bedeutung auf, so dass der Leser beim Erkennen der Bilder auch sofort deren Bedeutung assoziiert. Im Text kann ich die Situation dann präzisieren und konkretisieren.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass die aktive Verwendung der einzelnen Bestandteile des Comics eines der stilistischen Merkmale des Zeichners David B. ist?
Für mich macht das den Comic aus. So wie die Zeichnung Teil des Textes ist, ist der Text Teil der Zeichnung. Und alle anderen Elemente sind natürlich auch Teil der Zeichnung, deshalb kann man sie gestalten und einsetzen. Dass der Text zur Zeichnung gehört, ist ja auch das Resultat eines Prozesses. In den ersten Comics stand der Text noch unter dem Bild, um Text und Bild strikt zu trennen. Ich möchte die Dinge aber eher integrieren. Die einzelnen Elemente dabei als Mittel der Gestaltung zu begreifen, ist für mich dabei der naheliegendste Weg.
Nicht nur in »Die besten Feinde«, sondern auch in »Die Heilige Krankheit« oder »Auf dunklen Wegen« drehen sich bei Ihnen immer wieder die Dinge im Kreis oder sind kreisförmig angeordnet. Sind Sie ein Fan von zirkulären grafischen Lösungen.
In gewissen Sinn steckt da natürlich auch die Wiederholung der Ereignisse drin, über die wir bereits sprachen. Alles beginnt bei Gilgamesch und Enkidu und wir landen wieder in einer Situation, wie bei Gilgamesch und Enkidu. Der Kreis ist aber auch das Symbol für das Gesicht. Ich arbeite viel mit Gesichtern, aber auch da gibt es verschiedene Möglichkeiten. So habe ich in »Babel« in der Sequenz über den Biafra-Krieg Gesichter mit dem Text gezeichnet, sie bestehen also aus Text. Das sind Möglichkeiten, die nur der Comic bietet. Kreisförmig ist aber auch die Komposition der Seite, da kann man eine Menge machen. Ich zeichne Panel- oder Seitenränder oft als Reliefs oder Friese oder ordne Panels auf der Seite als Spiralen an. Das sind Sachen, die machen mir Spaß, auch weil ich dadurch in die Seite eindringen und mit ihr arbeiten kann.
Würden Sie Ihre Arbeiten als intuitiv bezeichnen?
Meine Arbeit ist schon oft sehr intuitiv. Wenn ich zeichne, dann finde ich die Lösungen oftmals auf dem Weg. Dann entsteht etwas, ich leg es zur Seite, schaue es mir ein, zwei Tage später noch einmal an und sehe dann, ob das, was ich mir gedacht habe, funktioniert oder nicht. Ich bin quasi mein erster Lektor. Meistens funktionieren die Zeichnungen, die mir aus dem Handgelenk kommen, am besten. Die lange durchdachten Zeichnungen sind meistens weniger geeignet. Ich kann daher nicht behaupten, dass ich die Dinge vorher intensiv durchdenke, die ich mache. So nach dem Motto, jetzt brauche ich dies und jenes; nein, so funktioniert das nicht. Ich bereite die Dinge natürlich vor, lese historische Quellen und beschäftige mich mit dem Thema. Das habe ich alles im Kopf, wenn ich mich ans Zeichnen mache. Dann lasse ich das wirken und meinem grafischen Gefühl freien Lauf. Bei »Die besten Feinde« kommt das besonders deutlich zum Vorschein, weil die Geschichte so komplex und voll ist, dass man gar nicht alles erzählen kann und deshalb in der Grafik sehr schnell zum Kern des Ganzen vordringen muss. Deshalb gibt es darin relativ viele Bilder und Zeichnungen, die auf den ersten Blick aufrütteln und erschüttern, weil sie viel erzählen müssen.
Ich finde in Ihren Zeichnungen viel Surrealismus und Naive Kunst. Wenn Sie auf die Kunsthistorie schauen, welche Phase inspiriert Sie am meisten?
Natürlich sind das Sachen, die mich interessieren. Als Kind war ich mit meinen Eltern bei einer der ersten großen Retrospektiven der surrealistischen Kunst in Paris. Da waren alle großen Surrealisten versammelt und ich kann mich daran erinnern, wie ich da stand und vollkommen überwältigt war. Schon damals habe ich gedacht, »Ach so, das kann man alles machen? Das ist ja verrückt.« In den Kunstbüchern meiner Eltern habe ich aber auch die ethnische Kunst entdeckt, die mich bis heute fasziniert. Das ist eine oft sehr unmittelbare, einfache Kunst, die man sofort versteht. Dann interessieren mich auch die antike Kunst aus Mesopotamien und Syrien sowie die Miniaturen aus dem Mittelalter. Prägend ist natürlich auch die Kunst der Renaissance und der dort verankerte Gedanke, dass alles Abgebildete eine Bedeutung hat. Das wird mit der Größe, Belichtung oder Position verschlüsselt dargestellt. Auch das versteht man sofort.
Ich erkenne in Ihren Geschichten immer auch eine dunkle, finstere Seite. Fühlen Sie sich von der Dunkelheit angezogen?
Ich glaube, ich hatte eine recht komplizierte Kindheit. Es war keine düstere Kindheit, aber der dunkle Abgrund war mit der Krankheit meines Bruders [verarbeitet in »Die Heilige Krankheit«, A.d.A.] immer auch anwesend. Er hatte drei epileptische Anfälle am Tag und jedes Mal war es so, als würde er sterben müssen. Die Tatsache, täglich mit dieser Art des Todeskampfes umzugehen, hat nicht unbedingt den Optimismus in mir befördert. Damit wuchs ich auf. Wir alle wussten, er wird einen Anfall am Morgen, einen um die Mittagszeit und einen am Abend haben, das hat unseren Tagen den Rhythmus vorgegeben. Die Ärzte fanden damals nicht heraus, woher diese Epilepsie kam. Das hat auch an meinem Glauben an die Menschheit gekratzt. Zumal die meisten Schwierigkeiten entstanden, weil die Gesellschaft damit nicht umgehen konnte. Wenn man so will, hat all das dazu geführt, dass mein Vertrauen in das Gute im Menschen und die Gesellschaft allgemein stark eingeschränkt ist.
Ein mangelndes Vertrauen in die Gesellschaft aufgrund der Erkrankung Ihres Bruders? Können Sie das etwas ausführen?
Die Ärzte waren im Umgang mit der Krankheit meines Bruders sehr arrogant, obwohl sie nicht wussten, was sie machen sollten. Sie hatten uns eine unnötige Operation vorgeschlagen, die meine Eltern ablehnten, was wiederum dazu führte, dass die Ärzte ihnen die Schuld am Zustand meines Bruders gaben. Später haben andere Ärzte gesagt, dass meine Eltern richtig gehandelt haben, aber gut… Mich haben diese Erlebnisse stark geprägt, es ist eine ordentliche Portion Pessimismus hängengeblieben.
In »Auf dunklen Wegen« zeichnen Sie das absurde Porträt einer nicht funktionierenden Gesellschaft unter der Regierung des italienischen Schriftstellers Gabriele D’Annunzio im dalmatinischen Fiume. Da ist etwa der Zeitungsverkäufer, der nur alte Ausgaben verkauft, weil darin kein Krieg vorkommt. Was bedeutet Ihnen das Absurde?
Ich habe diese Geschichte über die Stadt Fiume genau deshalb gemacht, weil sie absurd ist – und das nicht nur aus unserer heutigen Sicht, sondern auch schon damals. Zugleich ist diese Geschichte auch nur in dieser Zwischenkriegsphase überhaupt denkbar, weil es nur zu diesem Zeitpunkt und in dieser Region ein solches politisches Vakuum gab. Nur so war es möglich, dass ein italienischer Poet in einem toten Winkel zwischen Italien und der alten österreich-ungarischen Monarchie sein Privatreich mit einer Regierung, bestehend aus einem Belgier, einem Italiener, einem nackten Poeten und einer Bande Halbkrimineller, aufbaut. Die Absurdität setzt sich fort, denn dieses Regime war im selben Moment faschistisch und kosmopolitisch. Der Nationalist D’Annunzio lud die Rebellen aus aller Welt ebenso in seinen Staat ein, wie die Sklaven aus aller Herren Länder, denn er war für die Revolution und gegen die Sklaverei. Mich hat diese Geschichte fasziniert, dieses Aufeinandertreffen von Ideen und Menschen aus aller Welt, bis Faschisten, Sozialisten und Anarchisten miteinander Politik machen. Irgendwie war es kein Wunder, dass diese poetisch-politische Enklave einzig von der dadaistischen Bewegung anerkannt wurde.
In »Das bleiche Pferd«, dem ersten Album, das Sie für den von Ihnen mitgegründeten Verlag L’Association gezeichnet haben, verarbeiten Sie Träume – ein Thema, dass sich durch Ihr Werk zieht. Ist das Album der Ausgangspunkt Ihrer Karriere?
Naja, zumindest war es mein erstes für L’Association und danach kamen dann noch einige andere. Den Verlag haben wir ja nicht nur gegründet, um uns selbst zu verlegen, sondern auch, um neuen grafischen Stilen eine Heimat zu geben. Wir wollten ermöglichen, dass Comics erscheinen können, die die Grenzen und Limitierungen überwinden, die bis dahin nicht überwunden wurden. 1989, als wir den Verlag ins Leben riefen, hatten es Comics, wie wir sie machten, schwer. Ein Comic über die eigenen Träume, wie »Das bleiche Pferd« eines ist, war zuvor noch nirgendwo erschienen, das war etwas völlig neues. Insofern war die Verlagsgründung auch eine Art Manifest für eine neue Art des Geschichtenerzählens in der Neunten Kunst. Für mich war das Album eine Bestätigung meiner Fähigkeiten, denn auch ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht.
Ihr Album »Les incidents de la nuit« ist eine phänomenale Mischung von esoterischen, biblischen und historischen Themen, voller Traumbilder und grafischer Metaphern – ein großer Traum von Allem und Nichts, der eine enorme Sogwirkung entfaltet. Wie ist es zu dem Album gekommen?
Wie auch bei »Le Cheval Blême« war auch hier einer meiner Träume Ausgangspunkt des Albums. Ich greife ihn zu Beginn des Albums auf. Da befinde ich mich in einer Pariser Bücherei, in der ich ein Heft aus dem 19. Jahrhundert mit dem Titel »Les incidents de la nuit« finde. Als ich von diesem Traum aufwachte, war ich noch derart davon eingenommen, dass ich sofort wusste, dass ich das als Album umsetzen musste. Die Erzählung des Comics folgt dann dem Paris, wie ich es in den siebziger und achtziger Jahren erlebt habe. Entsprechend gibt es viele autobiografische Elemente darin. Ich lebte damals im Marais, dem jüdischen Viertel in Paris. In dem Comic erzähle ich die Geschichte von einigen Orten und Personen, die an meine Erlebnisse angelehnt sind. Etwa die Bücherei von Monsieur Lhôm, die einem Buchladen nachempfunden ist, den ich damals besuchte. Im Großen und Ganzen ist »Les incidents de la nuit« eine fantastische Erzählung, die Paris, der Literatur sowie der Buch- und Schreibkultur gewidmet ist.
Die Literatur im Sinne von Wort und Schrift zieht sich durch all ihre Werke.
Ich lese einfach viel. Ich rede gern darüber, was es bedeutet, zu schreiben, Dinge zu fixieren, mit Wörtern, mit Zeichen und Zeichnungen. Das ist schließlich das Thema des Schreibens.
Eines ihrer fantastischsten Werke ist die Miniserie »Les Chercheurs de trésor«, einem orientalischen Heldenmärchen, das seit 2004 auf seine Fortsetzung wartet. Wann und wie geht es weiter?
Mein Verleger hat mich das kürzlich auch gefragt, aber ich glaube kaum, dass ich noch einen dritten Band machen werde. Nachdem 2003 mit »L’Ombre de Dieu« der erste Band und 2004 mit »La Ville froide« das zweite Album erschienen sind, habe ich das Interesse daran verloren. Als ich den dritten Teil beginnen sollte, hat Dargaud [wo die beiden Alben erscheinen sind; A.d.A.] den Verlag Dupuis übernommen. Das lief damals alles andere als gut. Ich kannte einige Leute bei Dupuis, die kommentarlos vor die Tür gesetzt wurden. Es gab Streiks, Proteste und das alles; mich hat das sehr unzufrieden gemacht. Danach habe ich viele Jahre gedacht, dass ich für Dargaud nicht mehr arbeiten werde. Die Leute von Dupuis, die gefeuert wurden, haben dann Futuropolis gegründet und ich habe dann für den neuen Verlag gezeichnet. Aber die Zeiten ändern sich und vielleicht werde ich nun zu Dargaud zurückkehren. Kurzum: Es gibt diese verlagspolitische Geschichte, die in mir viel kaputtgemacht hat, was sicherlich auch seine Wirkung auf den dritten Band von »Les Chercheurs de trésor« gehabt hat. Manchmal können solche Ereignisse von außen ein ganzes Projekt kaputtmachen.
Also es wird definitiv keinen Abschluss von »Les Chercheurs de trésor« geben?
Aktuell arbeite ich an der Adaption einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht für Gallimard und im gewissen Sinne ist das die Fortsetzung von »Les Chercheurs de trésor«. Ich sehe deshalb gar keine Notwendigkeit mehr, den dritten Band zu zeichnen.
Bei dem von Ihnen mitgegründeten Verlag L’Association, den Sie 2005 verlassen haben, war es in den vergangenen Jahren sehr unruhig. Es gab Ärger mit der Geschäftsführung, Leute wurden entlassen, Mitarbeiter streikten wegen der schlechten Bezahlung. Was macht das mit Ihnen, gerade auch vor dem Hintergrund der Dargaud-Geschichte.
Im Grunde ist es das gleiche. Ich habe den Verlag damals nicht umsonst verlassen. Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und dem Präsidenten des Verlags, Jean-Christoph Menu. Meinen Kollegen ging es ähnlich, deshalb sind sie dann kurz nach mir gegangen. Die Diskrepanz zwischen Menus Ansichten und der Wirklichkeit sind infolge offenbar derart auseinandergegangen, dass sich die Situation zugespitzt hat und die Mitarbeiter in den Streik getreten sind. Daraufhin haben wir Gründungsmitglieder unsere Hilfe angeboten. Menu wollte aber nicht wirklich mit uns zusammenarbeiten. Formal war er zwar bereit, aber es sollte sich nichts ändern, als wäre nichts geschehen. Da haben wir gesagt, dass das nicht geht und er hat seinen Hut genommen. Also es gab viele weitere Ereignisse, ich fasse hier nur zusammen, aber ungefähr so war die Situation. Wir haben dann die Führung übernommen, um den Verlag durch die Krise zu bekommen. Und in dieser Phase befinden wir uns noch. Die Situation am Markt ist nicht ideal, zugleich ist der Anspruch des Verlags hoch und so muss immer wieder die Balance gefunden werden zwischen Alben, die man macht, weil sie sich gut verkaufen, und Bänden, die der Verlag aufgrund der künstlerischen Ambitionen machen muss, auch wenn sie sich nicht verkaufen.
Sie haben mit vielen wichtigen Zeichnern zusammengearbeitet, entweder in gemeinsamen Studios oder aber bei gemeinsamen Projekten. Was bedeuten Ihnen die Kooperation und der Austausch mit anderen Zeichnern?
Ja, ich habe viele Dinge in Kooperation umgesetzt. Ich habe Christoph Blain ein Szenario geschrieben, Tanquerelle und Emmanuel Guibert ebenfalls, mit Joann Sfar zusammengearbeitet und vieles mehr. Es ist spannend, zu sehen, wie andere arbeiten und die unterschiedlichen Vorstellungen, was ein Comic leisten kann, kennenzulernen. Man sieht die unterschiedlichsten Wege, wie aus der Idee ein Comicalbum wird.
Welche Comicautoren oder Künstler lesen Sie gern?
Ich lese sehr gern die Sachen von Gipi, einem italienischen Comiczeichner. Aktuell arbeite ich auch mit Andrea Bruno zusammen, einem weiteren Italiener, dessen Arbeiten ich sehr mag.
Von Ihnen liegen sowohl Schwarz-Weiß- als auch kolorierte Alben vor. Bevorzugen Sie eine der beiden Varianten?
Ach, für mich ändert das alles nicht viel. Es gibt eben Projekte, die mache ich schwarz-weiß, dann gibt es zweifarbige und dann auch ganz bunte Sachen. Das ist eine Situationsentscheidung, je nachdem was zum Projekt und dessen Stil passt. »Die besten Feinde« mussten schwarz-weiß sein. Die Geschichte ist schon kompliziert genug, da war nicht auch noch Platz für Farben. Das gleiche gilt für »Die heilige Krankheit«, auch hier wären Farben störend gewesen, man brauchte sofort einen Zugang zur Erzählung. Bei »Auf dunklen Wegen« hingegen war ausreichend erzählerischer Raum, die Erzählung ist ohnehin mit vielen fantastischen und absurden Elementen ausgestattet. Dann kann man damit spielen.
In »Die heilige Krankheit« sagen Sie selbst: »Mein Thema ist meine innere Unruhe«. Schaut man sich die Anzahl Ihrer Werke und den Inhalt an, nimmt man Ihnen das sofort ab. Wird David B. mit der Zeit ruhiger oder rufen immer mehr Projekte nach Verwirklichung?
Ja, natürlich habe ich viele Dinge im Kopf, etwa ein Projekt, dessen erstes Kapitel dem inneren Terror, also einer besonderen Form der Unruhe, gewidmet sein soll. Die Unruhe und die Unausgeglichenheit sind schon meine großen Themen. Mir fehlt die Sicherheit und Gewissheit des Daseins, die viele andere haben. Deshalb auch die vielen fantastischen Elemente, die es mir gestattet, mich in eine Welt ohne Gewissheiten zu flüchten.
David B. vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.
Die Comics von David B. sind in deutscher Übersetzung bei den Verlagen avant, Reprodukt und Edition Moderne erschienen.
[…] Staples und Brian K. Vaughan durch. Sattouf hat jahrelang mit Christophe Blain, Mathieu Sapin und Joann Sfar in einem Altelier gearbeitet und von 2004 bis 2014 regelmäßig für das französische […]
[…] kunstvollen Werken hervorgebracht? Marjane Satrapis »Persepolis«, Alison Bechdels »Fun Home«, David B.s »L’Ascenscion du Haut Mal«, David Smalls »Stitches«, Mimi Ponds »Over Easy«, Harvey Pekars »American Splendor« oder Art […]
[…] haben gerade schon Ihre Zusammenarbeit mit anderen Comiczeichner wie David B. (hier zum Interview mit David B.) oder Joann Sfar (hier zum Interview mit Joann Sfar) angesprochen. Da sind Sie mal für das […]
[…] öffnet, ist etwas völlig anderes. Neben den irrsinnig witzigen Geschichten von Lewis Trondheim, Joann Sfar und Manu Larcenet stieß ich auf die düsteren Comicerzählungen aus den Gräben des 1. Weltkriegs […]
[…] ihre Verlage abgaben, handelt es sich um Daniel Clowes, Chris Ware, Charles Burns, Riad Sattouf, Joann Sfar, Milo Manara, Pierre Christin, Etienne Davodeau, Christophe Blain und Brian Michael […]
[…] Das gilt aber auch für Zeichner und Szenaristen wie François Schuiten, Christophe Blain oder David B, die aktuell aktiv sind. Ich liebe aber auch die – wenn man sie so nennen möchte – deutsche […]