Der Österreicher Nicolas Mahler spricht im Interview darüber, wie es sich anfühlt, wenn einem der Wind der feuilletonistischen Hochkultur um den Kopf weht, während man noch mit den Füßen in der Comicszene steht.
Sie sprechen in Ihrem neuesten Werk »FRANZ KAFKAS nonstop LACHMASCHINE« über die mangelnde Lebensfähigkeit von Comicautoren. Wie steht es aktuell um Ihre.
Mittelmäßig, würde ich sagen. Ich kann so punktuell funktionieren, aber im gesamten nur so mittel. Man kann auch sagen: Ich funktioniere im Detail, aber der Blick für das Große fehlt mir.
Das überrascht angesichts Ihrer souveränen Weltliteratur-Adaptionen wie Robert Musils »Der Mann ohne Eigenschaften« oder Lewis Carolls »Alice im Wunderland«.
Ich glaube, das ist genau der Grund, warum mir das so leicht von der Hand geht. Mir fallen diese Adaptionen so leicht, weil ich das Große nicht aufnehmen kann.
Die meisten Leser finden das Große wieder.
Die Deutung liegt im Auge des Betrachters. Es ist ja so wenig da, dass manche darin viel sehen und andere wiederum gar nichts.
Der KAFKA-Comic ist wieder ein autobiografischer. Wie sehr ähnelt der gezeichnete Mahler dem echten?
Der gezeichnete Mahler ist mir schon sehr ähnlich, auch in der Hilflosigkeit und Verwunderung über die alltäglichen Ereignisse, die ihn ereilen. Ich bin gut im Beobachten und schlecht im Agieren, was sicher auch eine Voraussetzung für den recht isolierten Beruf des Comiczeichners ist. Ich brauch das, den Rückzug, die Abgeschiedenheit. Unter Leuten bin ich eigentlich nie entspannt.
In »FRANZ KAFKAS nonstop LACHMASCHINE« sowie der zuvor erschienenen Bernhard-Adaption »Der Weltverbesserer« spielt die Mutter eine wichtige Rolle. Wie kommt’s?
(Mahler lacht) Ich finde die Rolle der Mutter ist überbewertet. Beim »Weltverbesserer« ist es ja nicht mein Text. Bei KAFKA kann man das sicher psychologisch erklären, aber ich sehe es als klassische Witzsituation. Ein Mann und seine Mutter – das ist eine Konstellation, bei der sich jeder sofort auskennt. Jeder hat Schwierigkeiten mit der Mutter oder ist von ihr genervt. Wenn das Telefon klingelt und auf dem Display Mutter steht, ist die Reaktion von 99 Prozent der Leute »Ach nein, nicht jetzt.«
Wie gehen Sie dabei vor?
Thomas Bernhards »Alte Meister« hatte ich schon vor Jahren mit Begeisterung gelesen hatte. Als ich beschlossen hatte, es als Comic umzusetzen, dachte ich zunächst, dass es schwer möglich ist, diesen bilderlosen inneren Monolog zu zeichnen. Ich bin daher dreigliedrig vorgegangen. Ich habe den Roman noch ein, zwei Mal gelesen und dann bestimmte Passagen gefunden, die Potential haben. Dann bin ich ins Kunsthistorische Museum Wien gegangen und habe mir die Bilder angeschaut. Die Bilder sowie meine Eindrücke vom Museum und dem Umfeld habe ich dann mit bestimmten Passagen im Kopf verknüpft. Das klingt kompliziert, aber es war einfach nur ein totaler Spaß, eine lustvolle Betätigung. Denn der Text ist gut und schärft die Wahrnehmung der Bilder.
Mit Blick auf Ihre Adaptionen beschreiben Sie sich als Wandler zwischen Hoch- und Trivialkultur. Fühlen Sie sich zwischen Feuilleton und Comicszene eingeklemmt?
Eingeklemmt würde ich es nicht nennen. Es ist so: wenn von zehn Kritiken neun gut sind und eine schlecht ist, dann merke ich mir die schlechte Kritik. Die bleibt in meinem Kopf (lacht). Was mich vor allem interessiert, ist der Hass auf meine Bücher. Das finde ich einerseits total lustig, weil sie eigentlich zu unwichtig sind, um Hass zu provozieren, aber andererseits wurmt es mich. Zu Anfang meiner Karriere habe ich ziemlich beleidigende Kritiken bekommen, in denen Sachen standen wie »Dem sollte man das Zeichnen verbieten!« oder »Schade um das Papier, auf dem es gedruckt wird!«. Mich wundert das, denn es gibt ja viel abstrusere Kunstcomiczeichner als mich. Die werden von der Comicszene aber gar nicht wahrgenommen.
Ich stehe mit einem Fuß in der Comicszene, mit dem anderen in der Kunst. Die Leute sehen sich meine Arbeiten an und einige ärgern sich. Manche schreiben dann, dass meine Bücher eine 1:1-Bebilderung von Literatur seien, bei Allice in Sussex gab es das zum Beispiel. Das finde ich dann schon fast lachhaft und habe die Vermutung, der Autor hat nur das Cover angesehen und dann seinen Vorurteilen freien Lauf gelassen. Dann heißt es: Wieder so ein Literaturscheiß oder wieder so ein Comic. Aber das funktioniert auch in die andere Richtung. Comic ist jetzt zwar ernstgenommen, aber es braucht das Hilfsmäntelchen der Literatur, damit es bestimmte Leute anschauen. Für mich wäre es ausreichend, wenn jemand sagt, dass meine Bücher lustig sind.
Text-Bild-Adaptionen von Literatur liegen derzeit im Trend. Ist das ein gutes Zeichen für die zunehmende Akzeptanz der Neunten Kunst oder sind Sie bei dem Thema eher skeptisch, weil auch immer mehr zweifelhafte Arbeiten auf den ohnehin schon engen Comicmarkt strömen?
Das ist schwer zu sagen, denn hier geht es um persönliche Geschmäcker. Das, was ich als lieblos bezeichnen würde oder was nicht nach meinen Vorstellungen gemacht ist, kommt beim Publikum in der Regel besser an.
Ich glaube nicht, dass die Qualität abschreckt, sondern eher die Menge. Wenn bei Suhrkamp fünf bis zehn Comics im Jahr herauskommen, ist das noch bewältigbar. Wenn das aber jeder literarische Verlag macht, wird es schwierig, da hinterher zu kommen.
Der Begriff der »Graphic Novel« tritt immer mehr in den Vordergrund. Sie haben Ihre Probleme damit, wie ich lesen konnte.
Ich habe ein Problem damit, wenn mir ein Illustrator sagt, er sei kein Comiczeichner, sondern Graphic Novelist. Dann denke ich mir, okay, dann bist du halt Graphic Novelist und außerdem beschränkt. Als wenn ein Filmemacher sagen würde, er wäre ein Arthouse-Filmemacher. Das ist doch Quatsch. Comic ist Comic und damit aus.
Als Label und Nischenbezeichnung finde ich »Graphic Novel« wiederum sinnvoll, weil es dem Publikum hilft, eine Idee davon zu bekommen, was es da in den Händen hält. Da hat ja jeder seine Präferenzen und kann schnell finden, was er sucht. Es sagt ja auch kein Cineast, er mag Filme. Der sagt, er mag Arthouse, Western oder was weiß ich.
Aber geht mit der Einführung des Begriffs nicht auch auch eine Wertung einhergeht im Sinne von »Das kann man im Gegensatz zu Comics auch als Otto-Normalverbraucher lesen«?
Diese Wertung kommt ja gar nicht von denen, deren Arbeiten als Graphic Novels verkauft werden. Es ist vielmehr so, dass die Comicleute den Eindruck haben, ihre Arbeiten würden weniger wertgeschätzt. Es wird nur schwierig, wenn der Begriff dogmatisch gebraucht wird. Wenn mir Journalisten begegnen, die mir sagen, sie besprechen keine Comics, sondern nur Graphic Novels, dann denke ich mir, du Armer, du hast gar nichts begriffen. Aber ich argumentiere hier auch aus einer bequemen Position. Meine Graphic Novels sind zugleich immer auch komisch und ich kann gut damit umgehen, wenn die als Comics bezeichnet werden. Andere, die den Krebstod ihrer Mutter als Comic verarbeiten, wollen natürlich nicht, dass das in der Ecke Komisches steht.
Wie zeichnet man das Absurde und Ironische?
Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich darf man nicht zu viel machen, um Platz zu lassen für den Leser. Aber man kann nicht erklären, was bei dem Einzelnen im Kopf geschieht. Leser sagen mir oft, ich würde so viele komische Sachen erleben. Dabei passiert mir total wenig. Wenn ich mir dann anhöre, was die Leute erzählen, dann ist das fast zehnmal soviel. Wenn einem wenig passiert, dann muss man aus dem Wenigen viel machen und gut darüber nachdenken. Man muss wissen, wie man die Geschichte erzählt, das ist wichtig. Ich habe schon Dinge erlebt, die waren der Brüller, aber die funktionierten dann beim Zeichnen überhaupt nicht. Im Gegensatz dazu gibt es Erlebnisse, die sind im realen Leben kurz vorm Einschlafen, aber in der Bildgeschichte funktionieren die wahnsinnig gut.
Ihr Stil wird meist als reduziert oder minimalistisch beschrieben. Empfinden Sie das als richtige Einordnung?
Das ist mir ehrlich gesagt egal. Ich empfinde das weder als Lob noch als Beleidigung. Das soll wahrscheinlich heißen, dass es einfach gezeichnet ist. Minimalismus finde ich in Ordnung. Womit ich nicht leben kann ist, wenn es heißt, meine Zeichnungen seien kunstlos. Ich kann auch nicht verstehen, wenn jemand meine Arbeiten als Krakelzeichnungen kritisiert, schon weil ich sehr auf die Komposition achte.
Ihr Stil gilt als reduziert und minimalistisch. Wie würden Sie ihn selbst beschreiben?
Ich würde sagen, Tusche auf Papier.
[…] anderer beherrscht. Was braucht man am meisten, um sich an Größen wie Franz Kafka, James Joyce, Thomas Bernhard, Robert Musil, Arno Schmidt oder Marcel Proust zu wagen?Das wichtigste ist, das eigene Werk zwar […]