Unentwegt schreibt Dietmar Dath an den wahrscheinlichen Zukunftsszenarios der Menschheitsgeschichte. Schon sein biopolitischer Anti-Gesellschaftsentwurf »Die Abschaffung der Arten« als auch sein interstellarer Science-Fiction-Roman »Pulsarnacht« ließen seine Leser vor der Zukunft erzittern. Seine aktuelle Dystopie »Feldeváye. Roman der letzten Künste« sowie der rEvolutionscomic »Menschen wie Gras wie« schließen daran an und verheißen die »unübersichtlichste Revolution aller Zeiten«.
Dietmar Dath ist einer der schreibwütigsten und politischsten Autoren Deutschlands. In den vergangenen zehn Jahren hat er über 7.000 Seiten Lesestoff produziert, fast 20 literarische Titel und noch einige Sachbücher und Essays. Zu den wichtigsten gehören zweifellos die vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit in Die salzweißen Augen, die für den Deutschen Buchpreis nominierte Evolutionsvision Die Abschaffung der Arten sowie die mit der Naturwissenschaftlerin Barbara Kirchner geschriebene Ideengeschichte des Fortschritts Der Implex.
Vor wenigen Wochen sind sein neuer Roman Feldeváye. Roman der letzten Künste sowie der gemeinsam mit Oliver Scheibler verfasste Comic Menschen wie Gras wie (Interview zum Comic) erschienen. In beiden geht er den Konsequenzen nach, die sich aus dem möglichen wissenschaftlichen Fortschritt für das soziale Miteinander ergeben. Das Abwägen des Möglichen im Wirklichen ist Daths Lebensthema.
1970 in Süddeutschland geboren, durchlebte er die »klebrigen siebziger und achtziger Jahre« nur dank Heavy Metal im Ohr. Das war wohl seine Lehre aus der kleinstädtischen Spießbürgerlichkeit, die ihn umgab, denn die Musik der »unedlen Metalle« ist »eine Art, die Welt zu sehen, wie Glaube oder krankhafte Eifersucht«. Allerdings nicht so chaotisch, der Lärm »tobt vernünftig, absichtlich, beschreibbar«, schreibt Dath.
Physik macht die Welt beschreibbar, Germanistik die Sprache – das Studium beider Fächer brach er dennoch ab. Er wollte lieber schreiben. Alles, was er zum Beschreiben brauchte, holte er sich in der Welt der Popkultur ab. Die seit der Jugend auf dem Sofa verbrachten Videoabende, musikalischen Erweckungserlebnisse, durchfieberten Lesenächte und verzockten Sonnentage sind Ausgangspunkt seiner unablässigen Auseinandersetzung mit den populären Künsten, die wiederum Grundlage seiner tiefer Verwurzelung mit den schreibenden, klingenden, visuellen, digitalen und interaktiven Popkulturen ist. Folgerichtet leitete er zwischen 1998 und 2000 als letzter Chefredakteur das selbstverwaltete Popkulturmagazin Spex und befriedigte dort, wie alle anderen Spex-Mitgestalter, sein enormes »Dazwischenquatschbedürfnis«. Die Ahnungslosigkeit wurde dabei zum Motto der authentischen Intervention erhoben. Im großen Spex-Buch, das im vergangenen Jahr erschienen ist (Metrolit-Verlag), kann man etwas Daths »geschmackslehrmeisterlichen« Gegentext zur faschistoiden Rammstein-Rezeption im bürgerlichen Sinnbetrieb nachlesen, in dem der Metaller Dath eine Lanze für die Drastik der deutschen Hardrock-Band bricht.
Dath beobachtet Popkultur nicht nur, er schwimmt darin. Deshalb wimmelt es in seinen Romanen an direkten und indirekten Querverweisen auf die populäre amerikanische Literatur, die Dramen der HBO-Fernsehserien, die Superhelden- und Weltraumsagas aus dem Marvel- und DC-Kosmos, die leisen und lauten Töne der Musikkultur, den Cyber-Grusel der digitalen Welt sowie den eilenden Fortschritt der Wissenschaften. Dazu kommt ein hoher Anspruch an die techno- und denklogische Korrektheit sowie die sprachliche Genauigkeit. Das macht seine Schriften zu gleichermaßen anstrengenden wie faszinierenden Textgebäuden. Daths Beiträge zur deutschen Gegenwartsliteratur machen ihn zu einem alle Nervenzellen herausfordernden Solitär in den hiesigen Textwüsten.
Das spiegelt sich auch in seinem journalistischen Schaffen. Dem Popkulturmagazin folgten ein Jahr »freien Geschreibsels« und ab 2001 verschiedene Redakteursanstellungen bei der konservativen FAZ. Zugleich schreibt er seit Jahren für die linke Wochenzeitung Jungle World. Seine Bücher erscheinen unter anderem im Traditionshaus Suhrkamp, beim gerade mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichneten Verbrecher-Verlag (dessen erster Autor Dath war) und im Unterhaltungsverlag Heyne. »Diese Leute können offenbar alle hin und wieder den einen oder anderen Aspekt meiner Sache brauchen, kriegen aber meistens den Rest dazu«, kommentiert Dath seine in der deutschen Kulturlandschaft einzigartige Schreibsituation.
Im Gespräch schaut Dath die meiste Zeit an seinem Gegenüber vorbei. Er scheint im Nichts seine Gedanken zu sortieren, die im Laufe des Gesprächs ein Eigenleben entwickeln und die geäußerten Worte überholen. Er ist ein Mensch, der redend weiterdenkt – wahrscheinlich ein Grund für sein pausenloses Schreiben. Zugleich umgibt ihn eine alerte Aura, wenngleich man nicht behaupten könnte, er ließe sich von irgendetwas aus der Ruhe bringen. Sein Konzept des Sinnierens (»Mal wird angegriffen, mal ausgewertet. So geht Denken«) bietet einen Erklärungsansatz.
Wenn Daths Schreiben von der Popkultur beeinflusst ist, dann ist sein Denken von der linken Theorie geprägt. Er gilt seit seinem Auftritt in Alexander Kluges fulminanter Video-Dokumentation Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx – Eisenstein – Das Kapital als »Lieblingsmarxist des Feuilletons«. Was wohl daran liegt, dass er zu den wenigen gehört, die den saturierten Kulturdeutern der Republik die ins Abseits gestellten Ideen der linken Theoretiker ins Feuilletonsprech übersetzen kann.
Dath ist aber auch selbst überzeugter Anhänger einer linken Politik, die ihre Anfänge in der französischen Revolution hat. »Alles, was bis zur Französischen Revolution zurückreicht, wird mich so lange interessieren, bis die Ziele jener Revolution erreicht sind«, sagte er in einem Interview gegenüber der Welt. Das realgeschichtliche Scheitern von Kommunismus und Sozialismus belege nicht deren gesellschaftliche Untauglichkeit, sondern vielmehr die Untauglichkeit der jeweiligen Gesellschaften. Die Demokratie habe sich schließlich auch nicht mit dem ersten Anlauf durchgesetzt, sondern ist zunächst in den Blutflüssen der Französischen Revolution untergegangen. Er plädiert für eine Wiederbelebung des linken Denkens, denn »wer überhaupt noch irgendetwas Liberales retten will, muss es soweit radikalisieren, dass es sozialistisch wird«. Grundsätzlich kann man Dath die Sehnsucht nach einem interessanteren Dasein als dem »Schwachsinn, den wir heute haben«, nicht verdenken. Wenn er diese bearbeitet, dann aber eher faktional als fiktional, etwa mit einer kleinen Biografie von Rosa Luxemburg, deren Leben prächtig vor Augen führe, dass »der Ist-Zustand der Welt eine Beleidigung der menschlichen Existenz und Intelligenz ist«.
Daths kritische Position zur kapitalistischen Gegenwart ist der Grund, warum kein neues Dath-Buch erscheint, ohne dass es auf eine sozialistisch-revolutionäre Grundidee abgetastet würde. Für den deutschen Kulturbetrieb ist dieser Umstand eine Armutserklärung. Die Kritik vergisst allzu oft, dass ihr Anlass ein unkritischer ist. Statt den literarischen Bewertungsmaßstab einfach bei einer – nach den jeweils eigenen Gesetzen des Genres – gut oder schlecht erzählten Geschichte anzulegen, werden die Unterschiede zwischen den bewerteten Sachen oft entlang »idiotischer Kriterien« gemacht werden. Das Bekritteln à la »Popliteratur versus Tiefsinn versus Genre versus…«, wie man es immer wieder erlebt, wenn die zu begutachtende Literatur den Bereich der engagierten Höhe verlässt und sich in den Sphären von Krimi, Science Fiction, Porno oder Comic bewegt, könnte tatsächlich idiotischer kaum sein.
Die ideologische Voreingenommenheit, mit der Daths Werke rezipiert werden, erinnert an den Vorwurf, Heavy Metal sei böse und destruktiv. Die Metaller-Szene erklärte das Ressentiment mit Black und Death Metal zum Programm und entlarvte es. Der bebende und quietschende Krach, das zerstörte Equipment, die satanischen Fratzen – all das steht für den deduktiven Fingerzeig, der darauf hinweist, wie böse und destruktiv man sein könne, wenn man es nur wolle.
Dath hat sich das abgeschaut. Er hat die Agitprop-Unterstellung, er beschreibe die Form des sozialistischen Klassenkampfs einfach nur immer wieder neu und komme damit seiner eigenen revolutionären Sehnsucht nach, zum Grundkonzept erhoben und zeichnet uns den Horror der Zukunft in den unterschiedlichsten Farben. Und weil die moderne Gesellschaft in seinen Augen keine stabilen Zustände kennt, sondern nur »Veränderungen zum Schlechten oder zum Besseren«, kommt keine Geschichte ohne Aufruhr und Umwälzung aus. Auch sein neuer, 800 Seiten umfassender Roman Feldeváye bleibt nicht ohne Revolution, und wer möchte, findet zwischen den Zeilen auch ein paar antikapitalistische Leitsätze.
Feldeváye erzählt von einer nichtmenschlichen Zivilisation in einer fernen Zukunft auf dem gleichnamigen Planeten in einer mehrere Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie. In der angesiedelten Gesellschaft der Lacs (den Ureinwohnern), Lapithen (»grüne Ozelotmenschen«), Mennesker (die Herren der Lapithen) und Rengi (eine muschelartige, transgalaktische Metazivilisation) wurden zwar einige der gegenwärtigen sozialen Zündstoffe wie der kapitalistische Monetarismus oder die auf Binarität basierende Geschlechterpolitik beseitigt, an ihre Stelle sind aber jene Missstände getreten, die bei der Verwirklichung des technisch und wissenschaftlich Möglichen entstehen.
Die absolute Rationalisierung allen Lebens hat in der von Prodniki (Helfer), Prodisten (Leiter der Wirtschaft) und Admins (Prodisten mit sozialen Kompetenzen) verwalteten sowie von der Auswertung überwachten extraterrestrischen Gemeinschaft zur funktionalen Irrelevanz des Vergnügens geführt, weshalb die Künste abgeschafft wurden. Eine kleine Gruppe um die Aistheten (Anhänger der alten Dinge) und Contramuralen (»Name für die, denen die Künste zu wichtig sind«) will die in den Systemen verborgenen Künste heben, was den autoritären Verwaltern der feldeváyschen Gesellschaft zuwiderläuft. So kommt es zu Unterdrückung, zu Aufständen und schließlich zum Bürgerkrieg, in dem die Grenzen zwischen Tatsache und Möglichkeit, zwischen Realität und Virtualität sowie zwischen Identität und Tarnung der zahlreichen Figuren verwischen. Die »unübersichtlichsten Revolution aller Zeiten« ist im Gange.
Das liest sich vor allem im ersten Drittel recht mühsam und bedarf einiger Ausdauer, aber dass Daths klirrend-kaltes Futuresprech nur mit Abstrichen an das eigene Vergnügen zu konsumieren ist, weiß man seit der Die Abschaffung der Arten. Bei diesem galaktischen Gente-Epos, das es 2008 bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte, konnte man aber auch erleben, wie sich die Mühe in Verzauberung auflöste. Dieses Versprechen kann Feldeváye nicht im erhofften Maße einhalten.
Für Dath ist die Frage, ob der Umgang mit dem technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt den Menschen freier und humaner macht oder eher in den Maschinenwinter führt, die am dringlichsten zu klärende unserer Zeit. Als Vorbild kann man hier die X-Men-Geschichten von Chris Claremont heranziehen, die Dath von der ersten Storyline bis zur bislang letzten Episode gesammelt hat. Er hält den amerikanischen Comicautor für denjenigen im Pop-Kosmos, der die besten Schilderungen von Gruppenbeziehungen in großen Auseinandersetzungen mit der Welt geschrieben hat.
Wenn die Vernunft, wie die Anhänger der Gegenaufklärung meinen, eine Hure ist, dann ist Dath hierzulande gern ihr treuster Freier. Vor der Erkenntnis, die sich aus dem genauen, kritsichen Betrachten der Dinge ergibt, schreckt er nicht zurück. Beispielsweise demonstriert er besonders gern anhand der Dampfmaschine, dass Fortschritt nicht automatisch zu mehr gesellschaftlicher Freiheit führt. Das Ersetzen von Muskelkraft durch etwas Mechanisches habe in den Händen derjenigen, die aus viel Geld noch mehr Geld machen wollen, nicht wie erhofft zu mehr Freizeit und weniger Arbeitszeit geführt, sondern zu einem höheren Arbeitsrhythmus einerseits und zu mehr Arbeitslosigkeit andererseits geführt.
Weil Dath ein Apologet der Wahrhaftigkeit ist und die Menschen (nicht Wissenschaft oder Philosophie) die Wirklichkeit zu dem machen, was sie ist, erzählen all seine Romane radikal und schonungslos von den sozialen Bewegungen unter den Vorzeichen des Fortschritts. In Feldeváye ist es das soziale Bedürfnis nach Vergnügen und Abschweifung, das letztendlich zum Aufstand führt. Denn in der wissenschaftlich modulierten, technisch optimierten und autoritär administrierten Gesellschaft, die Dath hier zeichnet, hat dieses Bedürfnis keinen Platz. Ein wie auch immer geartetes Defizit der Individuen – nichts anderes äußert der Wunsch nach Zerstreuung – ist nicht vorgesehen. Die Kunst könnte diese bieten, doch ihre Praxis ist im Zuge der Beseitigung der soziokulturellen Konfliktpotentiale wie Religion, Gender und Politik abgeschafft worden. Pro forma werden sie noch in musealen Metropolen, sogenannten Urbeen, ausgestellt. »Künste, das ist was für Mangelzivilisationen«, heißt es dazu im Roman.
Der alles verheißende wissenschaftliche Fortschritt, der ein sorgenfreies Leben verspricht, wird hier zum gesellschaftszerstörenden Moment. Das vollautomatische Abfüttern und Wickeln kann eine angenehme Sache sein, aber um Gesellschaft zu formen, reicht es nun einmal nicht. Ganz stringent ist das Thema der unterkühlten aber sorglosen Kryptogesellschaft nicht durchgehalten. Über die besonders gefährlichen »Feralkunstide« werden virenähnlich Krankheiten verbreitet, gegen die die heilenden »Medkunstide« letztendlich nichts ausrichten können. Entsprechend gibt es zwar deutlich längere, aber eben nicht unendliche Biografien. Es gibt auch weiterhin Liebe und Sexualität, obwohl eine Notwendigkeit dafür fehlt. Konsequent gedacht müsste dies sogar nach hinten losgehen, da diese allzumenschlichen Kommunikationsmittel bekanntermaßen Inspirationsquellen von Kunst und Kultur sind. Nun könnten sie – warum auch immer sie als solche ausfallen – doch zumindest der gewünschten Zerstreuung dienen. Dann müsste man sich Feldeváye als galaktisches Bumslokal vorstellen, in dem der Hedonismus zur Kunst erkoren wird. Dieser Möglichkeit wird im Roman nicht nachgegangen.
In Menschen wie Gras wie verheißt der Fortschritt ein neues Verhältnis von Mensch und Natur. Der Spieler (Investor) Farczády will mithilfe der Biologin Elin »toughere Pflanzen« entwickeln, um sie gegenüber der Fauna »aufzuwerten«. Resistentere Pflanzen – hier geht es offiziell um Utah-Gras, hinter den Kulissen um Hülsenfrüchte – würden nicht nur als Nahrungsmittel an Wert gewinnen, sondern die Welt mit einem Grasteppich überziehen. Selbst Wüsten könnten ergrünen – angesichts des absehbaren Klimawandels ein vielverheißendes Projekt. Doch der dämonische Farczády, eine Art Bio-Unternehmer à la Steve Jobs, verfolgt ein völlig anderes, rEvolutionäres Projekt. Denn mit der Hoheit über die resistenten, alles plattmachenden Pflanzen will er sich zum Herrn über Mensch und Natur aufschwingen.
Was Natur ist, wo der Eingriff ins Natürliche beginnt und was dies mit Ethik zu tun oder nicht zu tun hat, diese Fragen werden hier auch anhand der binären Geschlechterordnung diskutiert. Die androgyne Elin hat jahrelang eine mit gegenseitigen Gefälligkeitsdiensten versehene Beziehung mit dem homosexuellen Martin (später Martina) gepflegt. Dass sich Martin/Martina auch mit Männern vergnügt hat, ist ihr im Rückblick unheimlicher als die eigene Forschung mit den Grundlagen des Lebens. Menschen wie Gras wie ist Daths kopfschüttelnder Kommentar auf die von Sybille Lewitscharoff ausgelöste Halbwesen-Debatte, die ein reaktionärer Irrsinn ist, denn die zivilisatorische Gefahr lauert nicht auf dem Feld der Familienplanung und Sexualpolitik, sondern im Bereich der Biowissenschaften.
Eine zusätzliche Dimension erhält die Geschichte durch die ikonische Anspielung auf Verschwörungstheorien. Farzcádys Pupille wird von der mythenumwobenen Pyramide, die sich – vermeintlich als versteckte Botschaft von Freimaurern und Illuminaten – auch auf dem Dollarschein befindet, dargestellt. Eine winziger, aber nicht zu übersehender Verweis auf den Raubtierkapitalismus (Farczády entpuppt sich später tatsächlich als Raubtier des Wirtschaftsbetriebes) und das Teuflische im Menschen, das Scheibler zu einem Tafelbild einer düsteren Weltverschwörungsgeschichte arrangiert.
Mit dem bislang weitgehend unbekannten Oliver Scheibler hat Dath einen Illustrator gefunden, der sein anspruchsvolles Szenario fantastisch-souverän zu bebildern verstand. Sowohl für das Spiel mit den Geschlechter- und Rollenbildern als auch für die Jonglage mit »dem Natürlichen« in Farzcádys Labor hat er Impressionen gefunden, die unter die Haut gehen. Versetzt werden diese mit geradezu ikonischen Bilderfolgen, die entweder auf Comicgeschichte verweisen oder das gegenwärtige Riskieren der Balance von Mensch und Natur illustrieren. So haben Scheibler und Dath eine Erzählung geschaffen, die man nicht anders als in der Form des Comics erzählen könnte. Text- und Bildebene erzählen eine jeweils eigene Horrorgeschichte, die sich im Zusammenspiel auf einer dritten Ebene zu einem apokalyptischen Szenario weitet. Der Comic bringt die unter die Haut gehende Bedrohung, die in Text und Bild angelegt sind, zum Vorschein.
»Fiktion leistet Kundschafterdienste in den Dschungeln und an den Felsvorsprüngen menschlichen Verhaltens, die Psychiatrie, Geschichtswissenschaft, Theologie und Soziologie nicht beschreiben können, weil ihr intellektuelles Rüstzeug sie unbeweglich macht«, schrieb Norman Mailer 1991 in der Vanity Fair. In Menschen wie Gras wie verwandelt Dath die Welt in einen solchen Dschungel menschlichen Verhaltens, der frostige Planet Feldeváye bietet der sozialen Felsvorsprünge viele. Wie Extrembedingungen auf Gesellschaft wirken, macht Dath in beiden Werken wortgewandt und experimentierfreudig greifbar.
Hochdeutsch, so liest man in Daths Erzählungsroman Kleine Polizei im Schnee, ist eine verschwendete, opportunistische Sprache voller »Einwegbegriffe, Faselerklärungen, Laberdefinitionen«. Er schert sich daher nicht um die herkömmlichen Regeln von Syntax und Morphologie, Phonetik und Semantik, sondern orientiert sich lieber an einer »anderen, besseren Sprache«, die er kürzlich im Zusammenhang der von Maxim Biller ausgelösten Debatte um »Migrantenliteratur« folgendermaßen beschrieb: »Die andere, bessere Sprache konnte und kann das broken English (Marianne Faithfull) der Popmusik sein oder die bildende Kunst, die kristallinen Konstrukte exakter Wissenschaften, die Forderungskataloge radikaler Politik.« Dieser popkulturelle Sprachmix führt jedoch nicht nur zu den zahlreichen kultur- und naturwissenschaftlichen Referenzen, sondern auch zu einer von aller Bedeutung gelösten Diktion. »Ah, Cec ist in Reke und Reke und Cec sind in Cerrem und Kreb durchdringt Kreb und Kren ist ein Beispiel für Kreb in Cerrem und vollzieht sich als Kar, was als Semta aber schon in Cerrem enthalten ist.« Was bleibt, sind Rätsel und die Ahnung, dass es in der beschriebenen Situation um das Verhältnis unterschiedlicher Teilmengen zueinander geht. Ein Austausch der zerebralen Grundausstattung scheint für das Verständnis solcher Passagen völlig abwegig nicht.
Ziemlich am Anfang des Romans heißt es: »Feldeváye, das ist wirklich nirgends. Das ist gar kein Ort, eigentlich. Das ist eine Geschichte, für Kinder mit großen Augen, denen man beibringt, ohne Schnittstellen Bilder zu machen, ohne Synes zu träumen, ohne Raumdeuter Musik zu spielen. Feldeváye, das ist noch gar keine Welt. Daraus muss man erst eine machen. Genau das können wir tun. Zusammen.«
Entsprechend liest sich Daths neues Husarenstück teilweise weniger wie ein Roman als vielmehr wie eine bulgarische oder chinesische Bedienungsanleitung zum Bauen einer zukünftigen Welt. Vor lauter Fragezeichen möchte man nach einem Übersetzer – der im Idealfall als Reproduktionsmediziner, Biochemiker, Atomphysiker, Mathematiker, Theologe, Philosoph und Germanist habilitiert ist – rufen, auf dass er einem das Wissensnotwendige, aber in der dargereichten Form Rätselhafte, in eine verständliche Sprache übersetzt. Dath-Fans kennen das aus den dystopischen Vorläufern Pulsarnacht oder Die Abschaffung der Arten.
Das alles ist nicht l’art pour l’art, sondern dient der Beweisführung der Notwendigkeit von Kunst unter den Vorzeichen einer nachmenschlichen, hochtechnisierten, aber kulturlosen Zivilisation. Und weil es für diese Zivilisation zu wenig Worte gibt, erschließt sich Dath nach physikalischen, biologischen, mathematischen und was auch immer für Grundregeln Sprachmetaphern für die Menschheitsgeschichte. Bei emsiger Suche findet man zahlreiche Bruch- und Versatzstücke aller denkbaren Fachsprachen in latinisierter, gräzisierter oder anglisierter Form. Oft findet man aber auch gar nichts. Dann hat man es mit den Dathschen Fantasiebegriffen zu tun, die nur im Gesamtkontext einen Sinn ergeben. Derart sprachjonglierend begründet er seinen Blick auf unser Dasein wieder und wieder neu.
Fügt sich Daths unaufhörliches Beschreiben der humanoiden Perspektiven also zu einem großen Zukunftspanorama? Durchaus, Aspektedes werkübergreifenden Schreibens sind in den tiefen der Bücher verborgen. So wie die Archimboldis, Amalfitanos und Belanos als Wiedergänger in den zahlreichen Romanen des Chilenen Roberto Bolaño spuken, so kennen Dath’epten den Raubtierkapitalisten Farczády bereits aus Kleine Polizei im Schnee. Dort werden auch einige Details der feldeváyschen Macht- und Lebensverhältnisse angesprochen – etwa dass man mit Verkürzerports durch Zeit und Raum reist oder dass die Mennesker den gigantischen Mond Arrhenius in eine Umlaufbahn von Feldeváye geschossen haben, um ein Experiment mit Energie zu versorgen, das die besten Möglichkeiten aus den sprachbegabten und sprachgeplagten Wesen herausholen soll. In Feldeváye gibt es wiederum zahlreiche Anspielungen auf die Zeit der Mensch-Tier-Hybride, die Dath »Gente« nennt und deren Zivilisation er seinen Roman Die Abschaffung der Arten gewidmet hat. Und wenn die »Sencessa« als giraffenähnliche Wesen mit Wolfsköpfen beschrieben werden, dann taucht vor dem inneren Auge des Lesenden der monströse Farczády auf. Nicht zuletzt haben die »Farnschiffe«, mit denen einige Spezies von Planet zu Planet reisen, dem ersten Musikalbum von Daths Band The Schwarzenbach – hervorgegangen aus den musisch untermalten Lesungen mit dem Kammerflimmer Kollektief – ihren Namen geliehen.
Diese medienübergreifende Erzählung ist intendiert. In Die salzweißen Augen schreibt Daths Alter Ego David an die ewig angebetete Sonja: »Und wegen der Unzulänglichkeiten konnte es [das Schreiben, A.d.a.] nie aufhören, jeder Text musste und muss noch heute sofort mit dem nächsten überschrieben werden: Zwangsretusche«. In einem Interview erklärte Dath, dass mancher Text als Erholung von anderen Schreibherausforderungen entstehe. Und am Ende ist es ganz einfach. »Alles gehört zusammen, aber jedes kann für sich stehen: Das ist die Hoffnung dabei«, erklärt Dath.
»Vieles, das hier zum Lachen reizt, könnte man genauso gut beweinen, und respektiert es am Ende doch als notwendiges Zittern bei kniffliger Kunst, die sich nicht entscheiden will zwischen Danse Macabre und Kindergeburtstag«, heißt es im einzig verbliebenen Buch auf Feldeváye. Diese Beschreibung der feldeváyschen Welt trifft auch auf das Gesamtwerk von Dietmar Dath zu, der an seinen düsteren Zukunftsvisionen immer weiter schreibt, weil die Welt für ihn so aussieht, »als funktioniere sie eher übers Erzählen als übers Begründen«.
[…] Gesellschaft eine freiere, stärker auf die Kunst bezogenere Gesellschaft sei. Ist die feldeváysche Gesellschaft der scheiternde Versuch einer solchen nachkapitalistischen, kunstorientierten […]
[…] greift. An dieser Stelle sei auf die Romane »Waffenwetter«, »Die Abschaffung der Arten«, »Feldeváye« und »Venus siegt«, aber auch auf den Comic »Menschen wie Gras wie« verwiesen (die Links führen […]
[…] wie Michel Houellebecq oder Frédéric Beigbeder, ich sehe eher Parallelen zu den Dystopien von Dietmar Dath und der Entrückung der Welt, wie sie einem in Clemens J. Setz Romanen […]
[…] »Zwischen Danse Macabre und Kindergeburtstag« […]