Gesellschaft, Sachbuch

Es wird Zeit, dass die Menschheit erwachsen wird

Die Art, wie wir mit der Natur umgehen, erinnert Prof. Joachim Bauer »an die Flegeljahre eines Pubertierenden«. In seinem Buch »Fühlen, was die Welt fühlt«, beschreibt der Psychologe auf Basis wissenschaftlicher und kultureller Quellen die missratene Emanzipation des Menschen von der Natur und was diese mit der Corona-Pandemie, der Zunahme von Hassgemeinschaften und politischem Extremismus zu tun hat. Ein Gespräch über das schlechte Verhältnis des Menschen zu seiner Lebensgrundlage und wie jede:r Einzelne etwas dagegen tun kann.

Prof. Bauer, der Klimawandel schreitet voran. Die Temperaturen nehmen zu, die Pole schmelzen, die Wälder als Lunge der Erde sind schwer geschädigt. Leidet die Erde an Corona?
Joachim Bauer: Moment, das müssen wir sortieren: Die derzeitige Corona-Epidemie ist eine der vielen Folgen der Naturzerstörung. Die voranschreitende Abholzung großer Wälder in Südostasien hat das Risiko, dass pathogene Keime (Mikroorganismen mit krankmachenden Eigenschaften, A.d.I.) von Tieren auf den Menschen überspringen, massiv erhöht. Davor wurde ausdrücklich gewarnt. Die jetzige Corona-Epidemie wurde 2018 in einem wissenschaftlichen Paper, das ich in meinem Buch zitiere, vorausgesagt. Die Abholzung der großen Wälder dieser Erde wiederum hat ihren Grund in der Vieh- und Fleischwirtschaft, denn die Wälder weichen vor allem Anbauflächen für Viehfutter.

Joaxchim Bauer: Fühlen, was die Welt fühlt. Blessing Verlag 2020. 208 Seiten. 22,00 Euro. Hier bestellen

In Ihrem Buch »Fühlen, was die Welt fühlt« sagen Sie, dass wir die Herausforderungen der Zeit nicht bestehen werden, wenn wir nicht wieder lernen zu fühlen, was die Erde fühlt. Wie meinen Sie das?
Unser Globus steht auf der Kippe. Wenn die Erderwärmung so weitergeht, werden wir Dürren, den Rückgang der Ernteerträge, eine Zunahme von Waldbränden und die Ausbreitung neuer Krankheiten erleben. Warum gibt es in unserer Bevölkerung keine Weckreaktion, keinen Aufbruch, keine Bereitschaft zur Veränderung des eigenen Lebensstils, obwohl wir das alles doch genau wissen? Meine Antwort lautet: Weil die Beziehung, die unsere evolutionären Vorfahren mit der Natur verbunden hat, verschüttet ist. Der Kern des Problems ist eine emotionale Entfremdung zwischen Mensch und Natur.

Klimawandel und Corona haben strukturell etwas gemeinsam. Beide verlaufen exponentiell, nicht linear. Warum fällt es uns so schwer, die dahinterliegende Dynamik zu verstehen?
Wer jeden Morgen ein kleines 0,1 Liter-Glas Orangensaft trinkt und sieht, dass die Ein-Liter-Flasche noch halb voll ist, denkt sich: Der Kauf der neuen Flasche hat noch etwas Zeit. Stimmt, weil die Abnahme linear ist. Wenn Seerosen, die in einem Teich wachsen und ihre Fläche jede Woche verdoppeln, den Teich – Stand heute – halb bedecken, dann wird der Teich eine Woche später voll zugewachsen sein. Das ist exponentiell. Beim Klimawandel verhalten wir uns wie jemand, der am Teich steht und sagt: Ach, bis der zugewachsen ist, dauert es noch eine ganze Weile.

Sie sprechen davon, dass es um die Empathie zwischen Mensch und Natur schlecht bestellt ist. Wie meinen Sie das? Die Welt fühlt doch nicht zurück. Oder doch?
Fühlen biologische Systeme, die miteinander interagieren, nur dann, wenn ein Akademiker danebensteht und sagt: »Hier wird gefühlt!«? Der Fötus im Leib der Mutter fühlt auch dann, wenn im Uterus kein Doktorand Protokoll führt. Das Gleiche gilt für den Leib der Mutter, er fühlt, unabhängig davon ob die Mutter in gutem Kontakt mit ihrem Körper ist oder ob sie Medizin studiert hat. Es macht keinen Sinn, aus der Natur ein höheres Wesen zu machen, das wäre Unfug. Meine These ist aber, dass es zwischen der Spezies Mensch und der Natur, bei der es sich um einen biologischen Mega-Organismus handelt, eine Beziehung gibt. Die Natur gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen, und das kostenlos. Wir unsererseits bewirtschaften die Natur. Beide Seiten vollziehen etwas, was die jeweils andere Seite fühlt. Wir Menschen besitzen unseren Verstand – übrigens auch ein Geschenk der Natur. Dieser Verstand versetzt uns in die Lage, die Bedingungen, unter denen die Beziehung zwischen uns und der Natur funktionieren kann, zu reflektieren. Zu einer gelingenden Beziehung gehört Empathie. Auf diesen Punkt zielt mein Buch.

Die Art, wie wir mit der Natur umgehen, erinnert an die Flegeljahre eines Pubertierenden oder an eine außer Kontrolle geratene Gartenparty-Gesellschaft. Es wird Zeit, erwachsen zu werden, sonst wird uns der Gastgeber – in diesem Falle die Natur – in hohem Bogen aus dem Garten werfen.

War es um dieses Verhältnis denn einmal besser bestellt?
Unsere evolutionären Vorfahren waren über Zehntausende von Jahren am Umherziehen. Die Natur zu »lesen«, also immer wieder aufs Neue schnell zu erfassen was chancenreich und was gefährlich war und wie sich die Dinge entwickeln würden, war überlebenswichtig. Dass unsere Spezies eine einzigartige Fähigkeit entwickelt hat, sich auch jenseits der eigenen Art in andere Lebewesen einzufühlen, war schon Charles Darwin eine ausdrückliche Erwähnung wert – mit dem entsprechenden Zitat leite ich mein Buch ja auch ein.

Gibt es denn eine Art natürliche Veranlagung des Menschen, empathisch zu sein?
Um mit Darwin weiter fortzufahren: Wie schon er erkannt hatte, entwickelt der Mensch die Fähigkeit zur Empathie zunächst unter seinesgleichen, hier nimmt sie ihren Anfang. Die Empathie ist zwar keine angeborene Fähigkeit, gehört aber zum Entwicklungsprogramm, das die Natur für den Menschen vorgesehen hat. Menschlichkeit ist – wie Unmenschlichkeit – an Voraussetzungen gebunden. Wer, vor allem in jungen Jahren, viel Empathie erlebt hat, kann sie dann auch selbst geben.

Wann und wie ist die Empathie zwischen Mensch und Natur verloren gegangen?
Nach der Sesshaftwerdung, mit Beginn der Bewirtschaftung der Natur und im weiteren Verlauf des zivilisatorischen Prozesses. An der Zivilisation ist nichts Schlechtes, die Chancen der technischen und kulturellen Entfaltung des Menschen sind phantastisch, die Emanzipation des Menschen von der Natur war fällig. Die Art, wie wir mit der Natur umgehen, erinnert aber an die Flegeljahre eines Pubertierenden oder an eine außer Kontrolle geratene Gartenparty-Gesellschaft. Es wird Zeit, erwachsen zu werden, sonst wird uns der Gastgeber – in diesem Falle die Natur – in hohem Bogen aus dem Garten werfen.

Prof. Joachim Bauer | Foto: Thomas Hummitzsch

Wie macht sich der Wandel der mentalen Einstellung des Menschen zur Welt in deutlich? Gibt es da historische Vorläufer für diesen Bezugsverlust?
Was den Umgang mit der Natur anging, hatte unserer Spezies seit Beginn der Sesshaftwerdung ein ungutes Gefühl. Das Gilgamesch-Epos erzählt, wie der König von Uruk, um seine größenwahnsinnigen Ideen zu realisieren, einen Wald abholzen ließ, der von einem geheimnisvollen Wächter bewacht war. Den Wächter des Waldes ließ er töten. Erinnert das nicht ein bisschen an Trump, oder? Die Abholzung der obermesopotamischen Wälder war jedenfalls der Anfang vom Ende der Sumerer. Wir sind Uruk.

Sie sprechen oft von sozialer Verbundenheit? Zwischen zwei Menschen ist das einfach vorstellbar, aber wie wirkt Empathie gesellschaftlich?
Zwischen zwei Menschen ist es, wenn es um Zusammenhalt oder Aggression geht, bekanntlich schon reichlich kompliziert. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird es nicht einfacher. Gruppenbildungen können einerseits Zusammenhalt stiften. Ohne gemeinschaftliches Auftreten lassen sich gesellschaftliche Ziele nicht verwirklichen. Gruppenbildungen können aber ebenso auch schwere Konflikte erzeugen: »Wir Guten« gegen »die Anderen«, die natürlich die Bösen sind.

Was kann man tun, damit Vergemeinschaftung zu mehr Offenheit und Empathie und nicht zu mehr Abschottung und Isolation führt?
Die wichtigste Quelle für menschliche Aggression ist das Gefühl, nicht akzeptiert, nicht anerkannt zu sein oder ausgegrenzt zu werden. Wenn sich Menschen, die dieses Gefühl haben, in Gruppen zusammentun, dann bilden sich Hassgemeinschaften. Nun passieren zwei Sachen: Für das quälende Gefühl, benachteiligt zu sein, müssen Schuldige gefunden werden, da müssen dann andere Außenseiter herhalten: Kulturschaffende, jüdische Mitbürger, People of Colour, Homosexuelle usw.. Die andere Geschichte ist, dass das eigene Minderwertigkeitsgefühl in solchen Hassgruppen dadurch kompensiert wird, dass man sich selbst überhöht, in der Regel durch Kraftmeierei und Nationalismus.

Was für einen Einfluss haben soziale Medien auf die soziale Verbundenheit?
Einen verheerenden. Wie nie zuvor in der Geschichte, können sich heute im Internet alle, die sich irgendwie benachteiligt fühlen oder unter den Mühen des Alltags leiden, zu Opfergruppen zusammenschließen und dann mit ihrem Hass loslegen. Hinzu kommt, dass die Mechanismen nach denen die sozialen Netzwerke funktionieren, jedem User durch maßgeschneiderte Feeds eine individuell unterschiedliche Nachrichtenlage unterjubeln. So entstehen gesellschaftliche Untergruppen, die völlig unterschiedliche Realitäten oder Wirklichkeitsbilder im Kopf haben. Das hat zur Folge, dass sich gesellschaftliche Untergruppen untereinander immer weniger verstehen, weil sie ganz unterschiedliche Darstellungen für Fakten halten. Die sozialen Netzwerke sind daher Empathie-Killer. Jaron Lanier, ein Insider, hat das in einem Buch brillant beschrieben.

Wie kann eine Gesellschaft Empathie üben oder trainieren?
Indem wir einen möglichst hohes Level an analogen Begegnungen haben. Das gilt sowohl für den Arbeitsplatz als auch für den Bildungsbereich als auch für die Kultur. Sich am Arbeitsplatz physisch zu sehen, in der Schule miteinander zu lernen, in der Freizeit Zeit in Clubs zu verbringen, gemeinsam Konzerte oder Theateraufführungen zu erleben, sich im privaten Rahmen in Gruppen zusammenzufinden, das alles ist für die Stärkung der innergesellschaftlichen Empathie unersetzlich. Digitale Krücken können das nicht aufwiegen. Daher sind die Maßnahmen zum Schutz vor Corona, so nötig sie sein mögen, zugleich hoch problematisch.

»Wissen ohne Emotion schafft keine Handlungsspielräume«, schreiben Sie in Ihrem Buch. Sie sagen auch, dass Belehrungen, Ermahnungen und Moralpredigten nicht helfen werden, um erfolgreich Maßnahmen gegen Klimawandel, die Ausbreitung der Pandemie oder für ein besseres soziales Miteinander durchzusetzen. Was hilft denn dann?
Na ja, Empathie. Wenn in einer Familie ein Kind ernsthaft erkrankt ist, die Eltern aber keine Beziehung zum Kind haben und das Kind nicht mögen, dann werden alle Ermahnungen des Kinderarztes, was zu tun ist, wenig bewirken. Ein guter Haus- oder Kinderarzt, von denen es leider nicht mehr so viele gibt, wird das sofort merken und wird mit seinen Interventionen an diesem Punkt ansetzen: Was steht zwischen Ihnen und Ihrem Kind? Was kann geschehen, damit Sie fühlen, dass Ihr Kind Sie jetzt wirklich braucht? Nicht anders verhält es sich mit der Beziehung zwischen uns und der Natur.

Einer von zwei Killern war, dass am Beginn der Krise wahrheitswidrig behauptet wurde, dass Masken nicht schützen, nur weil sträflicher Weise keine Masken bevorratet worden waren, obwohl man wusste, dass eine solche Geschichte wie wir sie jetzt haben, kommen würde. Der andere Killer sind oberlehrerhafte Zurechtweisung und Drohungen, die wenig hilfreich sind.

Was heißt das in Bezug auf die Corona-Pandemie, in der die Politik ja immer wieder zu mahnenden Worten greift. Kann das überhaupt erfolgreich sein oder würden Sie einen kommunikativen Kurswechsel empfehlen?
Darüber, wie man große Krisen politisch managed, gibt es eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, mit denen ich meine Leserinnen und Leser im Epilog des Buches vertraut mache. Insgesamt ist es bei uns nicht schlecht gelaufen. Entscheidend ist, das Wir-Gefühl in den Vordergrund zu stellen, also: Wir müssen das und das machen, weil wir zusammenhalten und uns gegenseitig schützen wollen. Einer von zwei Killern war, dass am Beginn der Krise wahrheitswidrig behauptet wurde, dass Masken nicht schützen, nur weil sträflicher Weise keine Masken bevorratet worden waren, obwohl man wusste, dass eine solche Geschichte wie wir sie jetzt haben, kommen würde. Der andere Killer sind oberlehrerhafte Zurechtweisung und Drohungen, die wenig hilfreich sind.

Wie können denn positive Botschaften aussehen, wenn man gegen Missstände wie Rassismus oder toxische Männlichkeit vorgehen will?
Sprechen, erklären, aufklären! Andere nicht für doof erklären. Ab und zu mal ein Buch wie das meinige schreiben und dann lesen. Deutlich machen, dass sich die großen Probleme der Welt nicht dadurch lösen, dass wir Migranten das Leben schwer machen. Die toxische Männlichkeit ist eine eigene Baustelle. Hier geht es um junge Männer, denen gute, sich kümmernde Väter gefehlt haben und die sich die Vorbilder, die junge Männer unbedingt brauchen, im Internet besorgen, wo Männlichkeit mit Gewalttätigkeit verwechselt wird. Was bei der Generation, die Hitler in den Zweiten Weltkrieg führte, die HJ war, das leistet heute das Internet.

Prof. Joachim Bauer | Foto: Thomas Hummitzsch

Sie sprechen wiederholt von mehr ganzheitlichen Ansätzen, um Empathie zu stärken. Wenn dem so ist, wie erklären Sie sich dann, dass unter den Corona-Gegnern besonders viele Anhänger von esoterischen und alternativmedizinischen Maßnahmen zu finden sind?
Ich bin bekennender Schulmediziner und sage: Esoterik und Alternativmedizin gehen zu einem nicht geringen Teil auf das Konto einer Medizin, die zu wenig mit ihren Patienten spricht und sich nicht darum kümmert, wie Menschen psychisch mit Erkrankungen klarkommen. Außerdem wird zu wenig darüber gesprochen, was Menschen selbst tun können, um ihre Gesundheit und Abwehrkräfte zu stärken. Eine kommerzialisierte Medizin hat kein Interesse mehr an Volksgesundheit. Wir wissen, dass schlechte Stadtluft, Übergewicht und Rauchen Menschen zu Corona-Risikopatienten machen. Gleichzeitig hat man Menschen im Frühjahr gesagt: Geht ja nicht raus! Genau das Gegenteil wäre richtig gewesen. Warum erinnern Ärzte und Gesundheitspolitiker nicht daran, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, mit dem Rauchen aufzuhören? Warum gibt es keine Diskussion darüber, was wir gegen die Tatsache tun können, dass über 50 Prozent der Deutschen übergewichtig sind?

Sie zeigen, dass Gesellschaften, die gemeinsam schwierige Situationen bewältigt haben, besondere Verbindungen aufbauen konnten. Werden wir als Weltgesellschaft gestärkt aus dieser Krise hervorgehen?
Das wird sich erst noch entscheiden. Weltweit sieht es düster aus. Nur Europa scheint hier miteinander die Kurve zu kriegen. Deswegen müssen wir Europa stärken. Wenn es den großen internationalen Investoren, denen das vereinte Europa ein Dorn im Auge ist, gelingt, Europa zu spalten, sind wir verloren.

Politische Initiativen wie BlackLivesMatter und FridaysForFutures, aber auch Pegida waren zuletzt sehr erfolgreich. Sie alle haben gemeinsam, dass es neben den Online-Aktivitäten echte physische Begegnungen zum Programm gehören. Inwiefern ist das Teil des Erfolgsrezeptes von politischen Bewegungen?
Die Wucht, die von physischer Präsenz und physischer Gemeinschaft ausgeht, ist ein völlig unterschätzter Faktor. Das beginnt bei der Schule, betrifft den Zusammenhalt von Familien, ist am Arbeitsplatz von Belang und ist auch für politische Bewegungen entscheidend. Wir Älteren müssen, wie wir das früher getan haben, für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz wieder mehr auf die Strasse gehen! Diese verdammte Bequemlichkeit muss aufhören. Fridays vor Future finde ich phantastisch, ich unterstütze diese jungen Menschen voll und ganz, auch finanziell.

Wir Älteren müssen, wie wir das früher getan haben, für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz wieder mehr auf die Strasse gehen! Diese verdammte Bequemlichkeit muss aufhören.

In Ihrem Buch spielt der Umgang des Menschen mit dem Wald eine große Rolle – sowohl was den Klimawandel als auch was die Corona-Krise betrifft. Warum ist der Wald von so großer Bedeutung?
Der Wald ist die Lunge unserer Erde. Er nimmt uns Unmassen des Treibhgausgases CO2 ab und produziert Unmassen von Sauerstoff. Er hält die Feuchtigkeit im Boden und sorgt dafür, dass es regnet. Unsere evolutionären Vorfahren wussten das und haben das in ihren Mythen auch verewigt. Die Vertreibung aus dem Paradies, bei der es sich um eine alte orientalische Legende handelt, war die Folge davon, dass Hand an einen »Baum in der Mitte des Gartens« gelegt wurde. Eva und der Apfel, das ist patriarchalischer Käse.

Was müssen wir als Gesellschaft daraus lernen? Was sind die wichtigsten politischen Maßnahmen, um die Empathie zwischen Mensch und Natur wieder zu stärken?
Zwischenmenschliche Empathie, Rücksichtnahme auf die Natur und Bewahrung der menschlichen Gesundheit stehen in einem Dreiecksverhältnis der Wechselseitigkeit. Studien zeigen: Wer viel Zeit in der Natur verbringt, verhält sich zu seinen Mitmenschen empathischer. Umgekehrt nehmen empathische Menschen mehr als andere Rücksicht auf die Belange der Natur. Empathisch zu sein schützt die Gesundheit, das Gleiche gilt für den Aufenthalt in der Natur. Zwischenmenschliche Empathie ist allerdings nicht nur eine Sache der persönlichen Haltung, zur Empathie gehören auch soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen, Rechte und Pflichten für alle.

Kulturellen Angeboten lassen Sie eine wichtige Rolle zukommen. Verursacht die Schließung von Kinos, Museen und Konzerthäusern vielleicht den größten Kollateralschaden?
Kultur heißt Spielen im Sinne Schillers, also miteinander etwas zu erleben oder zu machen, ohne dabei Profit erwirtschaften zu müssen oder einem anderen fremden Zweck zu dienen. Menschen sind Kulturwesen. Man hat zwei Gruppen von jungen Menschen eine emotional bewegende Filmsequenz betrachten lassen. Bei der einen Hälfte saß jeder vor seinem beziehungsweise ihrem Laptop und sah den Film für sich alleine. Bei der anderen Gruppe sahen alle den gleichen Film gemeinsam auf einem Bildschirm. Anschließend wurde bei beiden Gruppen mit geeigneten objektiven Methoden das Zusammengehörigkeitsgefühl gemessen. Ein Gemeinschaftsgefühl hatte sich nur bei denen entwickelt, die miteinander geschaut hatten. Darum geht es bei Kultur!

Was kann der Einzelne tun, wie kann der Einzelne gegenüber der Natur empathisch sein?
Empathie gegenüber der Natur heißt konkret, sein Leben an zwei Punkten zu ändern. Erstens: sich fleischarm, am besten vegetarisch ernähren, weil die großen Wälder dieser Welt vor allem deswegen abgeholzt werden, um dann Futter für die Tierhaltung und die Fleischindustrie anzubauen. Zweitens: weniger Autofahren, weniger fliegen, mehr Radfahren und öffentlich Verkehrsmittel benutzen. Wer sein Leben in dieser Weise umstellt, tut zugleich etwas für seine Gesundheit und lebt länger. Ökologisch zu leben, heißt nicht, schlechter sondern besser zu leben. Deshalb nenne ich das hedonischer Verzicht.

Prof. Bauer, vielen Dank für das Gespräch.

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