Comic

Meister der Strichmännchen

Am 10. März feierte »Akira Kurosawa und der meditierende Frosch«, der neue Comic des Wiener Comiczeichners Nicolas Mahler, in der Pablo-Neruda-Bibliothek in Berlin seine Buchpremiere. Ich durfte die Veranstaltung moderieren und mit Mahler über seine Arbeit, das vertrottelte Feuilleton und seine Beziehung zu Japans bekanntestem Filmemacher sprechen. Hier die Dokumentation meiner Einführung in das Gespräch.

FAZ-Comicexperte Andreas Platthaus hat gerade in einem Text über Nicolas Mahlers Folgendes geschrieben: »Man muss ihn mal persönlich erlebt haben, um zur Gänze zu begreifen, was für ein Genie da am Werk ist.« Zum Genie fügt sich sprichwörtlich der Wahnsinn. Ob das auch bei Nicolas Mahler der Fall ist, und wenn ja, was das für ein Wahnsinn sein könnte? Vielleicht finden wir das heute heraus.

Bei seinen Figuren wissen wir das aber ganz sicher. Sie bewegen sich zwischen Komödie und Tragödie, egal ob sie der Weltliteratur entrissen, der Wirklichkeit oder in Mahlers Kopf entstanden entsprungen sind.

Da ist etwa die blauhaarige Alice, die wir alle aus dem Wunderland kennen. In Mahlers gezeichnetem Kaninchenbau stößt sie auf eine sonderbare Bibliothek, die der eines renommierten Verlags – Sie dürfen an dieser Stelle gern an Reprodukt oder Suhrkamp denken – alle Ehre macht.

Oder Leopold Bloom in James Joyce Klassiker »Ulysses«. In Mahlers freihändiger Version, die nicht in Dublin, sondern in Wien spielt, wird jener Bloom von einem Wiener Anzeigenverkäufer namens Wurmb ersetzt. Was Mahler diesem Kerl dort an Absurdem und Skurrilem, an Komischem und Tragischem aus den Wiener Zeitungen vom 16. Juni 1904 unterjubelt, ist schlicht und einfach famos.

Und dann ist da noch sein »Mann ohne Eigenschaften«, den Mahler nicht nur ganz ohne greifbare Eigenschaften zeichnerisch umsetzt, sondern der auch passend zur literarischen Vorlage vergeblich dem Sinn der menschlichen Existenz nachstellt. Oder Flaschko, diesem Sofaheld und Sesselfurzer, der eingewickelt in eine Heizdecke im Kammerspiel mit seiner Mutter die Dramen und Komödien des Lebens durchspielt. Bei Mahler lernen wir, dass alles eine Frage von Längen und Kürzen, von Rhythmus und Perspektive ist.

Die unterschiedlichen Perspektiven, auch das ein Thema in Mahlers Comics. Insbesondere in seinen sich zwischen Autofiktion und Autobiografie bewegenden Kurzerzählungen. Darin lässt er uns teilhaben an skurrilen Begegnungen und witzigen Beobachtungen, die er auf Comicsalons, in Kneipen oder im Alltag macht. Unvergesslich etwa die Gespräche mit der Finanzbeamtin Goldgruber, die er für das Satiremagazin Titanic festgehalten hat. Da werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Was haben Comics mit Kunst zu tun? Vor allem steuerlich betrachtet? Was ist Kunst überhaupt? Und was hingegen Comics? Und nicht zuletzt, wer oder was ist dieser Mahler?

Ja, die Frage kann man durchaus stellen? Wer oder was ist dieser 1969 in Wien geborene Mahler eigentlich, der einst Fix-und-Foxi-Zeichner werden wollte, dann aber nicht in die Schuhe von Rolf Kauka, sondern eher in die eines heiteren Franz Kafka geschlüpft ist? Der seit Jahren das Spielerische und das Intellektuelle der Neunten Kunst elegant zum Glänzen bringt. Der drei Max-und-Moritz-Preise, den Deutschen Karikaturenpreis und den Preis der Literaturhäuser auf sich vereinen konnte und dem aktuell in Stuttgart und Leipzig zwei Ausstellungen gewidmet sind?

Nicolas Mahler: Akira Kurosawa und der meditierende Frosch. Reprodukt Verlag 2023. 128 Seiten. 16,- Euro. Hier bestellen.

Wer ist dieser Mahler? Meister der Strichmännchen? Freibeuter im Meer der Weltliteratur? Melancholischer Bildpoet? Entscheiden Sie das im Laufe des Abends am besten selbst. Was man aber sicher sagen kann: er ist fleißig wie die Bienen. Hätte dieses Haus hier all seine Arbeiten auch nur einmal vorrätig – was sehr zu empfehlen wäre –, könnte es damit proplemlos ein bis zwei Regalmeter füllen. Mahlers neuer Comic »Akira Kurosawa und der meditierende Frosch« ist gemäß der Aufstellung im digitalen Mahlermuseum sein 62. Album.

Mahler präsentiert sich darin ganz als Büchermensch, Comiczeichner und Filmliebhaber. Der Büchermensch wirft ein Auge auf die Absurditäten im wunderlichen Literatur-Betrieb, der Comiczeichner blickt an seine Anfänge und eine Japan-Reise zurück und der Filmmensch führt uns ein wenig an der Nase herum. Um einen Mann zu zitieren, den er in Japan getroffen hat: wir sollten nie vergessen, zuallererst ist es Unterhaltung.

Hier können Interessierte den unbearbeiteten Mitschnitt der Buchpremiere herunterladen.

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