Comic

Flüchtlinge in Deutschland zwischen Isolation und Rassismus

Die Kunst- und Kommunikationsdesignerin Paula Bulling hat mit ihrem Comicdebüt »Im Land der Frühaufsteher« die grafische Blaupause für eine Beschreibung der deutschen Asylverhältnisse geliefert. Der Comic ist das Ergebnis ihrer Recherche in verschiedenen Asylbewerberheimen in Sachsen Anhalt und erzählt eindrucksvoll von den Erfahrungen der Isolation, Tristesse, Rassismus und Ausgrenzung ihrer Bewohner.

»Erstmal folgense den Schienen von den Straßenbahnen. Bis zur Endhaltestelle. Da biegense dann rechts ab, da geht’s bergauf. Immer bergauf, an den letzten Häusern vorbei – also noch hinter den Schrebergärten, durch den Wald, und da ist es rechter Hand.« Dieses es, was sich weit außerhalb des Ortes, noch hinter dem Wald befindet, ist eines der sachsen-anhaltinischen Asylbewerberheime in Harbke, Bernburg oder Möhlau/Wittenberge, die Paula Bulling für ihren Comic Im Land der Frühaufsteher aufgesucht hat. Letztlich spielt es keine Rolle, um welches Asylantenzentrum es sich hier handelt, denn Orte der Isolation und Tristesse sind sie alle.

Bullings Comic ist eine Art grafische Faktensammlung zu den bundesweiten Flüchtlingsprotesten, die im März seit genau einem Jahr andauern. Auslöser der Proteste war der Selbstmord des Iraners Mohammed Rahsepar am 29. Januar 2012, der sich aus lauter Verzweiflung ob seiner Situation in einem bayerischen Asylbewerberheim erhängte. Seit Ende März 2012 machen Flüchtlinge, Asylbewerber und Geduldete mit Mahnwachen, Sitzblockaden sowie einem Marsch durch die Republik auf ihre zum Teil menschenunwürdigen Lebensumstände aufmerksam und protestieren für eine menschlichere Asylpolitik und bessere Lebensbedingungen. Wer bislang nicht wusste, worum es den Protestierenden hier geht, der weiß es nach der Lektüre von Bullings unkonventionell gezeichnetem Doku-Comic.

Bulling beschreibt darin ihre Erfahrungen mit dem Asylsystem in Sachsen-Anhalt, einem Bundesland, dessen Umgang mit Asylbewerbern und Asylanten vor allem von Oury Jalloh und dessen bis heute ungeklärten Tod in Polizeigewahrsam geprägt ist. Oder von dem Tod des Flüchtlings Azad Hadji, der im Juli 2009 mit schweren Brandverletzungen in das Heim in Möhlau zurück und wenige Tage später seinen schweren Verletzungen erlag. Die Ermittlungen in dem Fall wurden eingestellt.

Die 26-jährige Paula Bulling suchte zahlreiche Heime für ihre Recherchen auf, reiste durch die sachsen-anhaltinische Pampa, um »Leute zu treffen« und ging mit auf die zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen. Dabei wurden ihr nicht nur unzählige Geschichten und Erzählungen zugetragen, sondern sie konnte vor allem die Verhältnisse, in denen Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland leben, unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle, studieren. Ihre Eindrücke und Erfahrungen hat sie in ihrer Dokumentation verarbeitet.

Im Mittelpunkt des Comics steht die Frage, wie man unter den Bedingungen des Flüchtlingsdaseins – ganz unabhängig von der rechtlichen Anerkennung – seine Menschenwürde bewahren kann. Denn die abgelegenen, karg eingerichteten Unterkünfte, deren ärmliche Ausstattung ihren provisorischen Charakter spiegelt, lassen in Verbindung mit dem deutschen Alltagsrassismus und den strengen Aufenthaltsauflagen kaum ein menschliches Dasein zu. Bullings Comic liest sich so auch als Plädoyer gegen die unsägliche Residenzpflicht – also die Auflage, sich nur in einem von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufzuhalten –, die im Zentrum der bundesweiten Flüchtlingsproteste steht.

9783939080688
Paula Bulling: Im Land der Frühaufsteher. avant-Verlag 2013. 120 Seiten. 17,95 Euro. Hier bestellen

Immer wieder schaut der Leserbetrachter in weite leere Räume und wird so grafisch mit der endlosen und ausweglosen Situation der Asylbewerber in Deutschland konfrontiert, die sich am treffendsten mit den Worten Isolation und Ignoranz beschreiben lässt. Als würde es nicht ausreichen, dass Flüchtlinge in Deutschland räumlich isoliert werden – was natürlich jede Integration, die laut Bleiberechtsregelung Grundbedingung für einen möglichen Aufenthaltstitel wäre, strukturell verhindert – werden sie gesellschaftlich auch noch ignoriert. Paula Bullings Im Land der Frühaufsteher erzählt auf diese Weise auch viel von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit sowie den tagtäglichen Entbehrungen der Flüchtlinge.

Für die Position der Betroffenen selbst interessiert sich kaum jemand. Menschenrechts- und Flüchtlingsexperten einerseits sowie Politiker und Verwaltungsvertreter andererseits bestimmen die bundesdeutsche Debatte über die Situation von Asylanten und Flüchtlingen. »Wer nicht weiß ist, wird beschrieben, aber spricht nicht selber«, sagt einer von Bullings Protagonisten in einer Mischung aus Wut und Resignation. Die junge Berlinerin macht dieser Art der Nicht-Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Nöten der Betroffenen in ihrem Comicdebüt ein Ende. Sie lässt die Betroffenen zu Wort kommen und damit diejenigen, denen sonst nicht zugehört wird. Nicht einmal die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration Dr. Maria Böhmer wollte im vergangenen Herbst mit den am Brandenburger Tor campierenden Flüchtlingen sprechen. Erst die klirrende Kälte und die mediale Aufmerksamkeit ob des rigiden Vorgehens gegen die harmlos protestierenden Flüchtlinge brachten eine Anhörung zustande. Ohne Ergebnis natürlich.

Aber zurück zu Paula Bullings Dokumentation und der Frage, wie Flüchtlinge und Asylanten in Deutschland ihre Situation beschreiben. Sie sagen in Im Land der Frühaufsteher Sätze wie »Wir leben hier in einem Knast« oder »Das bitterste für mich ist, dass es keinen interessiert, ob hier einer verreckt.« Bulling hat ihre eigene Wut über das, was sie gehört, gesehen und erlebt hat, zurückgestellt, um diejenigen sprechen zu lassen, die in diesen Verhältnissen leben. Aber sie steckt in Sätzen wie diesen und der Montage ihres Comics.

Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, werden in den meisten Fällen abgeschoben. Damit ist nicht die Ausweisung gemeint – wenngleich dies tatsächlich in der Mehrheit der Fälle geschieht – sondern die Abschiebung an die exterritorialen Grenzen unserer Gesellschaft, in die Anonymität, die Illegalität und die Nicht-Existenz.

»Sindse sicher, dasse da hinwolln!?« schiebt die ältere Dame nach, die Paula Bulling und einem Freund die eingangs zitierte Wegbeschreibung gibt. Ein Nachsatz, der Bände spricht. Und der sich als rhetorische Frage an den Leser wie ein roter Faden durch diesen bemerkenswerten Comic zieht – stets vor dem Hintergrund, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft müde-ignorant hinnimmt, dass anderen diese Verhältnisse Tag für Tag zugemutet werden.

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