Film

Eine Perle des Kinos

Der britische Regisseur und Oscar-Preisträger Sam Mendes präsentiert seinen bislang persönlichsten Film. »Empire of Light« ist eine bestechende und ergreifende Hommage an seine Jugend im England der frühen 1980er-Jahre und den Zauber des Kinos. Einer der besten Filme des an guten Filmen reichen Jahres.

Sind die großen Zeiten des Kinos vorbei? Haben Pandemie und Streamingdienste die Filmkultur in die Knie gezwungen? Man könnte das vermuten, wenn sich die Branche nicht wahrnehmbar zur Wehr setzen würde. Es ist sicher kein Zufall, dass mit Steven Spielbergs autofiktionalem Erinnerungsfilm der »Fablemans« und Damien Chazelles bildgewaltigem Opus »Babylon« sowie Giuseppe Tornatores Verneigung vor seinem Freund und Maestro »Ennio Morricone« (beide demnächst auch fürs Heimkino zu haben) derzeit mehrere Filme in den Kinos zu sehen waren, die von der überwältigenden Kraft des Kinos erzählen.

Der neue Film des britischen Oscar-Preisträgers Sam Mendes (»1917«, »James Bond 007: Skyfall«, »American Beauty«) ist die Geschichte einer Annäherung, einer sympathischen Gemeinschaft und eines eindrucksvollen Kinos, wie heute keines mehr gebaut wird. Das »Empire of Light« ist ein altehrwürdiger Kinopalast, den Mendes hier Anfang der 80er Jahre in einer englischen Küstenstadt einfängt. Das imposante Gebäude ist Heimathafen für einige liebenswerte Außenseiter, die dort in den frühen Thatcher-Jahren vor und hinter der Leinwand arbeiten.

Die meisten Menschen erinnern sich an ihre Teenagerzeit, Mendes hat dies zum Anlass genommen, auf seine eigene Jugend in den späten 70ern und frühen 80ern zurückzublicken. »Es war eine Zeit großer politischer Umwälzungen in Großbritannien, mit einer Menge sehr aufrührerischer Rassenpolitik – aber gleichzeitig auch eine erstaunliche Zeit für Musik und Kultur im Allgemeinen – sehr kreativ, sehr politisch, sehr energiegeladen«, erinnert er sich. Während der Pandemie setzte er sich intensiv mit seinen Erinnerungen an diese Zeit auseinander, um herauszufinden, ob er den eigenen Kindheitsbildern etwas Interessantes abringen kann.

»Filme handeln von mythischen Landschaften«, erklärt Mendes. »Man sucht immer nach einem Punkt, an dem die Vergangenheit irgendwie größer, thematischer und sagenhafter wird als die Gegenwart. Wenn ich jetzt zurückblicke, schien mir diese Zeit in England eine zu sein, in der die Überschneidung von Rassenpolitik, Musik und Film besonders speziell und ungewöhnlich war.« All das verarbeitet Mendes in »Empire of Light«, ohne das der Film politische Schwere entwickeln würde.

Olivia Colman in der Rolle der bipolaren Hilary Small

Im Zentrum der Geschichte steht Hilary – umwerfend gespielt von Oscar-Preisträgerin Olivia Colman, die zuletzt in Florian Zellers Drama »The Father« an der Seite von Anthony Hopkins überzeugte – die sämtliche Abläufe organisiert, aber von einer Aura der Müdigkeit und Schwere umgeben ist. Wie wir später erfahren, hat sie eine schwere Krise hinter sich und nimmt hier einen neuen Anlauf. Die Chance bekommt sie auch, weil der Geschäftsführer des Kinos Donald Ellis, gespielt von Oscar-Preisträger Colin Firth, Gefallen an ihr findet und sich mit ihr von seiner müden Ehe ablenkt.

Eines Tages stößt Stephen, toll verkörpert von Nachwuchsschauspieler Michael Ward, zu den Mitarbeiter:innen und bringt mit seiner Offenheit und Neugier das tägliche Einerlei – Mendes fängt hier ganz wunderbar das Mimikri im Hintergrund eines Lichtspielhauses ein, von der Popcorn-Theke bis zum nerdigen Projektorraum – durcheinander. Der junge Mann erinnert Hilary und alle anderen daran, dass man sich Dinge im Leben nehmen muss, wenn man sie haben will. Und Stephen will mehr, will den Rassismus und die Benachteiligung hinter sich lassen, die er als Sohn einer Schwarzen Krankenschwester täglich erlebt. Er saugt all die Kultur, die ihm im Empire begegnet, auf und taucht ein in den Zauber der filmischen Illusion, die aus »statischen Bildern mit etwas Dunkelheit dazwischen« besteht, wie ihm Vorführer Norman (Toby Jones) erklärt.

Michael Ward als kulturinterssierter Stephen Murray im Projektorraum des »Empire of Light«

Das gibt Mendes Gelegenheit, das Kino in all seinem Glanz noch einmal aufleben zu lassen. Bob Fosses »All that Jazz«, John Landes »Blues Brothers« und Martin Scorseses »Raging Bull« flimmern über die Leinwand, während Stephen im HIntergrund die Filmrollen wechselt und mit Norman über den Wert des Kinos philosophiert. Höhepunkt ist die Premiere von Hugh Hudsons mehrfach Oscar-prämierter Sportfilm »Die Stunde des Siegers«, dessen Premiere in der kleinen Küstenstadt eine große Sache ist.

Mit Stephen kehrt wortwörtlich das Leben in das verschlafene Empire zurück und auch Hilary lässt das nicht kalt. Seine Begeisterung für Film, Musik und Poesie berühren einen längst vergessenen Kern in ihr und rühren an alten Wunden. Unweigerlich brechen die Schatten des Daseins in beider Leben ein und machen der neu gewonnenen Leichtigkeit ein Ende. Ob man die Liebestragödie, die Mendes um die beiden baut, goutiert oder nicht, spielt letztlich für den Genuss dieses Meisterwerks keine Rolle.

Roger Deakins hat den Film in magischen Bildern umgesetzt, Hugh Hudsons »Chariots of Fire« werden hier bildlich gespiegelt

Denn »Empire of Light« besticht vor allem durch seine Optik. Kameramann Roger Deakins, mit dem Mendes schon in »1917« oder »Skyfall« zusammengearbeitet hat und dessen magische Bilder man auch aus Denis Villeneuves Blockbustern »Blade Runner 2049« oder »Sicario« sowie Ethan und Noel Coens Kultfilmen »Fargo« oder »No Country for Old Man« kennt, fängt diese Geschichte in fotografischer Genauigkeit ein. Das Gebäude selbst, das Mendes im Südwesten Englands in Margate entdeckt hat, bekommt unter den Augen des zweifachen Oscar-Gewinners Deakins einen eigenen Charakter und wird selbst zum Akteur. Halb im Retro-Chick der Zeit eingerichtet, halb im Charme eines Lost Place belassen ist, wird es zum Inbegriff einer Perle des Kinos.

Mendes grandios besetzter Film »Empire of Light« ist ein leises, aber überwältigendes Porträt des tristen Englands seiner Kindheit. Er ist in für die Branche schwierigen Zeiten eine Hommage an die leuchtende Kraft des Kinos, das Menschen zusammenbringt, berührt, erregt und belebt. Er erinnert daran, dass das Kino ein Raum ist, der jeder:m offen steht und der mit Filmen wie diesem Licht in die Dunkelheit des Alltags bringt.

Sam Mendes: Empire of Light. Mit Olivia Colman, Michael Ward, Colin Firth. 119 Minuten. The Walt Disney Company Germany. Kinostart: 20. April 2023