Comic

Freisein und:oder Frausein

Die 18. Ausgabe der Comic-Anthologie »SPRING« widmet sich den Möglichkeiten und Grenzen der Freiheit aus weiblicher Perspektive.

Es ist eine Allerweltsgeschichte aus der Provinz, die Stephanie Wunderlich in ihrer Kurzgeschichte »Eh nix passiert« erzählt. Sie spielt am Rand von Augsburg, am Siebentischwald, der für die Vierjährige genauso märchenhaft war wie er klingt. Als Heranwachsende hat sie mit ihren Freundinnen erlebt, wie manches Mal Männer an den Waldwegen standen und sich vor den Mädchen entblößten. »Wir rasten mit Gelächter vorbei«, kommentiert die Hamburger Illustratorin lakonisch. Nur zwei Seiten später ist ihr gezeichnetes Alter Ego 16 Jahre alt und erneut rast es auf dem Fahrrad durch den Wald. Denn nun hat sich nicht nur irgendein Typ entblößt, sondern einer ist ihr nachgefahren und hat versucht, sie anzuhalten. Nichts passiert, sie kann dem Typen davonfahren, aber es bleibt etwas zurück. »Nach diesem Erlebnis konnte ich nicht mehr alleine in den Wald fahren.« Nicht nur der Wald bleibt ihr allein versperrt, auch später überkommt sie ein beklemmendes Gefühl, wenn sie allein unterwegs ist.

Spring #18 – Freiheit. Mairisch Verlag 2021. 224 Seiten. 24,00 Euro. Hier bestellen

Freiheit ist ein großes Wort und aus der feministischen Literatur nicht wegzudenken. Was aber heißt Freiheit? Meike Stoverock etwa geht das ganz grundsätzlich an und ruft zu einer Rückkehr der »Female Choice« auf. Ciani-Sophia Hoeder erinnert in »Wut und Böse« daran, dass das auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit basierende Gesellschaftssystem Frauen von Anfang an ausschloss, Mely Kiyak blickt in ihrem ausgezeichneten Denk-Buch »Frau Sein« auf die Verhältnisse, die Frauen oft in eine falsche Freiheit führen und Heike Kleen nimmt sich in ihren »Geständnissen einer Teilzeit-Feministin« die Freiheit, zu fragen, ob Sie im Alltag sowohl Feministin als auch vermeintlich unfeministisch-pragmatisch sein kann.

Die Vielfalt dessen, was Freiheit ist, fängt auch die neue Ausgabe des Spring-Kollektivs ein. In diesem versammeln sich Autorinnen, Comiczeichnerinnen und Illustratorinnen, die sich immer wieder einzelne Phänomene des Alltags herausgreifen und diese Jahr für Jahr bebildern. Die letzten Ausgaben beschäftigten sich mit Gespenstern, Sex, Arbeit, Zukunft und dem oft zitierten »Elephant in the Room«.

Die zwölf Künstlerinnen, die an der 18. Ausgabe des Spring-Magazins mitgewirkt haben | Foto: Manfred Bogner, 2021. Mehr unter www.springmagazin.de/

Bei ihren Reflektionen zum Begriff Freiheit braucht es mal eine Geschichte, dann wieder nur wenige Bilder. Caroline Löbert braucht in ihrer Bildgeschichte »O.T.« nur zwei: Das eine zeigt den bewunderten Insta-Post einer Strandschönheit, das andere die Zwänge, die außerhalb des Bildausschnittes in dem Moment auf die Fotografierte einprasseln.

»Die Freiheit der Frau« heißt das aktuelle Buch von Édouard Louis, in dem er erzählt, wie das Leben seiner Mutter durch die Verhältnisse, in denen sie lebt, bestimmt wurde. Diesen Gedanken greifen hier gleich mehrere Geschichten auf – mal witzig oder ironisch, dann wieder nachdenklich oder wütend. Stephanie Wunderlich braucht in »Must Have« auch nur zwei Bilder, um zu zeigen, wie die sozialen Verhältnisse die Freiheit des Individuums begrenzen.

Auch die Wände, gegen die Frauen anrennen und ankämpfen, spielen hier eine Rolle. Die Berlinerin Doris Freigofas fängt diesen verzweifelten Kampf ein, indem sie eine Frau zeigt, die mit den bloßen Fäusten, mit Schlagbohrmaschine oder Pinsel und Farbe einer unüberwindbaren Mauer zu Leibe rückt. Aber nichts hilft, das Ding steht in all seiner hässlichen Pracht da und zeigt der handelnden Figur ihre Grenzen auf. Im letzten Bild aber löst Freigofas das auf und fragt bildhaft-ironisch, ob sich Frauen vielleicht nicht auch manchmal zu sehr auf das konzentrieren, was sie beschränkt, statt sich die Freiheit zu nehmen, einen Bogen um Mauern zu machen, um an ihr Ziel zu kommen.

Freiheit bedeutet, Dinge hinter sich zu lassen und sich frei zu machen von Erwartungen und Einflüssen, wie die Comiczeichnerin moki und die Illustratorin Carolin Löbert in ihren Comicgeschichten zeigen. Freiheit bedeutet, zu tanzen, findet Larissa Bertonasco, oder die Poesie des Wortes zuzulassen. Denn »das Herz des Menschen will frei von allen Sorgen sein«, wie es in dem Gedicht »Dile Aadam« des afghanischen Poeten Sakhi Rahi heißt, das Maren Amini illustriert hat. Freiheit, das zeigt die neue Ausgabe von Deutschlands bester Comic-Anthologie deutlich, meint auch die Vielfalt der Stile und Herangehensweisen, den Mut zum Unperfekten und zur Fantasie.

Insgesamt 21 Comic-Erzählungen versammelt die 18. Ausgabe des Spring-Magazins unter dem Schlagwort »Freiheit«, wobei Wunderlichs eingangs erwähnte Geschichte die einleitenden Worte von Jule Hoffmanns am direktesten umsetzt. Hoffmann schreibt über den Zugriff von Frauen auf den öffentlichen Raum und erinnert daran, dass es für Frauen historisch gesehen keine Selbstverständlichkeit ist, sich dort frei zu bewegen. Wunderlichs Geschichte belegt, dass dies bis heute gilt. Hoffmann will das stellvertretend für alle Frauen nicht akzeptieren und setzt dem unmissverständliche Worte entgegen:

»Ich will breitbeinig in der Mitte einer Bank sitzen, mit offenem Mund Kaugummi kauen, sichtbar keinen BH tragen – und ich will nichts hören. Keine Sprüche, keine Blicke. Mehr noch, ich will per Anhalter fahren, ich will betrunken durch nachtleere Straßen laufen, ich will nackt am FKK-Strand liegen. Ich will alleine in einer Bar sitzen und mit fremden Leuten ins Gespräch kommen, ohne misstrauisch zu sein. Ich will mehr als ein Zimmer für mich allein, ich will die Straße. Und ab und zu, wenn es mich überkommt und ich raus gehe, alleine und ohne Ziel, gehört sie mir.«

Jule Hoffmann

Spring #18 vereint vielstimmige, vielfältige und manchmal auch provokante Statements von zwölf Zeichnerinnen, die sich mit der inneren und äußeren Freiheit auseinandersetzen. Der weibliche Blick hängt sich dabei am Alltag auf, geht nicht so in die Tiefe wie etwa Liv Strömquist in ihren Comics. Man hätte sich zudem gewünscht, dass sich die Perspektiven eindeutiger zu queeren Lebensweisen öffnen, aber vielleicht braucht es dafür auch einen eigenen Band.

Den Buchtitel ziert eine Zeichnung, die sowohl an die Friedenstaube als auch an einen Schmetterling erinnert. Entscheidend ist hier aber nicht die Gestalt, sondern ein Detail. Dieses Wesen hat Brustwarzen und zeigt sie selbstbewusst. In einer Zeit, in der männliche Nippel kein Problem darstellen, weibliche aber Zensur auslösen, ist diese Zeichnung der Berliner Künstlerin Romy Blümel ein kleines Meisterwerk, dass je nach Lesart als ironischer oder wütender Kommentar auf die patriarchale Wirklichkeit der Sozialen Medien gelesen werden kann.


Was es heißt, frei zu sein, ist nicht nur eine konkrete, sondern auch eine philosophische Frage. Da die Philosophie männlich geprägt ist, steht auch der philosophische Blick auf die Freiheit unter patriarchalem Verdacht. Dieser kluge Essayband aus dem mairisch verlag (240 Seiten. 22,- Euro) wirft den Blick auf 20 »herausragende Frauen der Philosophiegeschichte«. Denkerinnen wie Hypatia, George Eliot, Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir kennen noch die meisten, Denkerinnen wie Ban Zhao, Lalla, Mary Midgley oder Sophie Bosede Oluwole sind sicher wenigen bekannt. Die Perspektiven der hier versammelten »Philosophinnen« sind jedoch wichtig, um in einem globalen und offenen Sinn zu verstehen, was es heißt, ein freier Mensch zu sein.

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