Am 30. September wird der Hieronymustag als Internationaler Übersetzertag gefeiert. Dabei ist den Übersetzenden in Deutschland schon lange nicht mehr nach Party zumute. Miserable Honorare, prekäre Verhältnisse, fehlende Sichtbarkeit und die künstliche Intelligenz sind strukturelle Bedrohungen einer Branche, die am seidenen Faden des Idealismus derjenigen hängt, die uns die Weltliteratur erschließen. Versuch einer Bestandsaufnahme.
Albert Camus soll einmal gesagt haben, dass man sich Literaturübersetzer:innen als glückliche Menschen vorstellen muss. Einiges spricht dafür, dass Camus’ kühne Behauptung so nicht mehr stehenbleiben kann. Im Juni räumte eine junge Übersetzerin unter Pseudonym in der Zeit ein, dass sie nicht wisse, wie lange sie es sich noch leisten könne, bei einem Monatseinkommen von 400 bis 1.000 Euro Literatur zu übersetzen.
Kaum vier Wochen später machte die Münchener Übersetzerin Janine Malz eine Anfrage von Bastei Lübbe für die Nachbearbeitung einer mithilfe von Künstlicher Intelligenz angefertigten Übersetzung öffentlich. Der Post machte in der Szene schnell die Runde, weil die Übersetzerin in ihrer Antwort die fatalen Folgen dieser Entwicklung auf den Punkt brachte. Derart zusammengeschusterte Texte seien nicht nur schlechter, sie werteten auch das Übersetzen als solches ab. Verlage wollen mit solchen verschlimmbesserten KI-Übersetzungen Geld sparen, lächerliche fünf Euro pro Normseite sollte Janine Malz für das Post-Editing des KI-Textes bekommen.
Auf netzpolitik.org schrieb Malz, von der in diesem Jahr unter anderem die Übersetzungen von Kirsty Loehrs »Eine kurze Geschichte queerer Frauen«, Emanuele Trevis »Zwei Frauen« oder Ilse Josepha Lazaroms’ »Duett« erschienen sind, einige Wochen später einen sehr lesenswerten Artikel über die Causa, in dem sie noch einmal deutlich machte, warum die Übersetzung literarischer Texte in menschliche Hände gehört. Da heißt es unter anderem:
»KI-Sprachmodelle erstellen Texte anhand von Wahrscheinlichkeiten. Sie berechnen etwa, welches Wort am ehesten auf ein vorangegangenes folgt. Die Ergebnisse können teils beeindrucken, aber sie können nicht die Konsistenz und Tiefe eines Texts erreichen, den ein Mensch übersetzt. Mit literarischem Schreiben hat das wenig zu tun. Es heißt ja auch «Sprachgefühl», nicht «Sprachberechnung». Literatur entspringt dem Bedürfnis des Menschen, sich gegenseitig Geschichten darüber zu erzählen, was es heißt, Mensch in dieser Welt zu sein. Zu glauben, eine Maschine – die nie in dieser Welt gelebt hat – könne das genauso gut übernehmen, ist gelinde gesagt grotesk.«
Malz’ Kollegin Alexandra Rak sprach daraufhin im Börsenblatt von einem Oppenheimer-Moment, der die Buchbranche für immer verändern werde. Deshalb fordert der Arbeitskreis Literaturübersetzen und KI in seinem »Manifest für menschliche Sprache« eine starke Regulierung der textgenerierenden KI. Das systemische Risiko liegt auf der Hand, jedes zweite Buch im deutschen Buchhandel ist eine Übersetzung.
Vor gut zwei Wochen hat das Internationale Literaturfestival Berlin (ilb) seine Tore in der Hauptstadt geschlossen. Zehn Tage lang wurde auf dem Festival die internationale Literatur gefeiert, nachdem es am 5. September von der französisch-ruandischen Autorin Beata Umubyeyi Mairesse und dem nigerianischen Schriftsteller Helon Habila eröffnet wurde. 150 Autor:innen aus 50 Ländern waren zu Gast, darunter internationale Stars wie Rachel Cusk, Ben Okri, Elif Shafak, Szczepan Twardoch, Ofer Waldman, Maria Stepanowa oder das Autorenkollektiv Wu Ming. Sie stellten ihre aktuellen Bücher vor und diskutieren miteinander und mit dem Publikum über die Kraft der Literatur. Was bei aller guten Laune unterging: die Übersetzer:innen, die der deutschen Leserschaft diese Welt erschlossen haben und erschließen werden, haben auch bei diesem Festival nur eine Nebenrolle gespielt. Sie wurden – nach einigen Nacharbeiten – im Programm und bei den Lesungen namentlich genannt, eine größere Bühne bekamen sie aber nur in Einzelfällen.
Dabei ist es dem ilb sogar gelungen, das explizit der Übersetzung gewidmete Podium »Lost/Found in Translation: The Joys and Challenges of Multivocality« ohne Literaturübersetzer:innen stattfinden zu lassen. Die Schriftsteller:innen Chika Unigwe, Fiston Mwanza Mujila und Mkuki Bgoya erörterten dabei »die Herausforderungen und Freuden, in mehreren Sprachen gleichzeitig zu arbeiten und zu leben«, kurzum: wie es ist, sich selbst zu übersetzen.
Übersetzungen der hier zu Wort kommenden Übersetzer:innen
Dabei weiß auch die Programmleiterin des Festivals Dr. Simone Schröder, dass es ohne Übersetzende nicht geht. Sie seien ein bedeutender Teil der Literaturszene. »Wir laden die Übersetzer:innen standardmäßig zu den Veranstaltungen ein. Wir organisieren außerdem ein Netzwerktreffen für die Literaturbranche, an dem auch zahlreiche Literaturübersetzer:innen teilnehmen. Fürs Festival beauftragen wir die Übersetzung von exklusiv für das ilb angefertigten Auszügen aus bislang nicht auf Deutsch veröffentlichten Texten aus anderen Sprachen«, lässt sie auf Nachfrage ausrichten. »Literaturübersetzungen sind das Wasser, in dem wir als Festival schwimmen. Ohne sie ginge es nicht«, so Schröder.
Was aber, wenn es ohne sie gehen müsste? Das Wasserglas, aus dem die Literaturszene trinkt, wäre ohne Übersetzungen nur noch halb voll. Etwa jedes zweite Buch, das hierzulande erscheint, ist aus einer anderen Sprache übersetzt.
Für den tip-Berlin, in dem eine kürzere Fassung dieses Beitrags erschienen ist, habe ich mich unter Übersetzenden umgehört. Denn was viele nicht wissen: Berlin ist die heimliche Hauptstadt der Literaturübersetzer:innen. Fast ein Viertel der 1.400 im Verband deutschsprachiger Übersetzer:innen (VdÜ) eingetragenen Mitglieder lebt in der Stadt. Wie blicken diese Übersetzer:innen auf ihre Branche? Was treibt sie an? Und wie kommen sie wirtschaftlich über die Runden? Das waren Fragen, die Teil eines Fragebogens waren, den ich Gesine Schröder, Katy Derbyshire, Milena Adam, Stefanie Ochel, Odile Kennel und Andreas Jandl zugeschickt habe.
Übersetzen ist für alle nicht nur Beruf, sondern Berufung. Übersetzen sei »die schönste, intensivste Form des Lesens“, antwortete etwa Gesine Schröder, die seit 16 Jahren aus dem Englischen überträgt. »Sich so in ein Buch hineinzuversenken, dass man nachts um drei mit neuen Formulierungsideen aufwacht, das macht süchtig.« Katy Derbyshire, die aus dem Deutschen ins Englische übersetzt, sagt, sie »genieße das ständige Lösen von Mikroproblemen, das Suchen nach dem passenden Wort oder Ton, das Überschreiben in meiner eigenen Sprache.« In diesen Antworten wird der Enthusiasmus und Idealismus deutlich, von dem auch Janine Malz in ihrem Post sprach. »Übersetzen ist nicht nur Beruf, es ist Berufung. Wir lieben unseren Beruf, wir lieben Literatur und setzen uns dafür mit all unserem Können und unserer Erfahrung ein.“
Die 33-jährige Milena Adam, deren aktuelle Übersetzung von Katharina Volckmers »Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?« um den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage konkurriert, räumt auch ein, dass Moderationen und Dolmetschen etwa ein Drittel ihres Einkommens ausmachen. Einzig Katy Derbyshire verzichtet auf solche Nebentätigkeiten, alle anderen kalkulieren sie mit ein. Odile Kennel bezeichnet sie gar als »integraler Bestandteil meines Lebens«. Wenn solche Aufträge wegfallen, weil Veranstalter wie das ilb Übersetzende nicht bedenken, wird es schwierig.
Ohnehin hängt über der Branche das Damoklesschwert der Altersarmut. »Eine tragfähige Altersvorsorge aufzubauen ist bei meinem Einkommen schwierig«, räumt Gesine Schröder ein. Die 47-Jährige vermutet, wie viele Kolleg:innen noch im Rentenalter arbeiten zu müssen, »um einen Lebensstandard über dem Sozialhilfeniveau zu halten«. Stefanie Ochel übersetzt seit knapp zehn Jahren, auch sie kann von ihrem Einkommen kaum Rücklagen bilden oder für das Alter vorsorgen. »Zum Glück gibt es Stipendien«, ergänzt die 44-Jährige, ohne die sähe es nämlich finanziell noch düsterer aus.
Aber davon drohen nun viele wegzufallen. Die Förderung für den Deutschen Übersetzerfonds (DÜF), dem wichtigsten Akteur in der Szene, wurde im milliardenschweren Haushaltsentwurf der Bundesregierung von 2,45 auf 1,5 Millionen Euro gekürzt, obwohl die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien insgesamt mehr Geld erhalten soll. Die geplante Kürzung ist nicht nur eine Armutserklärung für den Kulturstandort Deutschland, sondern lässt auch tief blicken, welche Bedeutung Politik und Administration der Kultur für das gesellschaftliche Miteinander beimessen.
Für Literaturübersetzer:innen seien diese Kürzungen »im Grunde eine Katastrophe«, sagt Maria Hummitzsch gegenüber dem MDR, weil der Deutsche Übersetzerfonds »eigentlich bundesweit die einzige und DIE zentrale Förderinstitution für Literaturübersetzer:innen ist. Ohne die Akademie des Deutschen Übersetzerfonds wäre das Niveau der deutschen Literaturübersetzungen nicht auf dem heutigen Stand. Und ohne das umfangreiche und substantielle Förderangebot des Deutschen Übersetzerfonds könnten viele Literaturübersetzer:innen diesen Beruf gar nicht ausüben, so wie sie es tun, denn diese Förderung ist erkaufte Zeit und erkaufte Zeit bedeutet immer eine Zunahme an Qualität.« Anspruchsvolle, widerständige und abseitige Titel seien ohne Förderung gar nicht machbar.
Dies bestätigte im Grunde auch der DÜF in seiner Stellungnahme. Sollten die Kürzungen umgesetzt werden, sei der Schaden im Bereich der Übersetzungskunst eklatant. Die Leidtragenden sind die Institution in ihrer Wirkmächtigkeit und die Übersetzenden, weil die Töpfe, aus denen sie auf Förderung hoffen können, noch kleiner werden. »Falls diese Kürzungen Realität würden, müssten wir ferner die durch die Erhöhung 2024 ermöglichte Ausweitung des Stipendienetats – ein zentrales Desiderat der Szene – rückgängig machen und die Projektförderungen stark einschränken.«
Derlei Kürzungen würden auch die Autorin und Lyrik-Übersetzerin Odile Kennel treffen, deren Gedichte »Irgendwas dazwischen« gerade auf der Hotlist um den Titel des Indie-Buchs des Jahres konkurrieren. Weil sie einen Uralt-Mietvertrag habe, könne sie momentan von ihrem Einkommen leben. Sie weiß aber, dass das jederzeit zu Ende sein kann. Was dann? »Keine Ahnung, jobben, irgendwas, das verdränge ich.«
Einen konkreten Plan B hat auch Andreas Jandl nicht. Dennoch denkt der mehrfach ausgezeichnete Übersetzer nach über 20 Jahren darüber nach, seine Leidenschaft an den Nagel zu hängen. Von seinem aktuellen Einkommen habe er als Berufsanfänger leben können, aber um eine Familie zu versorgen, reiche es vorn und hinten nicht. »Ein Honorar, von dem sich leben lässt, müsste drei Mal so hoch sein. Statt 20 Euro müssten wir 60 Euro pro Normseite bekommen«, so der dreifache Familienvater.
Die letzte Honorarumfrage des VdÜ hat ergeben, dass das Durchschnittshonorar für Literaturübersetzungen sogar bei nur 18,73 Euro liegt, also noch unter dem von Jandl angenommen Betrag. Inflationsbereinigt liegt das Durchschnittshonorar von Übersetzenden damit rund 3,50 Euro unter dem Niveau von vor zwanzig Jahren. Die meisten bleiben dabei unter dem Existenzminimum.
Aber was wäre ein faires Honorar, das ein Leben in Würde ermöglicht? Was ist unfair in einer Branche, die in ihrer Grundstruktur asymmetrisch ist? Das fragt sich Milena Adam, die vor pauschalen Zuordnungen warnt. Sie finde es nicht wirklich unfair, »wenn ein unabhängiger Verlag, der selbst um seine Existenz kämpft, mir ein eher niedriges Honorar anbietet«. Anders sei das bei Groß- und Konzernverlagen. »Wenn eine riesige Mediengruppe dieses Honorar dann noch unterbieten möchte, finde ich das unfair, oder besser gesagt, kackendreist.«
Erst im September demonstrierten Übersetzende gegen die Verlagspolitik eben jenes Konzerns, der an Janine Malz mit der KI-Übersetzung herangetreten ist: die Bastei Lübbe AG. Der VdÜ hatte mit der Unterstützung von ver.di zum Protest aufgerufen, da die Verlagsgruppe seit Jahren mit »den womöglich schlechtesten Vertragsbedingungen branchenweit« negativ auffalle. »Selbst die höchstrichterlich festgestellten Mindestbeteiligungen am Umsatz und an den Lizenzerlösen werden in den Übersetzungsverträgen systematisch unterlaufen«, heißt es in der Pressemitteilung des Verbands.
Was das konkret heißt, zeigt Katharina Schmidt auf dem Blog der Weltlesebühne. An den Erlösen eines Bestsellers, den sie und ihre Kollegin Barbara Neeb für Bastei Lübbe übersetzt haben und der sich in allen Formaten über dreihunderttausend Mal verkauft habe, seien sie bis heute mit exakt null Euro beteiligt worden. Während die Bastei-Lübbe-Aktionär:innen eine höhere Ausschüttung bekommen, gehen die Übersetzer:innen als Urheber:innen der wirtschaftlichen Grundlagen des Verlagsbetriebs leer aus. Ein Unding.
Der Konzern zeigt sich überrascht. Programmvorstand Simon Decot spricht im Börsenblatt davon, dass man »mit den Übersetzer:innen stets gute einvernehmliche Lösungen gefunden« habe. Zugleich kündigte er Gespräche mit dem Verband an, um auch künftig »eine für beide Seiten gute Lösung zu finden«.
Warme Worte, hinter denen sich vermutlich das Prinzip der Vereinzelung verbirgt. Bevor man sich einfach an die höchstrichterlich bestätigten Mindestvorraussetzungen hält oder eine für alle Übersetzenden geltende, transparente Regelung sucht, werden »einvernehmliche Lösungen« gesucht; und zwar in Verhandlungen, in denen es an Augenhöhe fehlt, wie Andreas Jandl als 2. Vorsitzender des VdÜ zu berichten weiß. Wer in Verträgen »Übersetzer-unfreundliche Paragraphen ändern oder streichen lassen möchte, läuft ein gewisses Risiko, den Auftrag nicht zu bekommen«. Vor diesem Hintergrund kann sich jede:r ausmalen, was es heißt, wenn Bastei Lübbe weiter abseits der Aufmerksamkeit »einvernehmliche Lösungen« mit den Übersetzenden sucht. Wer sich nicht auf die Bedingungen der Verlagsgruppe einlässt, wird dann wohl ausgetauscht. Ganz nach dem Mottto: Es wird sich schon jemand anderes finden.
In Großbritannien laufe das grundsätzlich anders, erklärt Katy Derbyshire. Da veröffentlicht die Translators Association regelmäßig die Seitenhonorare, die Verlage bereit sind zu zahlen. »So wissen beide Parteien im Voraus, wo die Verhandlungen anfangen.«
Zu den ohnehin schwierigen Honorar- und Vertragsbedingungen kommen dann noch strukturelle Ungleichheiten auf dem Markt, wie Odile Kennel deutlich macht. Zeitgenössische Lyrikübersetzungen fänden nur noch in den kleinen Verlagen statt. »Die können kein Honorar zahlen. Das heißt: Ich muss als Übersetzerin nicht nur den Verlag finden, sondern mich auch noch um die Finanzierung durch ein Stipendium kümmern.«
Zudem kämpfen Übersetzende nicht nur von Spartenliteratur um ihre Sichtbarkeit. Unter dem Hashtag »namethetranslator« bemühen sie sich, branchenweit mehr Sichtbarkeit und Anerkennung als Urheber:innen ihrer deutschen Texte zu bekommen – auf dem Cover der von ihnen übersetzen Bücher, in Literaturkritiken und in Blogbeiträgen. Die Übersetzerin Lisa Mensing hat auf tralalit.de kürzlich prononciert gefragt, warum die Arbeit von Übersetzer:innen von Verlagen, Veranstalter:innen und den Medien so oft aktiv unsichtbar gemacht wird. Sie macht mit viel Verständnis und Nachsicht deutlich, dass es vielerorts ein Mangel an Bewusstsein und Wissen ist, der dazu führt, dass die Arbeit von Übersetzenden bei Verlagen und ihren Vertreter:innen, bei Kritiker:innen und Veranstalter:innen nicht stärker präsent ist.
Beim Lesen von Mensings Einwurf entstehen Fragen, die sich jede:r in der Buchbranche mal in Ruhe stellen sollte: Was würde das Korrektorat eigentlich korrigieren, was das Lektorat lektorieren, was die Illustratoren illustrieren, was die Setzer:innen paginieren, was die Verlage publizieren, was die Kritiker:innen kritisieren, was der Rundfunk rezitieren, was der Handel monetarisieren, was die Leser:innen amüsieren und so weiter, wenn nicht den übersetzten Text, dessen Urheberrecht bei den Übersetzer:innen liegt. Und jetzt noch einmal die Frage, ob es wirklich gute oder zumindest nachvollziehbare Gründe gibt, den Übersetzer:innen nicht die Bühne zu geben, die ihnen zusteht? Wohl eher nicht.
In einer angespannten Buchbranche, in der die unabhängigen Verlage unter Druck geraten und die Konzerne ihre eigenen Regeln schreiben, hat sich die Lage der Übersetzenden maximal zugespitzt. Existenzangst, Selbstausbeutung und fehlende finanzielle Anerkennung treffen auf steigende Mieten und Lebenshaltungskosten. Und nun kommt auch noch die KI ins Spiel.
Angst, dass die KI bald die besseren Texte generiert und die Übersetzenden ihrer Existenzgrundlage beraubt, haben die Befragten nicht. Die nächste Mieterhöhung und die steigenden Lebenshaltungskosten seien für den Berufsstand sehr viel bedrohlicher als die Entwicklung der KI, ist sich Andreas Jandl sicher. Darüber hinaus stoße die KI-Übersetzung schnell an ihre Grenzen. »Sobald nur ein bisschen Stil, ein bisschen Witz und ein bisschen Mehrdeutigkeit den Text ausmachen, bleibt das Maschinenoutput defizitär«, ist er sich sicher. Was nicht heißt, dass sich Verlage damit nicht für den schnellen Umsatz zufrieden geben.
Stefanie Ochel appelliert daher an die Büchermenschen, nicht der Illusion zu erliegen, »dass, indem man den Menschen aus der Gleichung rausnimmt, am Ende eine irgendwie neutrale, objektive Übersetzung herauskäme, geschweige denn eine von künstlerischem Wert, die einem Original sinnlich, geistig, klanglich, emotional gerecht wird.« Zwar würden auch ihr und ihren Kolleg:innen Fehler unterlaufen und nicht alle Lösungen seien kongenial, »aber zumindest beruhen unsere Entscheidungen auf einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Text, einem Einfühlen, Einhören, Verstehen, was man von der KI nicht behaupten kann.«
Eine menschliche Literaturübersetzung schafft neue Sprachwelten, hinterfragt vertraute Sichtweisen und verändert unseren Blick auf die Welt, auf Geschichte und Menschen, heißt es im Manifest für menschliche Sprache. Katy Derbyshire wünscht sich daher, dass die UNESCO statt einzelner reicher Länder direkt Literaturübersetzungen fördert. »Fiktion lesen schafft Empathie«, ist sie überzeugt. Wenig scheint in diesen Zeiten wichtiger, um Brücken zu bauen und zu verstehen, was es heißt, Mensch zu sein in dieser Welt. Die Arbeit von Übersetzenden, die uns nicht nur die Literatur der Welt, sondern die Welt als solche, fremde Perspektiven, Sprachen und Denkräume erschließen, ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Milena Adam vergleicht ihre Arbeit mit puzzeln. Nichts sei befriedigender als das Gefühl, dass es passt. Es wird Zeit, dass die Branche an die Bedingungen den gleichen Maßstab anlegt wie die Übersetzenden an ihre eigene Arbeit und es dort auch endlich wieder zu den Gegebenheiten des Lebens passt. Ansonsten übersetzen perspektivisch nur noch Menschen, die es sich leisten können. Oder eben die Maschinen.
Teile dieses Beitrags sind bereits im tipBerlin 9/2024 erschienen.