Literatur, Roman

Drei Schwestern im Trauerkreis

Miku Sophie Kühmel erzählt in ihrem neuen Roman »Triskele« von drei ungleichen Schwestern, die der Freitod ihrer Mutter zueinander führt. Dabei führt sie gekonnt die Ostperspektiven von drei Generationen zusammen.

Wer Miku Sophie Kühmel in diesem Sommer treffen will, braucht gutes Timing. Ich habe es nicht, denn als ich mich mit ihr in Berlin verabreden will, ist sie auf dem Sprung ins Schleswig-Holsteinische Künstlerhaus Eckernförde. Vor und nach ihrer Lesereise ist sie ein paar Wochen direkt an der Ostsee. »Es gibt schlimmere Wege, einen Sommer zu verbringen«, sagt sie augenzwinkernd, als wir uns Mitte Juli vor unseren Monitoren für ein taz-Interview treffen.

Sie wirkte locker und entspannt in diesem Moment, ein Monat, bevor ihr zweiter Roman »Triskele« erschien. Der tritt kein leichtes Erbe an, denn das literarische Debüt der 30-Jährigen war eines der erfolgreichsten der letzten Jahre. »Kintsugi« handelt von einem lebensverändernden Wochenende in der Uckermark und erzählt aus den Perspektiven von vier Personen, wie sich immer mehr Risse in den Beziehungen auftun. Dabei lieh sie sich den Titel von einer traditionellen japanischen Technik, um gebrochenes Porzellan zu reparieren, wobei in die Klebmasse Pulvergold gerührt wird, so dass die Risse zur Veredelung des beschädigten Gegenstandes beitragen. Auch in ihrem Roman müssen – wie in allen Beziehungen – Brüche geheilt und Risse geschlossen werden und aus dem Kaputten Neues entstehen. Für die umwerfende literarische Umsetzung dieser Parallelführung erhielt sie unter anderem den aspekte-Literaturpreis und landete mit dem Roman auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Miku Sophie Kühmel: Kintsugi, S. Fischer 2019. 304 Seiten. 21 Euro. Hier bestellen.

Gewonnen hatte 2019 schließlich Saša Stanišić mit seinem Roman »Herkunft«, vorher wurde die Shortlist kontrovers diskutiert. Auch Kühmels Titel, der neben begeisterten Kritiken auch deftige Verrisse auslöste. Kein Wunder, dass Kühmel findet, dass es nicht immer ein Geschenk sei, mit einem Debüt bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis vorzudringen. Damals hätten sich gewisse Dynamiken ineinander verschränkt. »Wenn das Debüt einer völlig unbekannten Autorin gleich zwei Preise abräumt und dann auch noch auf die Shortlist vom Deutschen Buchpreis kommt, dann ist da einfach viel Aufmerksamkeit. Einerseits war das natürlich eine gute Werbung für das Buch ist, andererseits wuchs in mir die Befürchtung, dass über das Buch hinweg gebügelt wird. Dabei war es eher ein leises Buch, das den richtigen Moment und die richtigen Leute brauchte, um zu wirken.«

Ihr neuer Roman »Triskele« kommt auch eher auf leisen Sohlen daher. Er erzählt von drei Schwestern, die ihre Mutter verloren haben, und wie sie die Lücke, die die Mutter hinterlassen hat, füllen. »Bei Müttern ist Suizid ein großes Tabu. Da heißt es oft: Wie kann man nur?“ und Die Verantwortung! Das wollte ich mir genauer anschauen. Was passiert da? Und wie arbeiten sich die Figuren daran ab? Darüber wollte ich nachdenken«, erklärt Kühmel.

Fragen sind oft Ausgangspunkt ihres Schreibens, führt sie im Gespräch aus. »Bei »Kintsugi« wollte ich wissen, was man weitermacht, wenn etwas kaputtgeht, von dem man nie dachte, dass es überhaupt kaputtgehen könnte. Und bei »Triskele« habe ich mich gefragt, wie man den Tod anderer überlebt und damit umgeht, auf bestimmte Fragen keine Antworten mehr zu bekommen.«

Der Romantitel verweist auf ein keltisches Symbol, bei dem drei Spiralen über ein Zentrum miteinander verbunden sind. Hier symbolisiert es die Schwestern Mercedes, Mira und Matea. Über ihre Mutter Mone sind sie miteinander verbunden. Da aber jeweils 16 Jahre zwischen ihnen liegen, stecken die drei Schwestern in sehr unterschiedlichen Existenzen und drehen sich im Alltag wie Spiralen um sich selbst. Erst Mones Freitod konfrontiert sie mit der Frage, was sie eigentlich verbindet.

Miku Sophie Kühmel: Triskele, S. Fischer 2022. 272 Seiten. 23 Euro. Hier bestellen.

Der Roman pendelt zwischen Berlin und der ostdeutschen Provinz – kein Zufall, wie Kühmel erklärt. Sie wollte über ostdeutsche Frauen schreiben. 1992 in Gotha geboren, gehört sie zu den Ost-Millenials, in der DDR hat sie nie gelebt. Insofern ist lässt Anliegen zumindest aufhorchen. Warum ist es einer Autorin, die die DDR nie erlebt hat, so wichtig, über Aspekte der Ost-Sozialisation zu schreiben?

»Ich bin zwar ein Nachwende-Kind, aber der Nachwende-Osten war ja nicht die BRD. Gotha ist einfach nicht wie Eckernförde«, erklärt Kühmel. Aber es sei schon spannend, was von außen in einen reingelesen wird, lässt sie blicken. In Berlin werde sie schnell schnell über ihre Ost-Biografie gelesen, vor allem von älteren Leuten aus Westdeutschland. Das sei in den neuen Bundesländern anders. »Im Osten werde ich als Person ohne DDR-Erfahrungen wahrgenommen. Dabei bin ich an den Kaffeetafeln ja nicht um das Thema drumherum gekommen. Immer wieder wurde ich mit der verschwundenen Gesellschaft konfrontiert und damit, was die Wende mit den Leuten gemacht hat.« Aufgrund dieser Erfahrung habe ihre Generation, zu der auch Autor:innen wie Paula Fürstenberg, Olivia Wenzel oder Lukas Rietschel zählen, spannende Einsichten zu bieten.

In allen drei Schwestern finden sich autobiografische Elemente. Mit der 48-jährigen Mercedes teilt Kühmel die Skepsis gegenüber traditionellen Familienmodellen, mit Mira teilt sie die Generation und mit Matea das Schicksal, die Jüngste von drei Geschwistern zu sein. Im Wechsel lässt die Wahlberlinerin die Schwestern jeweils drei Mal zu Wort kommen und aus der Ich-Perspektive berichten. So bildet der Roman formal die ausbalancierte Struktur seines Titels nach. Die Schwestern wandeln zwischen Erinnerung und Gegenwartsbewältigung und kommen sich in Gesprächen über beruflichen Erwartungsdruck und Selbstbestimmung, Karriere und Familienplanung, Masturbation und Menstruation näher, als ihnen manchmal lieb ist.

Ist ein Roman, der weibliche Normalität abbildet, automatisch ein feministischer Roman? »Ich finde ja alles, was nicht feministisch ist, schade«, entgegnet sie schelmisch. Zugleich zögert sie, weil engagierte deutsche Literatur einen schlechten Ruf hat. »Aber wenn ich ehrlich bin, gibt es nichts, was ich mache, das nicht feministisch ist. Das steht für mich außer Frage. Hier natürlich noch einmal besonders, weil es viel um den weiblichen Körper geht. Denn wenn ich über Frauen schreibe, will ich auch über weibliche Körper schreiben. Und wenn ich über weibliche Körper schreibe, dann auch über Scheidenpilz, Endometriose und Sachen, die eklig sind, die weh tun und nicht leicht auszuhalten sind. Deshalb musste die Herangehensweise auch eine andere sein als beim ersten Roman. Ich wollte offen und humorvoll mit solchen Tabus umgehen und zugleich eine eigene Poesie finden.«

Miku Sophie Kühmels Texte sind keine provokanten Thesenromane, sondern spannende Suchbewegungen. In »Kintsugi« ging es um den Schmerz, in »Triskele« steht die Heilung im Vordergrund. Auch hier gibt es leise, melancholische und berührende Momente, aber der poetische Text lebt von einer überschwänglich-pragmatischen Ironie, in der sich die drei Schwestern aller existenziellen Fragen zum Trotz wiederfinden.

Eine kürzere Fassung dieses Textes ist im tipBerlin erschienen.