Comic

Die 25 besten Comics aus dem Jahr 2016

21. MOONCOP

Tom Gauld. Drawn & Quarterly 2016. 96 Seiten. 19,95 $

Ein Polizist, dessen Aufklärungsrate bei 100 Prozent liegt, sollte glücklich und zufrieden sein, aber den Helden in Tom Gaulds leiser Geschichte umgibt eher die Aura eines Deprimierten. Kein Wunder, denn er gehört zu den letzten Bewohnern des Mondes, dessen Besiedlung rückabgewickelt wird. Und wo niemand mehr wohnt, gibt es auch keine Verbrechen, die eine Ermittlung erfordern würden, um sie aufzuklären. Es ist ein einsamer Dienst, den der namenlose Held leistet, in seinem Mondmobil gleitet er durch die leeren Mondlandschaften auf der Suche nach dem Nichts. Von Tag zu Tag wird er einsamer, da selbst der örtliche Coffee-Shop samt Bardame von einem vollautomatischen Minicafé ersetzt wird. Der neue Comic des britischen Zeichners ist ein Meisterwerk des Lakonischen. Die blau-graue Grafik, der minimalistische (wenngleich mit unzähligen Strichen herbeischraffierte) Stil, die Dialoge – alles ist hier reduziert und verstärkt die Einsamkeit der zur Schwermut neigenden Hauptfigur. Mooncop ist eine berührende Reflektion über die Einsamkeit und ein Requiem auf den isolierten Menschen in einer technisierten Zukunft. Wer wissen will, was es heißt, Mensch zu sein, muss diesen Comic lesen.


22. DARK KNIGHT – EINE WAHRE BATMAN-GESCHICHTE

Paul Dini (Szenario) & Eduardo Risso (Zeichnung). Panini Verlag 2016. 132 Seiten. 16,99 Euro

Schon als Kind gehörte Paul Dini zu denen, die wegen ihrer Unauffälligkeit in der Masse untergingen. Unsichtbar blieb der Batman-Autor später vor allem für Frauen. Nach einem gescheiterten Date wird er aber plötzlich sichtbar – zu seinem Nachteil ausgerechnet für zwei Typen, die ihn auf offener Straße derart verprügeln, dass von seinem Gesicht wenig übrigbleibt. Mit einem Bild des schwer verletzten Autors beginnt diese starke Geschichte einer Selbstheilung, in der Dini nicht nur seine Lebensgeschichte aufrollt, sondern zeigt, welch große Bedeutung die Batman-Charaktere für sein Leben haben. Joker, Poison Ivy, Pinguin, Mr. Freeze, Harkley Quin, Two Face und natürlich Batman selbst – sie alle treten in dieser autobiografischen Erzählung auf. Sie schlüpfen in die Rolle der Zweifel und Ängste, die den Autor in den dunkelsten Winkeln seiner Seele plagen. Indem sie sich über sein Selbstmitleid hermachen, wecken sie seine Widerstandskräfte. Paul Dini lässt die Leser dieser von Eduardo Risso gezeichneten Geschichte durch sein Innenleben spazieren, ohne sich dabei auch nur einen Moment zu schonen. Allein das verlangt höchste Anerkennung.


23. THE DIVINE

Asaf Hanuka (Zeichnung), Tomer Hanuka (Zeichnung), Boaz Lavie (Szenario). Cross Cult Verlag 2016. 160 Seiten. 28,00 Euro

Die beiden amerikanischen Elitesoldaten Mark und Jason erhalten das lukrative Angebot, in dem fiktiven südostasiatischen Bürgerkriegsstaat Quanlom einer Eliteeinheit zu dienen. Beiden kommt das Geld gelegen, doch in Indochina angekommen erweist sich die Geheimoperation als Höllentrip. Mark gerät in die Hände einer unheimlichen Kinderarmee, die nicht nur mit dem Sprengstoffgürtel umzugehen weiß, sondern auch noch die magischen Kräfte der lokalen Geisterwelt auf ihrer Seite hat. Die Situation gerät außer Kontrolle, während Marks schwangere Freundin ihren Mann auf einem Routineeinsatz in Vietnam wähnt. The Divine ist ein fantastischer Albtraum in grellen Farben, in dem die Macher Hergés Abenteuer in fernen Welten mit den actiongeladenen Superheldencomics amerikanischer Tradition an einem Ort zusammenführen, wo die Götter- und Sagenwelt der Khmer über die Wirklichkeit regiert. Der von harten Kontrasten und rätselhaften Bildern geprägte Stil des israelischen Zeichners Asaf Hanuka, dessen surreale Alltags-One-Pager (Der Realist) in diesem Jahr mit dem Eisner Award ausgezeichnet wurden, ist unverkennbar.


24. SPRING #13 – THE ELEPHANT IN THE ROOM

SPRING-Kollektiv & Gästen. mairisch verlag 2016. 250 Seiten. 20,00 Euro.

Für die dreizehnte Ausgabe von Deutschlands bester Comic-Anthologie haben sich acht Zeichnerinnen des SPRING-Kollektivs (u.a. Ulli Lust, Barbara Yelin, Stephanie Wunderlich) ins indische Bangalore begeben. Dort haben sie mit acht indischen Illustratorinnen Geschichten gezeichnet, in denen sie vom Leben als Frau, von Selbstzweifeln und Konflikten, Liebe und Gewalt erzählen. Auffällig dabei ist, dass sie sich über Herkunftsgrenzen hinweg energisch an ihren Eltern und Großeltern reiben, sei es, weil diese als emanzipierte Vorbilder wirkten oder weil sie die Selbstbehauptung ihrer Töchter und Enkelinnen irgendwann unterliefen. Die Geschichten sind voller Geständnisse und Bekenntnisse, aber auch voller Selbstironie und Lust am stilistischen Experiment. Etwa wenn Ludmilla Bartsch lustige Frauenfrüchte auftreten lässt oder Nina-Pageleis Vagina-Tempel zeichnet. In den Geschichten geht es mehr oder weniger subtil immer um die weibliche Selbstbestimmung und ihre permanente Bedrohung durch (meist) männliche Gewalt. Eindrucksvoller, vielfältiger und wehrhafter als in dieser Ausgabe kann man den oft mit dem Etikett des Feminismus versehenen Kampf um die eigene Identität nicht umsetzen.


25. COWBOY HENK

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Von Kamagurka (Szenario, Zeichnung)/Herr Seele (Szenario, Zeichnung). Edition Moderne 2016. 122 Seiten. 29,00 Euro.  

Seit 1981 zeichnet der Illustrator Peter van Heirseele aka Herr Seele gemeinsam mit dem Cartoonisten Luk Zeebroek alias Kamagurka an der surreal-dadaistischen Superhelden-Persiflage Cowboy Henk, die vor zwei Jahren auf Europas wichtigstem Comicfestival in Angoulême als Kulturerbstück ausgezeichnet wurde. Anlässlich des Gastauftrittes von Flandern und der Niederlande ist nun eine Auswahl der in verschiedenen Magazinen erschienenen Strips erschienen. Der titelgebende Held ist ein Muskelprotz mit blonder Tolle, der der Idiotie der Welt mit Leichtigkeit und Wahnwitz den Kampf ansagt. Mit viel schwarzem Humor werden politische und gesellschaftliche Tabuthemen mit den Alltagsängsten des queeren Henk vermischt, um diese dann wiederum mit einer gewaltigen Prise an Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll zu würzen. In den die Episoden eröffnenden Vignetten wird der franko-belgische Stil aufgebrochen. In diesen Starschnitten findet ein begeisternder Mash-Up von Bauhaus, Jugendstil, klassischer Moderne, naiver Malerei und Pop-Art statt, der jeder einzelnen Story ihre Prägung gibt – eine Verneigung vor den schönen Künsten.


Dieser Beitrag erschien bereits Mitte Dezember in umgekehrter Reihenfolge auf den Webseiten des Rolling Stone Magazins erschienen.

9 Kommentare

  1. […] um das Ganze zu fassen zu kriegen. Seine Trilogie schließt an die Krise des Peronismus an, die Héctor German Oesterheld in seinem allegorischen SciFi-Comicklassiker »Eternauta« mit überwältigender Bildgewalt verarbeitet […]

  2. […] des in Neukölln lebenden Cartoonisten. Mit seinen Strips trat er bei der ZITTY die Nachfolge von Fil und dessen legendärer »Didi und Stulle«-Serie an und konnte die Lücke füllen. Inzwischen zeichnet er für den tip, aber auch für Stern, […]

  3. […] Die Vielfalt dessen, was Freiheit ist, fängt auch die neue Ausgabe des Spring-Kollektivs ein. In diesem versammeln sich Autorinnen, Comiczeichnerinnen und Illustratorinnen, die sich immer wieder einzelne Phänomene des Alltags herausgreifen und diese Jahr für Jahr bebildern. Die letzten Ausgaben beschäftigten sich mit Gespenstern, Sex, Arbeit, Zukunft und dem oft zitierten »Elephant in the Room«. […]

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