Der Berliner Zeichner Hannes Richert führt in seinem zweiten Sammelband »Die Party ist vorbei« die Absurdität des Alltags vor Augen.
Man stelle sich vor, ein Chirurg kommentiert den gebrochenen Fuss mit dem Satz, »Sie haben Glück, im Mittelalter wären Sie jetzt richtig erledigt.« Bei einem solchen Mediziner würde man wohl am liebsten von der Liege aufspringen, aber mit einem gebrochenen Bein springt sich’s schlecht.
In seinen meist einseitigen Strips geht der Berliner Cartoonist Hannes Richert solchen Situationen nach und schaut, was sich daraus entwickeln könnte, wenn man den Gedanken ernsthaft verfolgt. Den Arzt lässt er darüber philosophieren, dass man mit so einem krummen Bein vor ein paar hundert Jahren keinerlei Nutzen mehr für Familie und Gesellschaft gehabt und damit ein Dasein als Taugenichts gefristet hätte. Erst dann wendet er sich dem gebrochenen Bein zu. Das ist natürlich höchst absurd, aber genau deswegen auch ungemein komisch. Als ironische Koda wird im letzten Bild mit dem fiesen Jucken des Gipsbeins dem mittelalterlichen Schicksalsschlag das süße Elend der Gegenwart gegenüber gestellt.
Alltagssituation, der Dreh ins Absurde und ironische Wendung – so funktionieren viele der Strips des in Neukölln lebenden Cartoonisten. Mit seinen Strips trat er bei der ZITTY die Nachfolge von Fil und dessen legendärer »Didi und Stulle«-Serie an und konnte die Lücke füllen. Inzwischen zeichnet er für den tip, aber auch für Stern, Titanic, taz und andere. So ist er selbst Kult geworden. Seinem ersten Sammelband mit »Comics für den gehobenen Pöbel« (2015) folgt nun der zweite. »Die Party ist vorbei« steht groß auf dem Cover, darunter eine Art Neuköllner Stilleben: Brathahn mit Pommes und verwelkter Rose.
Der Titel greift ein Gefühl auf. Rechtsruck, Klimawandel, Coronakrise – die Party scheint vorbei. Aber keine Angst, der Band versammelt nicht moralinsaure politische Kommentare, sondern ulkige Grotesken des Alltags. Klar, es tauchen auch Coronaschwurbler auf und manche Figur trägt Gesichtsmaske, aber das ist eher der Zeit des Entstehens als einer politischen Haltung geschuldet. »Die Party ist vorbei« wird die Idiotie des (Berliner) Alltags vorgeführt, in Situationen, die jede:r kennt.
Seine einfach gezeichneten Figuren nehmen überzogene Sprachkritik ebenso hops wie den Berliner Mietmarkt, machen sich über die proletarische Verbrüderung an der Dönerbude genauso lustig wie über die antiautoritäre Waldorf-Erziehung des gehobenen Großstadtpöbels. Es geht um Männerbünde und Frauensolidarität, um Schlafzimmergeschichten und Street Life, um Co-Working-Spaces und bodentiefe Fenster. Fragen der Alltagspolitik – Umweltschutz, öffentliche Ordnung, Gleichberechtigung – stehen zwar nie im Zentrum, aber ohne sie kommt die Wirklichkeit nicht aus.
Das funktioniert auch als One-Shot-Cartoon. Etwa wenn ein Mann seiner Frau an einem müllübersäten Strand »Komm rein Schatz, die Plastiktüten hier sind fantastisch« zuruft oder sie ihn mit den Worten »Lass mal ins Laute gehen, ich hab Lust, dich anzuschreien« in die Disko locken will. Böse wird’s, wenn ein Gast dem Kellner seinen halbvollen Teller mit dem Kommentar »Der Rest ist für Sie« entgegenschiebt.
Die Party mag vorbei sein, aber dieser Band ist ein Fest. Der Witz dieser Bildgeschichten entsteht im assoziativen Anschluss an die Wirklichkeit. Mit schwarzem Humor und ulkiger Leichtigkeit verarbeitet Richert Alltagsbeobachtungen und Weltwissen. Er durchdringt gewitzt die Gegenwart und extrahiert den Kern des allzu oft absurden menschlichen Daseins. Genial!