Gesellschaft, Sachbuch

Liebe dich selbst… und andere

© Thomas Hummitzsch

Über Sex redet man nicht, Sex hat man, hieß es früher im Volksmund. Inzwischen ist zum Glück beides möglich. Die Bücher von Christopher Ryan und Cacilda Jethá, von Deepa Paul und Susann Rehlein bieten nicht nur eine gute Gesprächsgrundlage, sondern haben das Potential, die Sexualität ihrer Leser:innen nachhaltig zu verändern.

Mit »Sex. Die wahre Geschichte« liegt die Bibel der Polyamoristen von Christopher Ryan und Cacilda Jethá drei Jahre nach Erscheinen der gebundenen Ausgabe nun als handliches Taschenbuch vor. Das in Barcelona lebende Autorenpaar gräbt tief in Anthropologie, Archäologie, Primatenforschung, Anatomie, Psychosexualität und Evolutionsbiologie, um die Vorstellung des monogamen Miteinanders als biederen patriarchalen Irrglauben zu dechiffrieren. Sie erforschen die Idee, die menschliche Sexualität könne eine gemeinsame Ressource sein, und lösen sie von Konstrukten wie Eifersucht, Bestrafung und Unterdrückung. Sex ist in ihren Augen eine kooperative Überlebensstrategie, die in erster Linie nicht an Exklusivität und Ausschließlichkeit geknüpft ist, sondern an Vergemeinschaftung und Miteinander.

Christopher Ryan, Cacilda Jethá: Sex. Die wahre Geschichte. Aus dem Englischen von Birgit Herden. Verlag Klett-Cotta 2025. 432 Seiten. 16,- Euro. Hier bestellen https://www.klett-cotta.de/produkt/sex-die-wahre-geschichte-9783608988703-t-8991#bibliographische
Christopher Ryan, Cacilda Jethá: Sex. Die wahre Geschichte. Aus dem Englischen von Birgit Herden. Verlag Klett-Cotta 2025. 432 Seiten. 16,- Euro. Hier bestellen.

Die Vorbehalte, auf sie dabei auf allen Ebenen stoßen, machen einen entspannten Umgang mit Sexualität nicht unbedingt leichter. Und hier kommen die Autor:innen zur politischen Dimension der Sexualität. Nicht-Monogamie sei gesellschaftlich suspekt, selbst bei gegenseitigem Einverständnis, schreiben Ryan und Jethá in der Übersetzung von Birgit Herden. Dabei müsste es das nicht, wie etwa die belgische Therapeutin Esther Perel ihnen gegenüber deutlich macht. »Nach meiner Erfahrung sind Paare, die die Begrenzungen ihrer Sexualität verhandeln … nicht weniger engagiert und gebunden als diejenigen, die die Tore fest verschlossen halten. Gerade weil sie ihre Beziehung stärken wollen, erkunden sie andere Modelle langfristiger Liebe.«

Eine, die genau das für sich tut, ist die in den Niederlanden lebende philippinische Autorin Deepa Paul. In »Wie es mir gefällt« schildert sie aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, das exklusive Begehren aufzugeben und sich auf ein offeneres Modell einzulassen. Ofen und zugewandt schildert sie, wie Sie ihre Ehe geöffnet und mit ihrem Mann darüber ins Gespräch gekommen ist. Ihre Bekenntnis liest sich wie ein Handbuch, dass sich an Fragen wie »Wie habt ihr angefangen, darüber zu reden?«, »Wie lauten die Regeln?« oder »Was sagt ihr Eurer Tochter?« entlang hangelt. In dem von Janine Malz und Christiane Burkhardt übersetzten Selbstgespräch geht es ums Kopfkino und das Abschleppen von Männern, um die Erforschung der eigenen Lust und das Respektieren anderer Grenzen, aber auch um die großen Gefühle von Liebe, Begehren und Leidenschaft, die sich auch bei zur Abwechslung geplanten One-Night-Stands einstellen können.

Deepa Paul: Wie es mir gefällt. Über Liebe und nicht-exklusives Begehren. Aus dem Englischen von Janine Malz und Christiane Burkhardt. hanserblau 2025. 400 Seiten. 22,- Euro. Hier bestellen https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/deepa-paul-wie-es-mir-gefaellt-9783446281059-t-5504
Deepa Paul: Wie es mir gefällt. Über Liebe und nicht-exklusives Begehren. Aus dem Englischen von Janine Malz und Christiane Burkhardt. hanserblau 2025. 400 Seiten. 22,- Euro. Hier bestellen.

»Wie es mir gefällt« ist der Bericht einer »unbeschwerten, sexy Frau, die im Leben und im Schlafzimmer von Männern Einzug hielt, um gleich darauf wieder zu verschwinden, getragen von ihrer ganz eigenen Welle aus Energie und Anziehungskraft«, wie Paul in ihrem Buch schreibt. Das Buch bietet Einblick in das Entstehen und Halten einer nicht-monogamen Ehe mit Mann, Kind und Liebhaber, in der alle Beteiligten unterschiedlichen Gefühle und Bedürfnisse haben. Dass das nicht immer nur das reine Vergnügen ist, verheimlicht die Autorin nicht. Im Gegenteil, sie macht den organisatorischen, kommunikativen und emotionalen Aufwand, den alle Beteiligten betreiben müssen, immer wieder transparent. Das ist oft kompliziert, manchmal auch eine Zumutung für alle Beteiligten, so dass man sich zuweilen fragt, warum sie sich das antut. So, wie sie jetzt lebt, fühle sie sich einfach mehr wie sie selbst, beantwortet Paul diese Frage am Ende ihres Buches. »Ich habe hart gearbeitet, um zu verstehen, inwiefern ich anders bin als andere, und akzeptiere das. Jetzt, wo ich es kann, liebe ich es an mir.«

Erfrischend spielerisch, aber nicht weniger praktisch ist die sexuelle Späterziehung von Dr. Susann Rehlein. »Ab ins Bett!« lautet ihre explizite Aufforderung an alle Fortgeschrittenen und Davongelaufenen – und ihr Büchlein nimmt man am besten mit in die Kiste. In kurzen Essays zeigt sie wie schon in ihrer »Versauten Hausapotheke« Strategien, Techniken und Praktiken auf, mit denen jede:r zu »Superdupersex« finden kann. Sie schreibt über Fantasien und Vorspiel, Handjobs und Massagen, Selbstbefriedigung, Toys und die Etikette im Bett. Das ist ebenso unterhaltsam wie lehrreich; und was man schon ahnt, bekommt man hier nochmal verständlich erklärt. Rehlein räumt mit Missverständnissen auf und lässt Tabus tabu sein, verspielt kinky ist nicht nur ihr Anliegen, sondern auch ihr Duktus. Ihr Buch geht über die Bettkante hinaus, Leitsätze wie »Mach Dein verdammtes Herz auf« oder »Lassen wir uns nicht gegeneinander ausspielen« gelten für guten Sex wie für den Alltag.

Susann Rehlein: Ab ins Bett! Sexuelle Späterziehung. Verlag Voland & Quist 2025.264 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen https://www.voland-quist.de/werke/ab-ins-bett/
Susann Rehlein: Ab ins Bett! Sexuelle Späterziehung. Verlag Voland & Quist 2025.264 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen.

Der Verweis auf die sexuelle Späterziehung im Untertitel könnte suggerieren, dass dieses Buch für alle ist, die etwas nachzuholen haben. Nun, wer sich deshalb angesprochen fühlt, wird mit dem Buch nicht weniger anzufangen wissen als alle anderen. Es geht Rehlein aber nicht ums Nachsitzen, sondern darum, sich bewusst mit ein paar Dingen auseinanderzusetzen, die einem niemand beibringt.

»In Studien«, schreibt Rehlein in ihrem Vorwort »wurde bei Männern und Frauen mit niedriger sexueller Aktivität eine deutlich erhöhte Sterblichkeit festgestellt. Wir sollten also tunlichst unseren Sex und unsere Sinnlichkeit ausleben.« Dass viele das irgendwann bleiben lassen, habe mit Dynamiken monogamer Beziehungen zu tun – und sicher auch damit, dass Sex durch eine rigide oder nicht vorhandene Sexualerziehung und durch Trauma und ungute Gewohnheiten verschattet ist. Rehlein bringt mit Leichtigkeit und Augenzwinkern Licht in dieses Dunkel und macht dem verdrucksten Schweigen ein Ende. Sex soll einfach »nur, nur, nur Spaß machen und uns beleben«, schreibt sie, mit ihrem Buch liefert sie die perfekte Vorlage, dem Spaß an der Sache auf den Grund zu gehen.

Spätestens nach der Lektüre dieser Bücher sollte man wissen, dass man, bevor man Sex hat, besser erst einmal darüber nachdenkt und redet. Umso erfüllender ist er für alle Beteiligten.