Andreas Jandl (49) übersetzt nicht nur schon eine gefühlte Ewigkeit aus dem Französischen und Englischen, sondern ist auch zweiter Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer:innen VdÜ. Er ist Mentor für das Goldschmidt-Programm und erhielt 2021 den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis für sein Gesamtwerk. Doch von Anerkennung allein kann der dreifache Familienvater nicht leben. Die gleichbleibend schlechten Honorare, die Nachwuchslücke und die drohende Altersarmut brächten die Branche in existenzielle Schwierigkeiten.
Andreas Jandl, was treibt Sie an, was motiviert Sie?
Die Verwandlung eines fremdsprachigen Texts in einen deutschsprachigen ist ein so interessanter Vorgang, dass ich mich immer wieder für diese Tätigkeit begeistern kann.
Welche Idealvorstellungen zum Übersetzer:innenberuf hat sich bei Ihnen bestätigt oder wo wurden Sie eines Besseren belehrt?
Idealvorstellungen hatte ich vorab keine, ich habe erst rückblickend festgestellt, dass ich jetzt wohl Übersetzer bin. Vom Literaturübersetzen wusste ich allerdings schon früh, dass die Arbeit schlecht bezahlt wird und die Lage der Übersetzer:innen prekär ist. Das hat sich leider absolut bestätigt. Doch die Freude am Eintauchen in so ganz unterschiedliche literarische Universen, die Freude am akribischen Text-Feilen und am fertigen Buch inklusive der manchmal positiven Resonanz, die gibt es auch. Ganz real und immer wieder. Wer die positiven Seiten des Literaturübersetzens erlebt hat, entwickelt – behaupte ich mal – eine gewisse Abhängigkeit vom nächsten literarischen »Kick«.
Wie gut können Sie von der Übersetzungsarbeit leben beziehungsweise wie wichtig sind Nebeneinkommen durch Gutachten, Literaturvermittlung, Autortätigkeiten sowie Lesungen und Moderationen?
Im Durchschnitt verdiene ich vor Steuern 1.900 Euro im Monat. Davon hätte ich als Berufsanfänger leben können (damals war es deutlich weniger Einkommen), aber jetzt mit Familie bin ich in einer Verantwortungssituation, in der ein Berufswechsel das Naheliegendste wäre. Nebeneinkommen wie Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, Lesungen, Podien, Workshops, Uni-Seminare, Uni-Lektorate, Gast-Dozenturen und Beratungstätigkeiten erlauben mir, den Wechsel in eine andere Branche – in der die Bezahlung automatisch besser ist als beim Literaturübersetzen – (noch) nicht zu vollziehen.
Übersetzungen von Andreas Jandl
Elisa Shua Dusapin: Die Pachinko-Kugeln, Blumenbar, 2022. David Diop: Reise ohne Wiederkehr, Aufbau, 2022. Robert McFarlane: Im Unterland, Penguin, 2021. David Diop: Nachts ist unser Blut schwarz, Aufbau, 2021. Robert McFarlane, Stanley Donwood, Dan Richards: Hohlweg, Matthes & Seitz Berlin, 2019.
Wie weit sind Ihre Übersetzungshonorare von einem Ihrer Meinung nach fairen Honorar entfernt?
Ein Honorar, von dem sich leben lässt, müsste drei Mal so hoch sein. Statt 20 Euro müssten wir 60 Euro pro Normseite bekommen. An einer Normseite arbeiten wir mindestens eine Stunde, manchmal auch zwei Stunden; die meisten Handwerker bekommen so viel als Stundenlohn. Dazu müsste es natürlich einen Inflationsausgleich geben. Darum kämpft die Branche bislang vergeblich. Die Tätigkeit ist anspruchsvoll, lässt sich nicht an einem Nachmittag erlernen. Als Literaturübersetzer habe ich nach meinem vierjährigen Studium sicher noch weitere vier Jahre gebraucht, um das Handwerkszeug, die Erfahrung und die passende Haltung zum Text zu haben, damit gute Übersetzungen entstehen.
Wie standardisiert oder eben nicht laufen Honorarverhandlungen?
Manche Verlage, vor allem die der großen Gruppen wie Bonnier, Holtzbrinck und Penguin Random House, bieten uns Übersetzer:innen Hausverträge an, bei denen nur sehr wenig verhandelbar ist. Das Seitenhonorar ist gedeckelt und auch die niedrigen Erfolgsbeteiligungen werden präsentiert, als wären sie in Stein gemeißelt. Friss oder stirb heißt es da. Dabei besteht in der Buchbranche durchaus Verhandlungsfreiheit. Wer allerdings übersetzerunfreundliche Paragraphen ändern oder streichen lassen möchte, läuft ein gewisses Risiko, den Auftrag nicht zu bekommen. Das müssen wir uns vorher gut überlegen.
Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance?
Schlecht. Zeiten der Ungewissheit, ob überhaupt Aufträge kommen, wechseln sich ab mit zu vielen Aufträgen gleichzeitig. Wann genau es zu Aufträgen kommt und mit welchen Fristen, kann niemand vorhersehen. Wir bräuchten mehr Koordination zwischen Verlagen und ihren Stammübersetzer:innen, damit es Übersetzungsaufträge in klug getakteter Reihenfolge gibt. Doch die Mühe machen sich die wenigsten Häuser und planen tatsächlich nur wenig vorausschauend.
Wenn Sie einen Wunsch als Übersetzer frei hätten, welcher wäre das?
Eine Festanstellung als Literaturübersetzer mit einem Gehalt, das sich entsprechend der Qualifikation und entsprechend der Arbeitszeit berechnet, mit bezahltem Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, einer vernünftigen Rentenaussicht.
Wenn Sie noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie wieder Übersetzer werden?
Die Bindung, die ich zu meinen bisherigen Übersetzungen habe ist so groß, dass ich wieder Übersetzer geworden wäre, um diese wieder zu übersetzen. Anders ist meine Einschätzung bei post-editierten Werken. Die Bindung an diese wäre sehr viel kleiner, und ich würde eine ähnlich miese beziehungsweise eine noch miesere Bezahlung nicht hinzunehmen. Gut für Literaturübersetzer:innen, die den Beruf wechseln: Jede Tätigkeit, für die es den gesetzlichen Mindestlohn gibt, wirft mehr Einkommen ab.
Wie würden Sie die Lage Ihrer Branche beschreiben?
Es ist eine Zeit der Ungewissheit, die den prekären Beruf zusätzlich prekärer macht. Die Auflagenhöhen gehen seit 15 Jahren langsam aber stetig zurück, das gleiche gilt für die Anzahl der Buchkäufer:innen. Die Branche schrumpft, während gleichzeitig Konzentrationsprozesse stattgefunden haben und stattfinden. Als Gegenprozess kommen Klein- und Kleinstverlage mitunter zu beachtlichen Erfolgen, erreichen viel Sichtbarkeit, bleiben wirtschaftlich aber wackelig. Die verlegerischen Geschäftsmodelle der Wirtschaftswunderjahre wurden nie richtig überdacht oder neu konzipiert. Die Übersetzungshonorare werden immer noch unter Herstellungskosten geführt, wo es für sie keine Entwicklungsmöglichkeit nach oben gibt. Das ist nicht mehr zeitgemäß und Verlage werden es in absehbarer Zeit allein schon aufgrund der gesellschaftlichen Alterung schwer haben, Übersetzer:innen in den Altersstufen zwischen 20 und 40 Jahren zu finden. Da gibt es eine Nachwuchslücke. Auf der anderen Seite der Skala finden sich viele Kolleg:innen im Rentenalter, die aktuell in Altersarmut leben und nicht aufhören zu arbeiten, weil sie ohne zusätzliche Honorare nicht genügend Rente für ihr Auskommen beziehen. Tendenz der Altersarmut: steigend.
Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz?
Mein als KI-Experte angesehener Kollege André Hansen hat in einem Zeitungsinterview gesagt, dass die nächste Mieterhöhung für den Berufsstand sehr viel bedrohlicher ist, als die Entwicklung der KI. Das ist natürlich ein Lacher, doch ein sehr bitterer, weil es die Sache trifft. Die Bedrohung, die von der KI ausgeht, ist aktuell, im Sommer 2024, im Literaturbereich eine rein virtuelle. Die Bedrohung, die von steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten ausgeht, ist ganz real. Noch können KI-Tools nur bestimmte Textsorten so zufriedenstellend aus einer Sprache in eine andere bringen, dass Auftraggeber sie ohne weiteres menschliches Zutun nutzen können. Sobald auch nur ein bisschen Stil, ein bisschen Witz, ein bisschen Mehrdeutigkeit den Text ausmachen, bleibt das Maschinenoutput defizitär. Das wissen wir alle, Übersetzer-Kolleg:innen wie Verleger:innen. Damit können auch die Spekulationen um eine kurzfristige Veränderung unser Berufsbilds enden. Denn bei literarischen Texten führt die Nachbearbeitung von Maschinenoutput nicht zu besseren oder schnelleren Ergebnissen. Die Genese einer guten Übersetzung beruht auf dem vollen geistigen Einsatz eines motivierten, inspirierten Menschen beziehungsweise einer Gruppe motivierter und inspirierter Menschen aus Übersetzer:innen und Lektor:innen. Maschinenoutput nachzubearbeiten ist lästig und unsexy. Die KI-Tools schaffen es zwar, sehr schnell sehr viel Text zu generieren, aber sie generieren keine Begeisterung, keine Affektion, keine Identifikation mit der Arbeit. Machine Translation Post-Editing, sogenannte MTPE-Jobs, sind nicht so erfüllend wie das Selbstübersetzen. Um qualifiziertes Personal für diese Jobs zu finden, muss nach meiner Einschätzung viel Geld in die Hand genommen werden. Denn wer hat Lust, im Literaturbereich mit Maschinen zu arbeiten, auf die kein Verlass ist, weil sie Dinge hinzuhalluzinieren, andere Dinge auslassen und sich insgesamt als inkonsistent, um nicht zu sagen inkontinent erweisen? Kurz: Wer hat Lust, mit einer Maschine zu arbeiten, der man ständig die Windeln wechseln muss?
Wie steht es um die Anerkennung bei Verlagen, den Kritiker:innen, dem Buchhandel und den Leser:innen?
Bei der Kritik ist unser Ansehen in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, viele Rezensent:innen gehen auf die Übersetzung im Ganzen oder sogar auf einzelne Übersetzungsaspekte ein, auch der Buchhandel ist nach meinem Erleben voll von Übersetzer-Sympathisant:innen und Übersetzer-Verbündeten, was sich etwa an gemeinsamen Veranstaltungen zeigt. Bei den meisten Verlagen ist die Anerkennung oft noch nicht aus den Verträgen herauszulesen. Zwar zeigen die meisten Lektor:innen uns Wertschätzung, doch wie beispielsweise der Übersetzungs-Hausvertrag von Penguin Random House ganz unverfroren die sowieso schon sehr niedrigen branchenüblichen Absatzbeteiligungen noch weiter drückt, spiegelt vor allem die Marktmacht des Konzerns wieder, nicht aber dessen Wertschätzung. Um so wichtiger ist es, dass wir uns in unserem Berufsverband, dem VdÜ, gemeinsam den Herausforderungen stellen und gemeinsam kämpfen.
[…] waren, den ich Gesine Schröder, Katy Derbyshire, Milena Adam, Stefanie Ochel, Odile Kennel und Andreas Jandl zugeschickt […]