Literatur, Zeitgeist

Friedenspreisträgerin verurteilt

Tsitsi Dangarembga ist in ihrem Heimatland Simbabwe zu einer Geld- und Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil sie friedlich für Reformen, eine freie Presse und »ein besseres Simbabwe für alle« protestiert hatte. In Deutschland ist unterdessen der noch fehlende zweite Teil ihrer Trilogie erschienen.

Kafka hätte das nicht besser schreiben können. Die aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Tsitsi Dangarembga ist gemeinsam mit der Mitangeklagten Journalistin Julie Barnes vom Antikorruptionsgerichtshof in Simbabwes Hauptstadt Harare wegen einem angeblichen öffentlichen Aufruf zu Gewalt zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und 70.000 simbabwischen Dollar (ca. 200 Euro) verurteilt worden.

Die beiden Frauen hatten sich am 31. Juli 200 an einer friedlichen Demonstration beteiligt. Fotos zeigen die beiden Frauen mit Schildern, auf denen »We Want Better Reform Our Institutions« und »#Free Our Journalists We Want A Better Zimbabwe For All« steht. Dangarembga hatte noch ein zweites Schild, auf dem sie die Freilassung von Journalist:innen und Bürger:innen, die zu Protesten aufriefen.

Noch am selben Tag wurden beide festgenommen, kurz darauf auf Bewährung freigelassen und angeklagt. Vorgeworfen wurde ihnen die Teilnahme an einer Versammlung mit der Absicht, zu öffentlicher Gewalt, Landfriedensbruch und Bigotterie aufzurufen. Zudem sollen sie gegen die geltenden Coronamaßnahmen verstoßen haben. Seither zog sich der Prozess hin, insgesamt 32 Mal mussten die Frauen vor Gericht erscheinen. Nun sprach sie das Gericht in allen sechs Anklagepunkten schuldig.

Dangarembga, die mit dem deutschen Künstler Olaf Koschke verheiratet ist, und die mitangeklagte Journalistin Barnes zeigten bezeichnete das Urteil in einer gemeinsamen Erklärung als »Warnsignal« an alle Simbabwer:innen. »Diese Verurteilung könnte ein Präzedenzfall dafür sein, dass es einem Simbabwer – ja, einem Menschen in Simbabwe – nicht freisteht, zusammen mit einem anderen Bürger eine Straße entlangzugehen und friedliche Botschaften zu Themen zu verbreiten, die sie als in diesem Land lebende Menschen betreffen«, heißt es darin. »Uns Simbabwern wurde das Recht abgesprochen, unsere Meinung im öffentlichen Diskurs frei zu äußern«, so die beiden Frauen in ihrer Stellungnahme.

Das Urteil sei alles andere als milde, machen beide mit Bezug auf die Bewährung deutlich. Für fünf Jahre werden sie »zum Schweigen und zur Untätigkeit gezwungen, während Unterdrückung und Korruption zunehmen und die Qualität unseres Lebens, unsere Hoffnungen für das Leben unserer Kinder und das Vertrauen unserer Kinder in ihre Zukunft schwinden.« Zugleich fordern sie die Menschen in Simbabwe auf, »jederzeit friedlich für Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde in unserem Land einzutreten.«

Für Themen wie Diskriminierung, Rechtsstaatlichkeit und Korruption macht sich die 63-Jährige seit Jahrzehnten in ihren Büchern und Filmen stark. In ihren Büchern bildet sie in allen Nuancen ab, wie gesellschaftliche Verteilungskämpfe auf dem Rücken von Frauen ausgetragen werden. Damit wirft sie ein Schlaglicht auf die existenzielle Situation von Frauen.

Die vollständige Tambudzai-Trilogie von Tsitsi Dangaremba in der deutschen Übersetzung

Mariëtte Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale, bei der Dangarembga im Frühjahr noch in der Jury für die Vergabe der Goldenen und Silbernen Bären saß, machte deutlich, dass die Verurteilung »nicht nachvollziehbar« ist und forderte im Namen des Festivals Simbabwes Regierung dazu auf, das Urteil zurückzuziehen.

Die Schriftstellervereinigung PEN International, die die Autorin im vergangenen Jahr mit dem PEN International Award for Freedom of Expression ausgezeichnet hatte, sprach von einer »unfassbare Verhöhnung der Rechtsstaatlichkeit« und forderte die Aufhebung des Urteils. Auch der PEN Deutschland solidarisierte sich mit Dangarembga und Barnes und verurteilte den Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. »Das Urteil kam nicht überraschend, aber der gesamte Prozess mit Falschaussagen und gefälschten Beweisen und einem Antikorruptions-Gericht, das direkt dem Präsidenten untersteht, verstößt gegen alle Prinzipien einer unabhängigen Justiz«, erklärte Cornelia Zetsche, Vizepräsidentin und Writers in Prison Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums. Der deutsche PEN, PEN International, der Börsenverein und die Caritas sammeln weiterhin Spenden für Dangarembga auf betterplace.org.

Kathrin Friedrichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Dangarembga vor einem Jahr noch mit seinem wichtigsten Preis ausgezeichnet hat, bezeichnete das Urteil als »Farce« und stärkte den beiden verurteilten Frauen den Rücken. »Die Bewährungsstrafe verstärkt die Beschneidung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung, da ihnen im Falle eines erneuten Protestes dieser Art ein weiteres Gerichtsverfahren mit schärferem Urteil droht. Sollten die beiden in Berufung gehen, werden wir sie in allen Belangen unterstützen.«

Dangarembgas deutsche Verlegerin Anette Michael hatte schon zuvor mitgeteilt, dass der Prozess »allein der Verunsicherung dient und politisch motiviert ist, um das Recht auf die freie Meinungsäußerung, das auch in der Verfassung Simbabwes verankert ist, zu behindern.« Gegenüber der Deutschen Welle erklärte die Orlanda-Verlegerin nach dem Urteil, dass damit eine wichtige politische Stimme Simbabwes für fünf Jahre zum Schweigen gebracht werde. »Wir sind schockiert und bewundern den Mut von Tsitsi Dangarembga, sich diesen Strapazen auszusetzen.«

Den Werdegang und Zustand der simbabwischen Gesellschaft kann man in Dangarembgas Tambudzai-Trilogie gut nachvollziehen. Darin begleitet die Autorin ihre weibliche Heldin aus den 70er Jahren bis in die Gegenwart, beleuchtet Fragen von ethnischer und sozialer Herkunft, Rassismus und Sexismus, Bildungs- und Aufstiegschancen. Bislang lagen nur der von Ilija Trojanow übersetzte erste Band »Aufbrechen«, der Tambudzais Kindheit und ihre Erfahrungen in einer Missionsschule beschreibt, sowie der von Anette Grube übertragene dritte Band »Überleben« erschienen, in dem sie als junge Frau in Simbabwes Hauptstadt um ein würdiges Leben kämpft.

Tsitsi Dangarembga: Verleugnen. Aus dem Englischen von Anette Grube. Orlanda Verlag 2022. 306 Seiten. 24,00 Euro. Hier bestellen.

Nun liegt der zweite Band »Verleugnen« auf den Büchertischen, erneut wunderbar übersetzt von Anette Grube. Er schließt die Lücke und gibt Einblick darin, wie aus dem hoffnungsvollen Mädchen des Debüts die verbitterte Frau aus Teil drei werden konnte. Er zeigt, wie Tambu in ihrem zweiten Jahr am Young Ladies’ College of the Sacred Heart den kolonialen Rassimus am eigenen Leib erfährt, gegen die Systeme ankämpft, dabei ihre Herkunft verrät und ihr »Herz ruiniert«, wie es im dritten Band andeutungsweise hieß.

Das wird ihr auch auf den letzten Seiten des Romans bewusst, so dass Tambudzai als junge Frau erschrocken feststellt: »Ich hatte das Versprechen vergessen, das ich mir selbst und der Vorsehung gegeben hatte, als ich jung war, das Versprechen, nie das Gute, das Menschliche, das unhu meines Lebens zu vernachlässigen.« Sie wird sich zurückziehen und sich fragen »was für eine Zukunft es für mich, eine neue Simbabwerin, [in diesem Land] gab.«

Diese Frage stellt sich angesichts der Verurteilung nun auch für Tsitsi Dangarembga. Man kann nur hoffen, dass die Vervollständigung der Trilogie auch hierzulande genug Aufmerksamkeit schafft, um zivilgesellschaftlich und politisch Druck auf Simbabwes Regierung auszuüben, damit Dangarembga in Zukunft haben kann, was sie wünscht: ein Leben in Freiheit und Würde, in dem Meinungsfreiheit nicht nur behauptet, sondern auch möglich ist.