Literatur, Roman

Maximilian allein zu Haus

Fabian Hischmanns Selbstfindungsroman »Am Ende schmeißen wir mit Gold« erzählt in leichten Tönen und Knalleffekten vom Abschiednehmen und der Suche einer Zukunft in der Vergangenheit. Mit seinem Debütroman könnte der Berliner auf Anhieb den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse erhalten. Beim Publikum liegt der Roman schon ganz vorn.

Selten begann ein Drama derart vergnüglich, wie Fabian Hischmann seinen Helden, den 29-jährigen Lehrer Maximilian Flieger, von der sommerlichen Rückkehr in sein süddeutsches Dorf erzählen lässt. Als Maximilian von seinen Eltern gebeten wird, Haus und Hof im Schwarzwälder Königsburg zu hüten, während sie zwei Wochen auf Kreta verbringen wollen, sagt er kurzentschlossen zu. Zurück in seinem Heimatdorf kommen nicht nur die Gedanken an seine wilden Jahre als Teenager zurück, sondern die im Studium vergrabenen Erinnerungen stehen plötzlich leibhaftig vor ihm. Er trifft auf Maria, seinen wandelnden Jugendtraum, die nun mit einigen Freunden in einer Art Hippie-WG auf einem ausgedienten Hof in der Nähe seiner Eltern wohnt. Neben einem Kommilitonen, den Maria aus Schweden kennt, und dem jungen Pärchen Anton und Julia, die ein gemeinsames Kind erwarten, gehört zu Marias Mitbewohnern auch Max’ ehemals bester Freund Jan, den er als Jugendlichen fast umgebracht hätte, nachdem er ihn vermeintlich in flagranti mit der Angebeteten erwischt hat.

Über die experimentierfreudige Erzählung seines Ich-Erzählers lässt Hischmann seine Leser an dessen Erlebnis- und Gedankenwelt während der Einführung in diese sommerlich entspannte Runde teilhaben. Das Eintauchen in die oberflächlich sorgenfrei-großzügige Welt dieser Freigeister ist zugleich auch ein Sprung in die Kindheitserinnerungen, die den Helden auf einer Wolke aus Wehmut und Schwerelosigkeit davontragen. Dieser Sommer ist wie die letzte Chance, die wilden Träume einer Jugend noch vor der großen Dreißig wirklich werden zu lassen. Und entsprechend losgelöst lässt sich Max treiben. Nach elf von insgesamt 84 Kapiteln lesen wir: »Schon wieder Weißwein, schon wieder Nebel im Kopf. Ich habe bereits Maria geküsst und Julia und Pelle und außerdem zweimal die Wahrheit gesagt.« Ja, das Leben kann manchmal ein Traum sein – der hier nur durch einige eingebildete Explosionen in Maximilians Kopf gestört wird.

Das Schwelgen in der Leichtigkeit des Seins in diesem unbeschwerten süddeutschen Sommer geht soweit, dass es Max zunächst sogar als Eindringen in seine Privatsphäre empfindet, als sein bester Freund Valentin aus Bremen anreist, um ihn vor der befürchteten (und nicht eingetretenen) Langeweile zu hüten. Aber auch das ist schnell vergessen, gemeinsam gibt man sich dem sonnigen Dasein in der selbstbestimmten Großfamilie hin. Einige Seiten später wird der Erzähler eine Liedzeile der Britpop-Band Oasis zitieren, die ihm und seinem trunkenen Freund Valentin das Motto für die Eröffnung dieses Dramas nachrufen: »Don’t look back in anger«. Nein, Ärger hat hier keinen Platz.

Nach der heiteren Exposition folgt die Steigerung der Erzählung. Eine schreckliche Katastrophe bereitet den amüsant-lebhaften Ferien zwischen gemeinsamer Tafel, Lagerfeuer und Nachtwanderungen ihr jähes Ende. Jan erreicht ein Anruf der Polizei, die ihm mitteilt, dass seine Eltern in Kreta bei einem Hausbrand ums Leben gekommen sind. Er beschließt, auf die griechische Insel zu fliegen, um den letzten Spuren seiner Eltern zu folgen. Er erfährt, dass seine Eltern im Ferienhaus von Hannah umgekommen sind, mit der sie zu Studienzeiten einmal den Versuch einer Ménage à trois gestartet haben. Hier die Dreiecksbeziehung, in Königsburg die Hippie-Kommune – irgendwie geht es hier auch um die Verwirklichungschancen alternativer Lebensmodelle.

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Fabian Hischmann: Am Ende schmeissen wir mit Gold. Berlin Verlag 2014. 256 Seiten. 18,99 Euro. Hier bestellen

Das Ehepaar Hannah und Silas sowie ihr 18-jähriger Sohn Timon nehmen ihn pflichtschuldig, aber offen auf. Max beschließt, länger auf der Insel zu bleiben und die geregelten Bahnen des verbeamteten Lehrers zu verlassen. Er müsse raus, etwas anderes machen, den Schock verarbeiten – lesend nähern wir uns dem Höhepunkt des Dramas. Zugleich verliert sich Max in Phantasien, die mit einem traumatischen Erlebnis in New York verbunden sind. Nach einer durchzechten Nacht als 16-Jähriger meint er, einen Fremden dabei beobachtet zu haben, wie dieser brutal auf ein junges Mädchen eingeschlagen hat. Als ihn der Fremde, dem er den Namen Patrick gibt, bedrohte, floh Max und ließ das Mädchen im Stich. In seinen Phantasien entspinnt sich eine Variante des seltsamen Falls von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Während Max die Rolle des Jekyll innehat, geht der herbeiphantasierte Patrick in der Funktion des furchteinflößenden Mr. Hyde den abgründigen Phantasien des erwachsenen Waisenjungen nach. Zunehmend ergreift Patrick Besitz von Max, so dass dieser zu einem teuflischen Pakt greift, um sich seiner dunklen Seite ein für allemal zu entledigen. Max reist noch einmal nach New York, um seine Versäumnisse zu rächen.

Hischmanns stilistisch beeindruckender Debütroman, in dem er die Ebenen von Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und Gegenwart kühn zu einer flirrenden Erzählung verwebt, erinnert in Teilen an die Leichtigkeit von Wolfgang Herrndorfs famosen Roman Tschick. Dies beginnt schon im blutigen Auftakt des Romans und zieht sich in der Reflektion der Selbstfindung des Protagonisten durch die gesamte Erzählung.

Allerdings fehlt Hischmanns Personal die Unbeschwertheit der beiden Herrndorf’schen Helden Maik (Klingenberg) und Andrej (Tschichatschow alias Tschick). Wo bei Herrndorf die sperrangelweit offenen Türen der Welt dazu einladen, aus der Bedrückung des Elternhauses in die Freiheit hinauszutreten, werden bei Hischmann die Türen des Elternhauses noch ein letztes Mal aufgedrückt, um sich angesichts der Lebensgefährlichkeit des Daseins in dessen Obhut zurückzuziehen. Verbarg sich hinter dem leichten Ton von Tschick die Naivität der erfahrungsgierigen Jugend, soll die unbeschwerte Sprache in Am Ende schmeissen wir mit Gold die Beschwernis des Erwachsenwerdens und die Melancholie angesichts der bereits verlebten Chancen übertünchen. Das ist keineswegs ehrenrührig oder schändlich, und schon gar nicht unangenehm zu lesen. Es stellt sich nur nicht das befreiende Gefühl der Sympathie ein, dass Lesende von Herrndorfs als Jugendroman in unsinniger Weise diminuierten Meisterstücks erleben.

Das Drama des Lebens auch formal als klassisches Drama aufzubauen, hat dieser Roman nicht nötig. Die beiden schließenden Akte wirken nachgeklappt, dem Erzähler geht am Ende der Stoff für seine Erzählung aus. Passend dazu ruft er in die den Roman beschließende Weihnachtsstimmung der erzählten Zeit Kevin – Allein zu Haus zum passenden Film für den von allen guten (Eltern) und bösen (Patrick) Geistern verlassenen Max aus: »Nie zuvor war dieser Film so gut.«

Auch wenn Am Ende schmeissen wir mit Gold zu keinem Zeitpunkt ein in den Seelentiefen schürfender Roman ist, so ist er garantiert nie zuvor so profan, wie in diesem Moment. Am Ende stolpert dieser ebenso amüsant wie leichte Roman über einige Hürden des derzeit so häufig kritisierten publikumskompatiblen Stils der Literaturinstitute und Schreibakademien, aus denen auch Fabian Hischmann hervorgegangen ist.