Er bekam den Beinamen »Die Hand Gottes«, dabei war sein linker Fuß der göttliche Teil seines Körpers. Maradona hat selbst Legenden wie Pélé oder Franz Beckenbauer in den Schatten gestellt, er verkörperte Zeit seins Lebens Genie und Wahnsinn. Das belegt die Filmbiografie »Diego Maradona. Rebell. Held. Gott.«, die noch einmal seine besten Jahre als Fussballer in den Blick nimmt.
Diego Armando Maradona Franco ist tot, auch er hat es nicht durch das Corona-Jahr geschafft. Gestorben ist er aber weder an noch mit dem Virus, sondern an einem Herzstillstand. Gut drei Wochen nach seinem 60. Geburtstag und einer schweren Hirn-OP, die er kurz danach überstanden hatte, ist er heute in seinem Haus in der Nähe von Buenos Aires gestorben.
Berühmt gemacht haben ihn nicht nur sein unvergleichlicher Stil, dem in seiner Generation vielleicht nur Pierre Littbarski irgendwie nahegekommen ist, sondern vor allem vier Minuten im Viertelfinale der Fussballweltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Vier Minuten, in denen erst die »Hand Gottes« den Ball über den britischen Torhüter Peter Shilton ins Tor lenkte und dann ein Derwisch mit dem Ball am Fuß über das halbe Feld und durch die halbe englische Mannschaft rannte und das traumhafteste Tor dieser WM schoß. Vier Minuten, in denen der Teufel die Hand im Spiel und Gott seinen Fuß geführt hat (um in der religiösen Dictio zu bleiben). Die Geschichte ist allen bekannt, zwei Spiele später war Argentinien Weltmeister und Maradona führte die Albiceleste zu dem Titel, der Messi wohl ewig verwehrt bleiben wird.
Und auch wenn das Maradonas größter Erfolg sein sollte, ist das nicht vergleichbar mit dem, was er als Vereinsspieler in Neapel geschafft hat. In der kampanischen Hauptstadt wurde er zu der unsterblichen Legende, die er über seinen Tod hinaus bleiben wird. Maradona führte den Verein zweimal zur italienischen Meisterschaft, holte den italienischen Pokal und gewann 1989 den damals noch legendären Uefa-Cup. Acht Jahre blieb er in Süditalien, Jahre, die nicht nur den italienischen Fußball geprägt, sondern eine ganze Region in einen Rausch versetzt haben. Dieser Rausch mit all seinen Vorgeschichten, Höhepunkten und Nebenwirkungen sowie mit dem Kater danach stehen im Mittelpunkt von Asif Kapadias Filmbiografie »Diego Maradona«.
Über 500 Stunden unveröffentlichtes Videomaterial hat der Oscar-prämierte Dokumentarfilmer, der bereits die erfolgreichen Filmbiografien von Ayrton Senna und Amy Whinehouse verantwortet hat, gesichtet, um zu zeigen, wie Neapel und die Fußballikone geradezu schicksalhaft zusammengefunden haben. Weil Maradona für diese Stadt und ihre Menschen alles gegeben hat, haben sie ihn wie eine Madonna auf Händen getragen. Kein Skandal, keine Affäre, keine Absturz ins Drogen- oder Rotlichtmilieu konnten sie ihm über nehmen. Dafür war die Stadt selbst viel zu sehr im Dreck aus Kriminalität, Korruption und Begierde versunken.
Der Film erzählt diese Geschichte mit vielen Archivaufnahmen, so dass man auch das Wachsen und Reifen des SSC Neapel unter und an Diego Maradona noch einmal miterleben kann. 1984 vom FC Barcelona für damals irrsinnige 24 Millionen D-Mark zum damals erfolglosen SSC Neapel gewechselt, schoß er den Verein aus der Abstiegszone direkt in den europäischen Spitzenfußball und 1986/87, er war gerade frisch zum Weltmeister gekürt, führte er sie als Spielführer und Spielmacher zur ersten italienischen Meisterschaft der Vereinsgeschichte. Selbst den Titel des Torschützenkönigs holte er in der Saison in die süditalienische Hafenstadt. Fünf weitere Jahre spielte er noch in Italien, trotz einer weiteren Meisterschaft und anderen Titeln konnte sein Stern nichts anderes tun, als nach dieser legendären Post-WM-Saison sinken.
Die Fussballweltmeisterschaft in Italien 1990, auf die er sich wie ein Kind freute, war der Anfang seines Niedergangs. Formschwach und angeschlagen schleppte er seine Mannschaft durchs Turnier, schmeichelhaft schafften sie es bis ins Finale, wo sie Deutschland unterlagen. Die größere Niederlage aber musste er im Halbfinale gegen Italien einstecken. Es fand im Stadion Neapels statt, vor dem Spiel wagte Maradona die Aussage, dass die Neapolitaner keine Italiener seien, sondern seiner Auswahl die Daumen drücken würden. Es kam völlig anders, die Albiceleste und insbesondere Maradona wurden gnadenlos ausgebuht. Nach dem Sieg im Elfmeterschießen motzte er in die Kameras, dass die Neapolitaner Hurensöhne seien.
Das Verhältnis zwischen dem Verein und seiner Ikone war dahin, sein Genie kehrte niemals auf den Platz zurück. Nicht beim FC Sevilla, nicht bei den Newell’s Old Boys und nicht bei seinem Jugendverein Boca Juniors, wo seine Karriere mit Kunststücken als Balljunge begann und mit einem positiven Drogentest nach einem Spiel endete.
Stattdessen rückten Alkohol- und Drogeneskapaden sowie die dazugehörigen Gerichtsprozesse in den Mittelpunkt seines Lebens. Skandalös sollte auch sein weiteres Leben verlaufen, als Trainer – unter anderem in Argentinien, auch als Nationaltrainer, den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Weißrussland und Mexiko – ist sein größter Erfolg das Erreichen des Viertelfinales der WM 2010, wo Argentinien mit 0:4 gegen eine furiose deutsche Nationalauswahl unterlag.
Fußballerisch machte Maradona seither nicht mehr von sich reden, wenn man von ihm im Boulevard las, dann ging es um die gesundheitlichen Folgen seines jahrelangen Alkohol- und Drogenmissbrauchs oder Gerichtsprozesse. Für all das interessiert sich Kapadia in seinem Film nicht und man muss ihm dankbar dafür sein. Denn er hat dem Fußballer Maradona ein Denkmal gesetzt, ohne ihn auf den Sockel zu heben. Er behält trotz aller Begeisterung eine kritische Distanz, beobachtet Aufstieg und Fall des legendären Fussballers in den wichtigsten Jahren seiner Karriere. Wer sich für den Goldfuß Maradona interessiert, kommt um diesen Film nicht herum, denn er versammelt die bedeutsamsten Momente einer außerordentlichen Karriere und zeigt anhand nie gesehener und kollektiv unvergessener Bilder, wie aus dem kleinen Straßenfußballer erst der genialste Kicker seiner Generation (siehe nachstehendes Video) und dann eine gefallene Ikone werden konnte.
Zwei Bilder des Argentiniers allerdings fehlen in diesem Film. Selbst eingefleischte Maradona-Fans kennen sie nur, wenn sie Cinéasten sind. Sie stammen von keinem geringeren als Paolo Sorrentino, dem Filmgenie aus eben dem Neapel, in dem Maradona seine besten Jahre feierte. Sorrentino gönnt ihm einer Maradona-Figur einen Auftritt in seinem Film »Ewige Jugend«, mit dem er in Cannes die Goldene Palme gewonnen hat. Fettleibig und mit Atemgerät wankt er in einer Schweizer Kurklinik über das Gelände, lässt sich die Füße massieren oder sinniert über sein Leben. Irgendwann steht er auf einem Tennisplatz und man denkt, Moment mal, Maradona spielt Tennis? Spielt er nicht, wie man kurz darauf sieht. Aber er kickt einen Tennisball in die luftigen Höhen, so dass man ihn nicht mehr sieht, bis er wie ein Stein auf die Erde zurückfällt, immer und immer wieder. Einer Direktabnahme aus der Drehung folgt die nächste (hier die Szene in einem schlechten Mittschnitt).
In der zweiten Szene mischt er sich in ein Gespräch über Linkshänder ein, indem er bemerkt, dass auch er Linkshänder sei. Wohl in Anspielung an die linke Hand Gottes wird ihm dann bestätigt, dass die ganze Welt wisse, dass er Linkshänder sei.
Einmal noch gönnt Sorrentino – der den Film über seine Jugend in Italien »The Hand of God« nennen will, dafür aber von Maradonas Anwälten verklagt wurde, aber das ist wieder eine andere Geschichte – Maradona einen legendären Auftritt, in dem er als Fußballer in Erscheinung tritt. Da war er schon so übergewichtig, dass an Sport gar nicht zu denken war. Und dennoch passt es, weil all die Genialität und all die Abgründigkeit dieses Ausnahmesportlers in zwei winzigen Szenen einfängt. Und vielleicht macht er ja genau das dort, wo er jetzt auch immer ist, einen Ball in luftige Höhen schießen, ohne die linke Hand zu bemühen.
Die Hand Gottes ist gestorben, zurückgelassen hat sie Erinnerungen an einen der größten Dribbler aller Zeiten. Wer sich an den erinnern möchte, dem sei Kapadias Dokumentation ans Herz gelegt.
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