Allgemein, Film

Realismus des Persönlichen

Filmstill aus »Satyricon« von Frederico Fellini | Copyright: Studiocanal/ARTHAUS

Federico Fellinis filmisches Werk ist ein Stand-Alone und hat zahlreiche Nachahmer gefunden. Woody Allen, Pedro Almodóvar, Martin Scorsese, Andrei Tarkowski, Tim Burton, David Lynch, Alejandro Jodorowsky, Terry Gilliam und Paolo Sorrentino sind nur einige, die sich von seinen Filmen haben inspirieren lassen. Fellinis wichtigste Werke wurden anlässlich des 25. Todestages in einer DVD-Box zusammengetragen.

Ein Mann sitzt einsam in einem Boot. Sein Schwanz senkt sich bis auf den Meeresgrund, wo wunderschöne Nixen um ihn herumschwimmen. Mit diesem Bild soll Federico Fellini 1959 den international noch nahezu unbekannten Marcello Mastroianni als Hauptdarsteller für seinen achten Film La Dolce Vita gewonnen haben. Es ist der Auftakt einer produktiven Zusammenarbeit, in Mastroianni findet Fellini sein filmisches Alter Ego.

Der legendäre Film, der Paolo Sorrentino mehr als ein halbes Jahrhundert später als Vorlage für sein erstes Meisterwerk La Grande Belleza diente, bildet die sinnentleerte Luxuswelt der römischen High Society ab. Mastroianni glänzt darin als sensationsgieriger Klatschreporter, neben ihm eine sinnliche Anita Ekberg, die die Rolle einer männerverschlingenden Nymphomanin gibt. La Dolce Vita wird in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ruft in Italien aber die Entrüstung der katholischen Kirche hervor. Der lächerliche Skandal treibt die Menschen in die Kinos und macht den Film zu Fellinis größtem kommerziellen Erfolg. Zu dem Zeitpunkt hatte der italienische Kultregisseur bereits einen Silbernen Löwen und zwei Oscars gewonnen.

In der Schule fiel Fellini weniger mit schulischen Leistungen, sondern allenfalls mit seiner Zeichenbegabung auf. Nach dem Abitur verdiente er sich mit dem Zeichnen von Cartoons und dem Schreiben von Sketchen sein Brot. Bei Roberto Rossellini lernte er das Filmhandwerk, mit seinen ersten eigenen Produktionen konnte er jedoch nicht durchdringen. Erst mit seinem dritten Film Die Müßiggänger gelang ihm 1953 der Durchbruch und der Anschluss an das neorealistische Kino Italiens. Nur ein Jahr später stellt sein Film La Strada alles bisher Erreichte in den Schatten. In dem mit einem Oscar ausgezeichneten Klassiker erzählt er eine erschütternde Geschichte aus dem Nachkriegsitalien, in deren Zentrum die ungleichen Wanderschausteller Zampanò und Gelsomina stehen, die sich in der trostlosen Nachkriegslandschaft ebenso verlieren wie in sich selbst. Fellinis Ehefrau Guilietta Masina spielt darin in herausragender Manier einen weiblichen Charlie Chaplin, kann aber gegen das düstere, seelenlose Rom, das wir hier sehen, nichts ausrichten.

Oscar Nummer zwei erhält Fellini für Die Nächte der Cabiria, in der Masina einmal mehr eine heilige Clownsfigur verkörpert. Auf den Film folgt La Dolce Vita und darauf die Krise. Er überwindet sie mit Achteinhalb, seiner avantgardistischen Selbstreflektion über einen Regisseur in der Krise. Hatte er gerade in Mastroianni sein Alter Ego gefunden, findet er hier ganz zu sich selbst, indem er seine eigene Geschichte in Kunst verwandelt. Guardian-Filmkritiker Michael Newton veranlasste das, Fellini zum Charles Dickens des Films zu ernennen. Mastroianni spielt hier den Regisseur Guido Anselmi, der ausgelaugt und ideenlos dem Abgrund entgegentrudelt. Erst belügt er seinen Produzenten, dann seine Frau und dennoch zieht er noch einmal den Kopf aus der Schlinge. Sandra Milo, die die verführerische femme fatal ein dem Film gibt, hat die Rolle der Geliebten des Regisseurs auch im echten Leben. Es ist ein magisches Spiegel- und Figurenkabinett, das Fellini hier aufführt und in dem sich Wirklichkeit und Kunst permanent überlagern. Der Film bringt ihm Oscar Nummer drei ein.

Federico Fellini Edition. Mit den Filmen Die Müßiggänger (1953), La Strada (1954), Die Schwindler (1955), Die Nächte der Cabiria (1957), La Dolce Vita (1960), Achteinhalb (1963), Fellinis Satyricon (1969), Fellinis Roma (1972), Fellinis Casanova (1976), Fellinis Stadt der Frauen (1980). Mit Giulietta Masina, Marcello Mastroianni, Anita Ekberg, Claudia Cardinale, Donald Sutherland. Studiocanal. 1.245 Minuten. 56,99 Euro. Hier bestellen

Mit seinem Spätwerk verabschiedet sich Fellini endgültig vom Neorealismus. Zuvor schon fand seine Art der allegorischen Sozialkritik, wie sie etwa in Der Schwindler zur Aufführung kommt, nicht nur Anhänger. Luchino Visconti etwa warf Fellini vor, dass er Kunstfiguren die Bühne überlasse und sich nicht für die wirklichen sozialen Verhältnisse interessiere. Fellini selbst konterte diese Vorwürfe damit, dass er sich dem »Realismus des Persönlichen« verschrieben habe.

Mit Filmen wie Satyricon oder Casanova kommt er dem Vorwurf, Kunstfiguren vor die Kamera zu schicken, das erste Mal – wenn man so will – nach. In diesen opulent inszenierten Kostümfilmen setzt er etwa das klassische Rom an die Stelle der hochkapitalistischen Überflussgesellschaft und die überschminkten Figuren stehen für permanente Inszenierung der Persönlichkeit. Seiner Wahlheimat Rom erweist der Regisseur mit Fellinis Roma erneut eine Hommage und in Fellinis Stadt der Frauen lässt er sein Alter Ego Mastroianni als alternden Frauenhelden über den eigenen Machismo stolpern.

Fellinis Aufmerksamkeit und Liebe galt stets den abseitigen Figuren der Gesellschaft, den Ganoven, Gaunern und Überlebenskünstlern. Aber auch den Frauen, ihrem Kampf um Würde und Anerkennung. Im Begleitheft zur DVD-Box wird er am Ende zitiert mit den Worten: »Ich habe das Gefühl, dass all meine Filme von Frauen handeln. Ich bin total in ihrer Gnade, sie sind die einzigen Leute, mit denen ich mich wirklich wohlfühle. Sie repräsentieren Mythos, Geheimnis, Verschiedenheit, Faszination, den Durst nach Wissen und die Suche nach der eigenen Identität. Frauen sind alles. Ich sehe selbst das Kino als eine Frau, mit seinem Wechsel von Licht und Dunkelheit, von erscheinenden und verschwindenden Bildern. Ins Kino zu gehen ist wie die Rückkehr in den Mutterleib, du sitzt da still und meditativ im Dunkeln, wartest darauf, dass das Leben auf der Leinwand erscheint. Man sollte mit der Unschuld eines Fötus ins Kino gehen.«

Als Federico Fellini am 31. Oktober 1993 in Rom starb, sagte Italiens Schauspiellegende Sophia Loreen: »Ein großes Licht ist erloschen. Nun stehen wir alle im Dunkeln.« In diesem Dunkel gibt es ein helles Leuchten, das von seinem Werk ausgeht. Dieses kann man nun 25 Jahre nach seinem Tod neu entdecken.

1 Kommentare

  1. […] Maradona-Fans kennen sie nur, wenn sie Cinéasten sind. Sie stammen von keinem geringeren als Paolo Sorrentino, dem Filmgenie aus eben dem Neapel, in dem Maradona seine besten Jahre feierte. Sorrentino gönnt ihm einer Maradona-Figur einen […]

Kommentare sind geschlossen.