Ziggie Stardust alias David Bowie war eine Lichtgestalt der Popkultur der frühen 70er Jahre – auch für Comiczeichner Reinhard Kleist. Nun erscheint der visuell spektakuläre erste Band seines zweiteilig geplanten Bowie-Comics.
»Sag Du doch auch ein Mal in deinem Leben etwas dazu!«, mault Peggy Jones ihren Mann Haywood an, als ihr Sohn Terry wieder einmal zu spät nach Hause kommt. »Der Junge ist alt genug«, so der genervte Kommentar von Mr. Jones, dessen Sohn David Roberts eine der größten Popikonen des 20. Jahrhunderts werden sollte. In diesem grandios schillernden, stilistisch vielfältigen und den ganzen popkuturellen Wahnsinn der Zeit einfangenden Werk von Reinhard Kleist wird es der einzige bleiben. Wenngleich darüber noch zu reden sein wird.
Kleist ist, und da greift man nicht zu weit, nicht nur einer der besten deutschen Comiczeichner, dessen Künste auch international Aufsehen erregen, sondern auch ein Meister der grafischen Musiker-Biografie. Vor seiner auf zwei Bände angelegten Bowie-Verneigung hat er mit »Nick Cave« und »Cash – I see a Darkness« bereits meisterhafte Comic-Biografien zweier Musiker vorgelegt. Im Vergleich zu diesen fällt an »Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years« auf, dass Kleist erstmals in die Farbpalette greift, und zwar mächtig. Im Berliner Tagesspiegel sagte Kleist, dass ihm von Anfang an dieser Arbeit klar gewesen sei, dass er bei den Farben Unterstützung brauchte. »Mein Farbgefühl ist eher gedeckt und zurückhaltend, aber wir brauchten jemand, der den Geist der 60er und 70er Jahre trifft.« Dieser jemand ist der Berliner Grafiker und Illustrator Thomas Gilke, über dessen vielfältiges Engagement in der Szene man sich auf seinem Blog einen Überblick verschaffen kann.
Aber zurück zu »Starman« und dem Geist der 70er Jahre. Die von Alkohol, Kokain und LSD geschwängerte Atmosphäre dieser Zeit vermittelt der Comic in grandios poppigen Zeichnungen. Dabei findet Kleist den perfekten Rhythmus, seiner opulenten Grafik die Erzählung zu überlassen, ohne sie darin zu ertränken. Denn Kleist erzählt mehr als den ebenso faszinierenden wie blendenden Wahnsinn der Ziggy-Stardust-Jahre. In nüchternen Sepia-Tönen widmet er sich in Rückblicken der Kindheit und Jugend von David Roberts Jones, der in einfachen Verhältnissen aufwächst und in seinem Halbbruder Terry einen Seelenverwandten hat. Während dessen Begeisterung für Party, Musik und Exzess allerdings in der Psychiatrie endet, verläuft Davids Weg positiver.
Sie beginnt mit einem kleinen Jungen auf dem Bett, das Ohr am Radio, aus dem die Zukunft zu ihm dringt. »Du warst der Junge vor dem Radio und der Rockmessias Ziggy in einer Person«, heißt es später, als der Aufstieg des Ziggy seinen Lauf nimmt. Einer, der nicht ohne Rückschläge blieb, aber dennoch für viele richtungsweisend war. »Anfangs waren es nur wenige, die verstanden, was der Freak mit den feuerroten Haaren Ihnen offenbarte. Für sie hast du deine Lieder gesungen«, wird der anonyme Erzähler später sagen.
Diese beiden Bilder, hier der kleine Junge mit dem Kopf voller Träume, dort der extrovertierte Rockstar, geben dem Comic seinen Rhythmus und prägen in weiten Teilen seine Stilistik zwischen Sepia und Pop-Art. Sie werden ergänzt von einem dritten Bild, dem des Major Tom, der die Tür aufstößt, das Space-Shuttle verlässt, nach den Sternen greift und selbst einer wird. Die an den Song »Space Oddity« angelehnte Szene schiebt die Erzählung nicht nur in eine entscheidende Richtung, sondern fügt der Farbpalette in kühlen Blautönen noch eine weitere Ebene hinzu.
Nicolas Roeg zeichnete Ziggy Stardust alias David Bowie in seinem großartigen Film als »Mann, der vom Himmel fiel«. Auch dieses Bild greift Kleist in seinem Comic auf, indem er Ziggy Stardust als messianische Figur zeichnet, die von Outer Space kommt und der Welt »die Botschaft der Rettung der Menschheit« bringt. Dass die ersten Seiten des Comics in der raueren Pulp-Optik der frühen »Flash Gordon«-Comics von Alex Raymond gezeichnet sind, zeigt, wie sehr den jungen Bowie die apokalyptische Nachkriegswelt geprägt hat.
Der Berliner Zeichner, der neben Portäts von Fidel Castro und dem jüdischen Boxer Hertzko Haft auch Berliner Mythen – und dort übrigens auch schon David Bowie – ins Bild gesetzt hat, erzählt die Ziggie-Stardust-Jahre anhand zahlreicher Anekdoten, denen man seine Bewunderung, aber auch seine Kenntnis anmerkt. Musikalische Begleiter wie Lou Reed und Iggy Pop erhalten einen Auftritt, eine große Rolle nimmt sein Manager Tony Defries ein, der Bowie zum Durchbruch verhalf. Aber keine Sorge, es braucht kein großes Hintergrundwissen, um mit dieser Geschichte Schritt zu halten. Sowohl Bowie-Neulinge als auch Bowie-Fans werden mit diesem gut erzählten und visuell spektakulären Comic ihren Spaß haben. Im Kern zeichnet Kleist nach, wie Produzenten und Manager:innen aus der (gender)offenen und extrovertierten Persönlichkeit des Briten mit spektakulärer Garderobe, viel Schminke und Licht die auch in den USA erfolgreiche Kunstfigur Ziggy Stardust gemacht haben.
»David Jones verpuppte sich und heraus kam der obszön schillernde Schmetterling Ziggy. Ziggy, die Rettung aus dem Dunkel für alle, die vor der Bühne auf dich warteten. Ziggy, der sie von ihren Sorgen befreit, nur für die Spanne eines Konzerts oder so lange, wie eine Schallplattenseite dauert. Ziggy, der dich ganz nach oben tragen sollte«, heißt es im Comic.
Aber keine Sorge, Kleist idealisiert die Verhältnisse nicht, sondern zeigt auch die Exzesse und Abgründe der künstlichen Welt, in der sich Bowie bewegte. Drogen, Sex und Geld führten zu Abstürzen, Lügen und Intrigen – irgendeines dieser Phänomene begleitet Bowie fast immer. Kleist lässt auch die Skandale nicht aus, von den umstrittenen Anspielungen an die NS-Ideologie bis hin zu den Groupie-Eskapaden, die die Ehe mit Angela immer wieder auf harte Proben stellten, ist alles enthalten. Kurzum: Bowies egozentrische Persönlichkeit mit all ihrem Geltungsbedürfnis war für diejenigen, die ihn umgaben, auch immer wieder eine Zumutung.
Die Begeisterung, die Ziggy Stardust weltweit auslöst, fällt bei Bowie selbst auf fruchtbaren Boden. Je heller der Stern am Pophimmel leuchtet, desto mehr steigert sich der Popstar in seine Kunstfigur hinein. Seine eigene Persönlichkeit droht an dessen Seite unterzugehen, die Leute sahen nur noch Ziggy, David Bowie drohte zu verschwinden. In einer grandiosen Spiegelszene lässt Kleist die Popikone mit seinem Alter Ego in ein folgenschweres Duell treten.
Spannend ist die Perspektive, aus der Kleist sein Bowie-Epos erzählt. Die anonyme und allwissende Erzählstimme sei weder Bowie noch er selbst, hat Kleist dem Tagesspiegel verraten. Zugleich muss es jemand sein, der nah an Bowie dran war. Vielleicht der Vater, der hier nun endlich mal etwas zu all dem sagt? Oder doch eher der Kosmonaut, der immer wieder von oben die Dinge beobachtet? Diese Frage bleibt offen und soll im zweiten Band beantwortet werden. Wann der erscheint, ist noch unklar, worum es geht, steht aber schon fest, wird im Verlagsinterview mit Kleist deutlich. »Es wird um von der Zeit nach Ziggy Stardust handeln, in der Bowie in die USA ging und sich dort in einem fortdauernden Kokainexzess fast selbst ausgelöscht hätte. Und dann wird es um seine Zeit in Berlin gehen, die so etwas wie eine Reinigung für ihn war und rückblickend von ihm als seine glücklichste Zeit bezeichnet wurde.«
»Starman« ist auch etwas für Freunde des Buchdrucks. Die kräftigen Farben bei den Konzertauftritten von Ziggy Stardust knallen aus den Seiten heraus, dieser Mann aus den Sternen leuchtet hier im wahrsten Sinne des Wortes in aller Pracht. Sammler werden zudem begrüßen, dass Covergestaltung, Format und Farbwahl zum »Nick Cave«-Band passen und sich hier möglicherweise eine Reihe ankündigt. 2023 steht der 20. Todestag von Johnny Cash an, eine Neuauflage seines mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten Comics in diesem Format wäre vielleicht keine schlechte Idee.
Kleist gelingt es auf großartige Weise, das Leben von Privatperson und Kunstfigur nebeneinander zu erzählen. Dabei verwebt er Sein mit Kunst und Leben mit Musik. Er nimmt – wie Bowie letztlich selbst – den Titel des Albums »The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars« wörtlich und erzählt »David Bowies Ziggy Stardust Years« als Aufstieg und (selbstgewähltem) Fall einer Ikone. Die Songtexte bilden dabei – meist nur im Anschnitt – Spiegelflächen für das, was Bowie erlebte. Kleist gelingt es, die heute vielsagenden, damals rätselhaften Texte grafisch großartig umzusetzen. So illustriert er Dinge, die den Zeugen dieser Szenen verborgen bleiben mussten.
Fulminant muss man es nennen, wie Kleist in seinem Comic die avantgardistische Inszenierung von Ziggy Stardust aufs Papier bringt. Dazu hat er einige ikonische Aufnahmen Bowies gemeinsam mit Thomas Gilke in grellen, exzentrischen Bildern umgesetzt. Auch für den Zeichner ein Vergnügen, wie er mit Blick auf seine Quellen deutlich macht: »Gerade die wunderbaren Kostümdesigns von Yamamoto, aber auch die von Freddie Burretti, waren ein riesiger Spaß zu zeichnen. Beim Recherchieren fand ich immer mehr Fotos von den Kostümen und auch Filmaufnahmen über deren Einsatz. Der Film über das letzte Konzert der Spiders von D.A. Pennebaker war eine sehr wichtige Quelle. Er zeigte wie genial die Designs der Kostüme waren und wie Bowie sie auf der Bühne einsetzte, um gewisse Effekte zu erzielen. Das wollte ich versuchen, in den Bildern rüberzubringen und nachzuerzählen.«
Versuchen ist viel zu bescheiden. Man könnte aus diesem Album locker mehr als ein Dutzend Bilder ausschneiden und als Plakate an die Wand hängen. Sie zeigen einen Propheten aus Licht und Schminke, der für viele eine ferne Hoffnung darstellte. Eine Hoffnung darauf, dass ein anderes Leben möglich ist. Der Kunstfigur Ziggy Stardust hat Bowie selbst ein Ende gemacht, seine Mission als Botschafter einer offeneren, hoffnungsvolleren und – ohne dass es das Wort schon gegeben hätte – queereren Welt weitergelebt.