Film

»Der ganze Quatsch macht mich verrückt«

Anthony Hopkins brilliert in Florian Zellers Demenzdrama »The Father« als Mann, dem sein Leben zwischen den Fingern verrinnt. Dieser Film holt nicht nur ein Tabuthema aus der dunklen Ecke des Schweigens, sondern ist auch ein großes Kunstwerk.

»Es passieren komische Dinge«, sagt Anthony irgendwann zu seiner Tochter Anne, als einmal mehr seine Wirklichkeit und das, was sich ihm bietet, nicht mehr zusammenpassen. Die ganze Zeit passieren komische Dinge und der rüstige Mann bekommt sie nicht mehr sortiert, so komisch sind sie. Zieht Anne wirklich wie angekündigt nach Paris oder hat er da etwas falsch verstanden? Ist die Wohnung, in der er lebt, tatsächlich die, die er vor dreißig Jahren gekauft hat oder doch eine andere? Und warum meldet sich eigentlich seine Lieblingstochter Lucy nicht mehr bei ihm, wo er sie doch so vermisst? Fragen über Fragen, die den Mann immer wieder umtreiben.

Florian Zellers Regiedebüt »The Father« ist die Verfilmung seines gleichnamigen Theaterstücks. Die Inszenierung – mit Anthony Hopkins und Olivia Colman in den Hauptrollen – auch inszeniert wie ein Kammerspiel. Zwar wollen Anne, die Pflegerin Laura und die Krankenschwester Catherine ihn immer wieder dazu animieren, mal in den Park zu gehen, aber Anthony ist immer nur innerhalb der vier Wände zu sehen, in denen er lebt. Sie bilden den Raum ab, der sich in seinem Kopf auftut und in dem er gefangen ist. Wenngleich man hier fragen kann, ob es nicht auch ein klassisches Motiv ist, das Leben alter Leute in geschlossenen Räumen abzubilden, vielleicht als ein Gefangensein in den eigenen Erinnerungen. Michael Haneke hat dies in seinem berührenden Porträt »Liebe« ebenso getan.

Anthony Hopkins und Olivia Colman berühren als Vater und Tochter in Florian Zellers »The Father« | © Tobis Film

Die Kameraperspektiven und Blicklinien in »The Father« – ein langer Flur, der Blick aus dem Fenster, die Flügeltür zum Salon, ein Kamin zwischen zwei Fenstern – bleiben dabei immer gleich, aber Nuancen ändern sich, so dass auch die Zuschauer:innen kaum merken, dass sich die Lebensumgebung ändert, aber die Wahrnehmung kaum. Denn schnell wird klar, dass die komischen Dinge, die Anthony registriert, in seinem Kopf stattfinden. Gerade eben war Anne doch noch eine andere Frau. Und von dem Mann, der sich als Annes Ehemann James ausgibt, hat sie sich vor fünf Jahren scheiden lassen. Ihr neuer Partner Paul sagt komischerweise die gleichen Sätze wie James. Und die Pflegerin, die ihn in seiner Wohnung unterstützen soll, ist mal blond, dann wieder brünett, mal kommt sie am Nachmittag, mal am Morgen.

Zellers Demenzdrama ist ebenso betörend wie niederschmetternd in seiner Wirkung, weil es die Betrachtenden in Anthonys Kopf versetzt und so konkret vermittelt, wie Demenz wohl auf die Betroffenen wirkt. Wie plötzlich Dinge wegrutschen, die gerade noch da waren. Wie Ereignisse und Erlebnisse durcheinander geraten, vertraute Personen plötzlich unbekannte Fremde sind und der Bezug zur Welt mehr und mehr verloren geht.

Olivia Colman überzeugt als liebende, aber überforderte Tochter | © Tobis Film

In dem Bemühen, Halt zu finden, klammert sich Anthony an seine Armbanduhr, die er aus Angst, bestohlen zu werden, ständig versteckt, ohne dies zu erinnern. So schleicht sich in das löchrige Bewusstsein des Mannes ein tiefes Misstrauen gegenüber der immer kleiner werdenden Welt ein. Selbst seine Tochter Anne, die sich liebevoll um ihn kümmert und dabei ihre Beziehung riskiert, steht irgendwann unter dem Generalverdacht, ihm grundsätzlich Böses zu wollen. Und so fliegen viele kleine Pfeile in ihre Richtung, als Demonstration der Bösartigkeiten, die mit der Demenzerkrankung einhergehen.

Anthony Hopkins, der uns einst als Hannibal Lecter das Fürchten lehrte, lehrt es hier in einer ganz anderen Weise. Er spielt diesen um seine Würde ringenden, kranken Mann mit einer umwerfenden Präsenz, die Auszeichnung mit dem Oscar ist mehr als verdient. Er gibt seiner Figur, die nicht einräumen kann, dass sie die Kontrolle über sich und die Wirklichkeit verliert, eine launenhafte Aura, die zwischen böswilligem Altersstarrsinn und herzerweichender Verletzlichkeit alle Nuancen ausfüllt. Denn natürlich spürt er, wie ihm das Leben zwischen den Fingern zerrinnt. Dies und mehr kann man seiner Mimik und Gestik entnehmen. Mit wenigen Zügen und Bewegungen gelingt es ihm, einen Mann zu zeigen, der immer wieder hartnäckig versucht, das Chaos in seinem Kopf zu sortieren, Dinge zu verstehen und zusammenzubekommen. Dabei schafft er auch komische Momente, etwa wenn er sich als jovialer Stepptänzer ausgibt, sich hinterher aber nicht mehr daran erinnert. Als ihn seine Anne darauf anspricht, sagt er verwundert: »Ich? Versteckte Talente« und muss selbst lachen.

Zum 30. Jubiläum von »Das Schweigen der Lämmer« erschien bei Universal im Frühjahr die komplette Trilogie erstmals für das Heimkino. Die Filmbox enthält die drei Klassiker »Roter Drache«, »Das Schweigen der Lämmer« und »Hannibal«, in denen Oscar-Preisträger Anthony Hopkins in seiner Paraderolle als hochintelligenter, aber gemeingefährlicher Psychopath Hannibal Lecter glänzte. Sein Spiel aus kühl kalkulierender und grausamer Lust geht unter die Haut. Sechs Stunden Hochspannung.

An seiner Seite spielt mit Olivia Colman eine Schauspielerin, die den meisten wohl eher aus Serien wie »The Crown«, »Fleabag« oder »Broadchurch« bekannt sein dürfte als in der Rolle der Thatcher-Tochter Carol in Phyllida Lloyds Biopic »Die Eiserne Lady« oder als Queen Anne in Yorgos Lanthimos Historienfilm »The Favourite«. Ihr emotionales Spiel zwischen Schmerz, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Liebe ist absolut überzeugend.

»Ich habe das Gefühl, all meine Blätter zu verlieren«, schluchzt Anthony am Ende verzweifelt in den Arm einer Pflegerin, die sich in einem Heim um ihn kümmert. Das könnte an die Weisheit »Einen alten Baum versetzt man nicht« anspielen. Wahrscheinlicher ist aber, dass mit den Blättern die Erinnerungen und Gewissheiten gemeint sind, die sich im Herbst dieses Mannes jeden Tag mehr von seinen knorrigen Ästen lösen. Ein bewegender und kunstvoller Film über eines der großen Tabuthemen unserer Zeit.

2 Kommentare

  1. […] ist die Volkskrankheit der alternden Gesellschaften, zuletzt sorgte Florian Zellers Demenzdrama »The Father« mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle für Furore. Während der Franzose Zeller die […]

  2. […] steht Hilary – umwerfend gespielt von Oscar-Preisträgerin Olivia Colman, die zuletzt in Florian Zellers Drama »The Father« an der Seite von Anthony Hopkins überzeugte – die sämtliche Abläufe organisiert, aber von […]

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