Interviews & Porträts, Literatur, Lyrik, Roman

Vom Schreiben besessen

An dem Berliner Schriftsteller Alban Nikolai Herbst scheiden sich seit jeher die Geister. Seine über Jahrzehnte gesammelten Erzählungen sprechen jedoch für sich und gäben Anlass für eine literarische Rehabilitation.

Es flüstert, raunt und rumort, ruft man den Namen Alban Nikolai Herbst in den Wind der Literaturkritik. Wie das kommt, darüber kann man nur spekulieren. Wie man überhaupt mit vielen Behauptungen konfrontiert ist, widmet man sich diesem Autoren und der Rezeption seines Werks. Es ist ein gewaltiges Werk, wie es nur wenige deutschsprachige Autoren vorweisen können. Allein sein aktuell vergriffener Roman »Wolpertinger oder Das Blau«, der »Anderswelt«-Trilogie (im vorletzten Jahr neu beim Berliner Elfenbein-Verlag erschienen) und seinen gesammelten Erzählungen, die bis zum Herbst in zwei Bänden im Septime-Verlag erscheinen, umfassen über viertausend Seiten. Insgesamt sind seit den achtziger Jahren weit über 30 Titel von Herbst erschienen, Prosa und Lyrik gehen dabei Hand in Hand. Sein seit Jahren betriebener Blog »Die Dschungel. Anderswelt« würde ausgedruckt diese Zahl wohl verdoppeln.

In der aktuellen Ausgabe der VOLLTEXT ist das komplette Gespräch mit Alban Nikolai Herbst gedruckt.

Wer ist dieser vom Schreiben besessene Mann, der unter Kritikern entweder als arroganter Sprachfetischist oder als verkanntes Genie firmiert? Ein Treffen in seiner Arbeitswohnung im Prenzlauer Berg soll Antworten liefern. Sein Kleidungsstil schwankt zwischen Dandy und Hippie, wirkt irgendwie aus der Zeit gefallen, wie alles hier. Und gerade deshalb wirkt es so heimisch in dieser bis zur Decke mit Büchern und Tonträgern vollgestopften Altbauwohnung. Bei Wasser, Whiskey und Zigaretten sprachen wir zwei Stunden über Autorenschaft, Ästhetik und Animositäten.

ANH – so sein Kürzel – entstammt der Ribbentrop-Familie, er ist der Großneffe des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop. Um diese Last loszuwerden, hat er früh den Künstlernamen Alban Nikolai Herbst angenommen. Geholfen hat es nicht, die Ribbentrop-Geschichte wird immer wieder rausgeholt, um dem diskussionsfreudigen Autor eine dunkle Seite anzudichten. Dabei liegt diese dunkle Seite über dem ganzen Land, steckt in jedem einzelnen von uns. Man kann die Information seiner familiären Herkunft daher getrost als biografischen Fakt abseits der Literatur begreifen.

Für seinen Werdegang sind die Dreier-Jahre prägend. 1983 las er kurz nach Rainald Goetz beim Bachmannwettbewerb in Klagenfurt. Goetz schnitt sich, einen Auszug aus seinem Kultroman »Irre« lesend, mit der Rasierklinge die Stirn auf. Ein legendärer Auftritt. »Ich habe quasi noch in seinem Blut gelesen«, erinnert sich Herbst, der damals die Jury – unter anderem mit Marcel Reich-Ranicki und Walter Jens – heftig angriff, weil sie sich von dieser Bluttaufe gänzlich unbeeindruckt zeigte. Damit war er bei den Granden der deutschen Literaturkritik gleich zu Beginn unten durch, ist er sich sicher.

Er sagte daher erst einmal der Literatur Adieu und arbeitete in den Achtzigern einige Jahre an der Börse. Böse Zungen behaupten, er hätte sich dort das Geld verdient, mit dem er sich jahrelanges Schreiben im Mittelmaß hätte leisten können. Herbst selbst sagt, er sei ohne nennenswerten finanziellen Gewinn aus dem Geschäft ausgestiegen. Aus der Erfahrung hat er dennoch etwas mitgenommen, nämlich die Erkenntnis, dass Fiktionen paradoxerweise eine »Realitätskraft« besitzen. »Als ich an der Börse arbeitete, lernte ich, welch eine sogar tägliche Praxis sie ist. Bewirke ich den Glauben, dass etwas etwas wert ist, dann steigt der Preis, egal ob das Ding überhaupt einen Gebrauchswert hat. Solche Fiktionen durchziehen meines Erachtens auch die Politik.«

Bücherregal in der Schreibstube von Alban Nikolai Herbst | © Thomas Hummitzsch

1993 sorgt sein Wolpertinger-Roman für Aufsehen, der FAZ-Kritiker Wilhelm Kühlmann, »der für seine scharfe Zunge und eine ebensolche Feder bekannt und durchaus auch berüchtigt war«, pries den Roman nach Lektüre als »seismographisches Protokoll der achtziger Jahre« und »bleibendes Zeugnis unseres Jahrzehnts«. Und doch bleibt der ganz große Erfolg aus. Weil es Redaktionen gegeben habe, in denen seine Bücher nicht besprochen werden durften, ist sich Herbst sicher. Das habe zum Einen damit zu tun hat, »dass ich keine Tabus kenne und vor allem nie nach Zeitthemen schrieb«, zum Anderen gebe es aber auch persönliche Animositäten. Eine davon taucht auch in der Erzählung »Geständnis an die literarische Welt« auf, in der der Erzähler, ein Autor, gesteht, dass nicht er, sondern ein anderer Urheber seiner Bücher sei. Er erzählt dennoch von seinem Werdegang und der Begegnung mit Iris Radisch, die wenig später als »Radieschen« verballhornt wird.

Alban Nikolai Herbst: Wanderer. Septime Verlag 2019. 600 Seiten, 29,- Euro. Hier bestellen

Und dennoch: in der besten aller Welten müsste die Poetologie über persönlichen Animositäten obsiegen, müsste es ihm gehen wie Thomas Brasch, der trotz seines Rufes, ein schwieriger Autor zu sein, Zeit seines Lebens im Gespräch blieb. Doch das ist Herbst bislang versagt geblieben, das Jahr 2003 spielt dabei eine wichtige Rolle. Kurz nach dem Verbot von Maxim Billers Roman »Esra« wurde Herbsts Roman »Meere« verboten. Seine damalige Ex-Freundin sah ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. In dem Roman beschreibt er explizit das mitunter gewaltsame Sexualleben zwischen dem autofiktionalen Erzähler und der Protagonistin, in der sich die Freundin wiederzuerkennen meinte. In Windeseile war Herbsts ohnehin schon zweifelhafter Ruf ruiniert. Nun war er nicht nur schwierig, sondern auch noch verurteilt. Dass er sich mit der Klägerin vier Jahre später gerichtlich einigte und eine überarbeitete Fassung des Romans erscheinen durfte, konnte nur wenig zu seiner Rehabilitierung beitragen. Infolge publizierte er vor allem Gedichte und kleinere Erzählungen in verschiedenen Verlagen, demnächst erscheint bei Diaphanes sein Gedichtzyklus »Die Brüste der Béart« gleich in mehreren Sprachen.

2013 wagte er mit dem dritten und abschließenden Band seiner Anderswelt-Trilogie einen ersten Befreiungsschlag. Tatsächlich tauchte er wieder auf dem Radar der großen Feuilletons auf, doch immer noch hing ihm der Skandal um »Meere« nach. Dass er es zwei Jahre später mit seinem fulminanten Roman »Traumschiff« nicht auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte, ist für Herbst Ausdruck eines zerrütteten Verhältnisses. »Es ging nicht darum, dass das Buch schlecht ist, sondern darum, dass man jemanden nicht haben wollte.«

Alban Nikolai Herbst diskutiert gern | © Thomas Hummitzsch

Er sei für gewisse Kreise schon immer ein unbequemer Autor gewesen, ist sich der Mittsechziger sicher. Im Gegenzug unterstellt er, dass nur wenige Kritiker:innen bereit und in der Lage seien, sich mit seiner Literatur unvoreingenommen und literarisch auseinanderzusetzen. So ist ein sich selbst bestätigendes System entstanden, in dem das gegenseitige Ressentiment seine Wirkung zeigt. Inzwischen mehr denn je, denn in einer Welt, in der Kritiker und Autoren Social-Media-Freundschaften pflegen, ist kein Platz für einen wie Herbst. Für einen, der nicht die kleinen, schnell verdaulichen Lektüren schätzt, sondern sich an die dicken und unbequemen Wälzer sowie Gesamtausgaben (gerade ist es Nabokov, der es ihm angetan hat) wagt. Und schon gar nicht für einen, der nach Verrissen (nicht nur denen seiner Bücher!) schon mal kritische Positionen, wenn sie nicht ausreichend belegt sind, in der digitalen Luft seinen Blogs zerreißt. Man könnte das störrisch oder renitent nennen, vielleicht ist es aber auch einfach nur genau und nah am Text. Herbst ist einer, der nicht bereit ist, für den medialen Erfolg die eigene Würde auf dem Jahrmarkt der journalistischen Eitelkeiten zu verscherbeln. Im Literaturzirkus zahlt er dafür keinen geringen Preis.

Alban Nikolai Herbst: Wölfinnen. Septime Verlag 2020. 624 Seiten, 29,- Euro. Hier bestellen

Aber eigentlich ist Herbst damit ohnehin fertig. Also nicht mit dem Schreiben, aber mit dem ewigen Hoffen auf den Durchbruch. Früher habe er noch provozieren wollen und sich daran gefreut, Widerstand zu wecken. Mit zunehmendem Alter werde die Situation jedoch mühsam, räumt er ein. Zumal jetzt noch der Krebs dazukommt, gegen den er kämpft. Beziehungsweise gegen die er kämpft, denn er nennt seinen Tumor fast liebevoll Liligeia oder einfach nur Lili, um mit ihm irgendwie auf einer persönlichen Ebene umzugehen. Was ihn an der Erkrankung am meisten schmerzt, sei die Tatsache, dass er mit seinem poetologischen Prinzip brechen muss, schreibt er in seinem digitalen Krebstagebuch. Statt die Handlungsorte seiner Literatur aufzusuchen und mit ihnen in einen Dialog zu treten, muss er nun ohne diese Erfahrung schreiben. Aber er schreibt, weiter und immer weiter, eine Krankheit kann ihn davon nicht abbringen. Vielmehr sieht er sie als Abenteuer, »das mit, nicht gegen den Tumor agiert, es zumindest unternimmt, weist mit Würde von sich, daß man ein Opfer sei. Wir sind es, Opfer, nicht; es sei denn, daß wir’s wollen. Was es leider, häufig, gibt.«

Ein solch kompromissloses Schreiben gibt es hingegen nicht so häufig. Herbsts Literatur mag sperrig und manchmal auch zu maskulin-durchdrungen sein, aber sie ist auch witzig, überraschend und sprachverliebt. Man merkt ihr an, dass sie von seinen Lektüren (und Übersetzungen) von James Joyce, Ezra Pound und Vladimir Nabokov geprägt ist. Deshalb lohnt es sich, zu seinen zum Teil noch unveröffentlichten und nun leicht überarbeiteten Erzählungen zu greifen, die inzwischen in einer zweibändigen, sehr klassische gehaltenen Ausgabe vorliegen. Man durchlebt mit ihnen ein Abenteuer, eine Art Schatzsuche um literarisches Gold. Und dahinter wartet ein beeindruckendes Lebenswerk auf Eroberung.