Der meistnominierte ist auch der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Dorothee Elmiger gewinnt den Deutschen Buchpreis 2025 mit ihrem düsteren Roman »Die Holländerinnen«, den die Jury als »faszinierenden Tripp ins Herz der Finsternis« bezeichnete.
»Dieser Roman ist ein Ereignis«, lässt die Jury schon mit ihrem ersten Satz in ihrer Begründung keinen Zweifel an ihrer Entscheidung aufkommen. Dorothee Elmigers »Die Holländerinnen« umfasst gerade einmal 160 Seiten und ist damit der schmalste deutschsprachige Roman des Jahres. Ein Leichtgewicht ist er deshalb nicht, ganz im Gegenteil.

»Die Holländerinnen« handelt von einer Schriftstellerin, die vor einem vollen Lesesaal von einer einige Zeit zurückliegenden Reise in den südamerikanischen Urwald berichtet, die sie mit einer Theatergruppe unternommen hat. Der Regisseur, der sie zu dieser Reise eingeladen hat, wollte mit der Gruppe ein Stück über das Schicksal zweier Holländerinnen auf die Bühne bringen, die in dem Dschungel vor Jahren spurlos verschwunden sind. Die Theatergruppe begibt sich auf ihre Spuren und erzählt sich abends beim Essen oder am Feuer verstörende Geschichten.
Je tiefer sich Elmigers Erzählerin im Dickicht und den Windungen ihrer Erinnerung verläuft, desto mehr reiße Elmiger die Leser:innen in einen Sog der Angst, heißt es in der Jurybegründung. Elmiger erzähle »von Menschen, die in ihr „dunkelstes Gegenteil“ verfallen. Indirekt ist dabei nicht nur Elmigers Sprache, sondern auch ihr Verweis auf unsere Gegenwart, die Schritt für Schritt in Selbstüberhebung versinkt.« Elmigers Stil sei distanziert und fesselnd, ihr Roman »ein faszinierender Trip ins Herz der Finsternis.«
Zugegeben, die Begründung der Jury klingt ähnlich verrätselt, wie es der ausgezeichnete Roman des Jahres ist. Elmigers auch buchgestalterisch überaus gelungener Roman war in seiner verwinkelten Erzählweise, den ineinander geschobenen Motiven und assoziativen Verschränkungen zweifellos der anspruchsvollste auf der Liste. Und doch kommt die Auszeichnung nicht überraschend, die 1985 in der Schweiz geborene und in New York lebende Dorothee Elmiger ist die Autorin der Stunde. Sie hat es mit »Die Holländerinnen« nicht nur ins Finale beim Deutschen Buchpreis geschafft, sondern auch unter die finale Auswahl beim Wilhelm-Raabe-Preis, dem Bayerischen Buchpreis (zum zweiten Mal nach 2020) und dem Schweizer Buchpreis. Insbesondere bei letzterem wird es nun ein Gigantenduell. Dort konkurriert die Deutsche Buchpreisträgerin 2025 nun mit dem amtierenden Raabe-Preisträger Jonas Lüscher um den Titel des eidgenössischen Romans des Jahres. Sie dürften ihn unter sich ausmachen.
Elmiger bedankte sich im Frankfurter Römer bei ihrem langjährigen Lektor Martin Kordic und berief sich in ihrer Dankesrede auf Tocotronics Song »Das Unglück muss überall zurückgeschlagen werden«. Darin geht es um die Dürftigkeit des Lebens und ihre ständige Zunahme. Die Alltäglichkeit des Lebens mache bewusst, »dass das Unglück überall zurückgeschlagen werden muss«. Als 21. Preisträgerin folgt Elmiger der Vorjahressiegerin Martina Hefter.
Alltäglich ist Elmigers Roman ganz und gar nicht, sondern erzählt ganz ungewöhnlich von dem monströsen Unternehmen der Erkundung einer Landschaft, die schon einmal zwei Menschen verschlungen hat. Der Fall der verschollenen Holländerinnen beruht auf einer wahren Geschichte, kurz nach dem Erscheinen des Romans tauchten in den sozialen Medien auch Bilder der beiden jungen Frauen auf.
Elmigers beklemmende Entstehungsgeschichte eines Theaterstücks nimmt aber auch Anleihen bei Hans Werner Herzogs »Fitzcarraldo« und ist ein Trip ins Dunkel – der Natur, der irdischen Unklarheiten und der menschlichen Seele, eine Welt- und Selbstbefragung, die schwer zu greifen ist und die Ambivalenz der Welt ausstellt. »Manchmal«, so heißt es im Roman, »habe sie oder hätten andere jäh aufgelacht, und in diesem Lachen hätten fraglos ihre ganze Furcht und ihre ganze Verlorenheit gesteckt.«
Shortlist des Deutschen Buchpreis 2025






Dorothee Elmiger setzte sich gegen Thomas Melles elegischen Roman »Haus zur Sonne«, Christine Wunnickes historisches Porträt einer Pariser Präparatorin »Wachs«, Kaleb Erdmanns Traumabewältigungserzählung »Die Ausweichschule«, Fiona Sironics queeren Abgesang auf die Zukunft »Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft« und Jehona Kicajs knirrschend-sprachlose Erkundung des Kosovokriegs »ë« durch.
Gewalt ziehe sich durch alle Romane, erklärte Jury-Sprecherin Laura de Weck noch einmal ihre Shortlist, und werde zugleich literarisch immer wieder unterlaufen. Die scheidende Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Karin Schmidt-Friderichs ergänzte: »Jeder Roman entfaltet sich Seite für Seite, Wort für Wort, und wird von jedem und jeder Leser:in anders erlebt. In diesem Dialog zwischen Text und Leser:in dürfen wir uns irritieren lassen, bestätigt fühlen oder überrascht werden. Wir dürfen nachdenken, statt sofort zu urteilen und die Literatur als Ort der Begegnung feiern.«
Am Rande einer solchen Preisverleihung spielen sich auch immer kleine Dramen ab. Sowohl Christine Wunnicke als auch Thomas Melle waren beispielsweise bereits zum vierten Mal für den Deutschen Buchpreis nominiert – erneut gehen sie ohne den Preis nach Hause. Wunnicke hätte zudem für ihren Verlag Berenberg, der vor wenigen Wochen angekündigt hatte, seinen betrieb Ende März 2026 einzustellen, noch einen letzten großen und vielleicht ja sogar rettenden Triumph einfahren können. Jehona Kicaj zieht mit ihrem begeisternden Debüt innerhalb von einer Woche zum zweiten Mal den Kürzeren. Erst vor drei Tagen wurde bekannt, dass sie nicht den aspekte-Literaturpreis gewinnt. Der geht in diesem Jahr an Ozan Zakariya Keskinkiliç und seinen poetischen Roman »Hundesohn«.
Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 stellte dessen Geschichte nach. Von den bis dato zwanzig ausgezeichneten Romanen waren vier in einem unabhängigen Verlag erschienen. Exakt vier Indie-Titel hatten es unter die zwanzig für den »Roman des Jahres« nominierten Werke geschafft, zwei davon schafften es unter die letzten sechs. Hoch gehandelte Romane wie die von Annett Gröschner, Jonas Lüscher, Martin Dinic oder Nava Ebrahimi legte die Jury hingegen zur Seite.
Mit der Auszeichnung von Dorothee Elmiger endet auch eine zwanzigjährige Durststrecke des Hanser Verlags beim Deutschen Buchpreis. Seit Arno Geiger für den Münchener Verlag bei der Erstausgabe 2005 den Preis gewann, ging der mit 25.000 Euro dotierte Preis nie wieder an eine:n Autor:in des renommierten Hauses.