Allgemein, Fotografie

Ein Schmelztiegel?

Amerika steht vor den Wahlen und das ist nicht nur wegen Corona eine besondere Situation. Eine Wiederwahl von Donald Trump scheint trotz oder vielleichtsogar gerade wegen seiner Infektion alles andere als ausgeschlossen. Dabei hat kein Präsident vor ihm mit Klientelpolitik, Beleidigungen und Lügen so stark zur Spaltung der amerikanischen Gesellschaft beigetragen. Wie tief der Riss durch Familien, Nachbarschaften und Communities geht, veranschaulicht der Bildband »Divided We Stand« der Schweizer Fotografen David Braschler und Monika Fischer.

2003 reiste das Fotografenpaar erstmals für ein gemeinsames Projekt in die USA, in »About America« kamen sie, wie sie selbst sagen, der »Essenz dieses Landes ein Stück näher«. Doch auch sie hatten sich in dem Glauben geirrt, damit zu wissen, wie dieses Land tickt. Die Wahl Trumps habe sie ebenso überrascht wie alle anderen, räumen sie im Vorwort zu ihrem Bildband »Divided We Stand« ein. Für die knapp 70 Bilder, die sie darin versammelt haben, sind sie im vergangenen Jahr mit Kind und Van durch das Land gereist und haben Menschen gesucht, die Lust hatten, sich von ihnen vor einer weißen Wand abbilden zu lassen. Von der religiösen Pferdetrainerin über den obdachlosen Glückssucher bis hin zum homosexuellen Architekturstudenten haben sich Menschen in ihr mobiles Studio begeben und sich ablichten lassen. Jung und alt, Provinzler und Stadtmenschen, Angepasste und Freaks haben sich vor der Kamera von Braschler und Fischer eingefunden und ergeben in Gänze ein Bild des vielfältigen Amerika.

Der neutrale Hintergrund schafft so etwas wie eine Unvoreingenommenheit, die die Menschen aus dem Klischee ihrer sonstigen Umgebung herausholt. So sprechen die abgebildeten Menschen auf den Porträts für sich selbst, die jeweilige Haltung der Fotografierten wird durch Kleidungsstil, Accessoires oder Haltung unterstrichen. Oder Blicke, denen es lohnt, nachzugehen, insbesondere in Kombination mit den an die Seite gestellten Zitaten.

Die Porträts werden nämlich von kurzen Aussagen ergänzt, in denen sich die fotografierten Personen zur aktuellen Situation im Land, zum amtierenden Präsidenten und zu ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen äußern konnten. In Kombination mit den Bildern ertappt man sich dann selbst, wie man nicht selten dem Vorurteil des Erscheinungsbildes erliegt. Etwa wenn der smart aussehende Investor aus New York Trumps Politik als »fantastisch« preist und trotz der streitbaren Persönlichkeit zu dem Schluss kommt: »Ich kann mit ihm als Idiot leben, und dass er unausstehlich ist und engstirnig und womöglich ein Lügner, solange seine Politik so bleibt, wie sie ist.« Oder der ehemalige US Marine und ehemalige Vorsitzende der Navajo Nation nicht Trumps diskriminierende Politik beklagt, sondern sich fragt, wo der Stolz und die Selbstbestimmung der amerikanischen Ureinwohner hin ist. Deren größte Probleme seien ohnehin nicht der amtierende Präsident, sondern Drogenmissbrauch, Alkoholismus, Selbstmord und häusliche Gewalt, die nun auch bis in die Reservate vorgedrungen seien. Tommy Orange hatte zu diesem Thema unlängst einen umwerfenden Roman geschrieben.

Es gibt aber natürlich auch weniger überraschende Aussagen, alles andere wäre auch seltsam. Wenn etwa der schwarze Bürgerrechtsaktivist aus Selma feststellt, dass es ein Problem mit diesem Präsidenten gebe, nämlich dass er die Verfassung nicht nur nicht gelesen habe, sondern auch keinen Respekt vor ihr habe. Oder wenn ein Lastwagen-Mechaniker aus Texas beklagt, dass die Spaltung des Landes dazu geführt habe, dass er nicht mehr sagen könne, stolz auf sein Land und seine Flagge sein zu können, ohne als Rassist bezeichnet zu werden. Ein Problem, dass auch die amerikanische Historikerin Jill Lepore in ihrem jüngsten Buch »Dieses Amerika. Manifest für eine bessere Nation« behandelt, in dem sie eine Rückeroberung des Begriffs Nationalismus durch die linke politische Strömung fordert.

Über die Spaltung im Land sprechen viele in diesem lesens- und sehenswerten Bildband. Eine junge Youtuberin aus Chicago gab Braschler und Fischer etwa zu Protokoll, dass der Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft gehe, selbst das Problem sei. »Es ist eine echte Spaltung, wir mischen uns nicht, treffen nicht mehr aufeinander …, deshalb sehen wir uns mehr als Feinde, wir nehmen uns gegenseitig als fremd wahr und fürchten uns eher voreinander, weil wir uns nicht mehr begegnen.«

Mathias Braschler & Monika Fischer: Divided We Stand. Hartmann Books. 160 Seiten. 66 Abbildungen. 39,00 Euro. Hier bestellen

Am Ende sollen zwei gehört werden, die meist überhört werden, eine Walmart-Verkäuferin und eine Kellnerin. Die Supermarkt-Verkäuferin kommt aus Kalifornien, dem Staat nach New York, in dem sich wohl die meisten Prominenten tummeln. Und sie verzweifelt daran, dass Mütter in ihrem Land drei Jobs haben müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen, während Football-Spieler oder Schauspielerinnen Millionen verdienen. »Es muss doch etwas geben, was man dagegen tun kann«, klagt sie. Amerika sei ein Sprungbrett und Schmelztiegel, »ein Schmelztiegel für Aufstieg und Chancen, aber auch für Unterdrückung und Traurigkeit«, stellt sie fest. Und man kann ihr die Resignation in den Augen ablesen. Ob die Wahlen daran etwas ändern, daran darf man berechtigte Zweifel haben, denn die hanebüchende Ungleichheit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat auch unter den demokratischen Präsidenten nicht abgenommen.

Und dennoch wollen viele die Hoffnung nicht aufgeben wie die Kellnerin aus West Virginia: »Mein größter Wunsch für dieses Land ist, dass wir irgendwann einen Präsidenten haben, der sich um alle kümmert. Ich hoffe wirklich, dass wir einen Präsidenten bekommen, der das Land nicht weiter spaltet.« Es bräuchte also einen Präsidenten des Zusammenhalts. Donald Trump ist dafür denkbar geeignet.

Wer auch immer Trump nachfolgt, ob im November oder später, steht vor einer Mammutaufgabe. Er muss ein gespaltenes Land zusammenführen. Gespalten nicht nur von einem unfähigen Präsidenten, sondern von einem Gesellschaftssystem, das Unterschiede verstärkt, statt sie zu mindern. In Ayad Akhtars Roman »Homeland Elegien« heißt es dazu an einer Stelle: »Sie sagen, es ist ein Schmelztiegel, aber das stimmt nicht. In der Chemie gibt es Pufferlösungen, die andere Bestandteile verbinden, sie aber immer getrennt halten. Und genau das ist dieses Land: eine Pufferlösung.«

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