Der Hamburger Comicautor Sascha Hommer hat eine neue Version des Märchens »Das kalte Herz« von Wilhelm Hauff vorgelegt. Dabei ist ein ansprechendes und atmosphärisch sehr stimmiges Werk herausgekommen. Manche Änderungen gegenüber dem Original von 1827 werfen allerdings Fragen auf.
Der Köhler Peter Munk hat es satt. Seine Arbeit in der Einsamkeit des Schwarzwaldes ist hart, bringt wenig Geld und obendrein geringen Status. Wenn er, wie immer rußverschmiert, aus dem Wald ins Dorf geht, um dort seine Kohlen zu verkaufen, wird er verspottet und drangsaliert. Im Wirtshaus machen sich die reichen Glaser und vor allem die noch reicheren Holzflößer über den Kohlenmunkpeter lustig und führen ihm immer wieder seine Armut vor Augen.
Aus dieser Misere wird Peter niemals mithilfe von Arbeit herauskommen, sagt er. Aber das Glasweib, das tief im Wald lebt, das könnte ihm helfen: Die Legende sagt, dass es sich Sonntagskindern wie ihm zeigt und ihnen Wünsche erfüllt. Also zieht er los, findet nach einigem Suchen den richtigen Beschwörungsreim und wünscht sich das von ihr, was in seiner Situation erstrebenswert scheint: Tanzen können wie der so genannte Tanzbodenkönig, beim Spielen immer so viel Geld in der Tasche haben wie der steinreiche Ezechiel und ganz zuletzt: Eine Glaserei, für dauerhaftes Einkommen und Status. Das Glasweib erfüllt die Wünsche murrend, verweigert ihm aber den Letzten (das wäre eine Kutsche gewesen) und sagt ihm, er hätte sich besser Verstand gewünscht.
Sascha Hommer: Das kalte Herz – Auszug 1
Damit behält sie recht, und es kommt wie es kommen muss: Peter kennt den Wert seiner Produkte nicht und verkauft unter Preis, die Glaserei ist bald bankrott. In seiner Not geht er zum Holländermichel, der anderen Sagengestalt der Erzählung. Dieser gibt ihm ohne langes Federlesen viel Geld und eine Kutsche. Als Gegenleistung verlangt er lediglich, dass Peter sein Herz gegen einen Stein tauscht. Danach hat Peter das titelgebende kalte Herz, hat keine Gefühle mehr und interessiert sich eigentlich nur noch für sein Geld und dessen Mehrung.
Das kalte Herz leistet Peter hervorragende Dienste, wenn es um Geschäfte geht, weil es ihn gierig macht, hindert ihn aber daran, ein anständiges Leben zu führen. Zwar heiratet er nach einer jahrelangen Reise die Wirtshaustochter Lisbeth, doch eine glückliche Ehe ist es nicht. Ebenso muss seine Mutter trotz Peters Reichtum in Armut leben. Weil Lisbeth sich um Bettler kümmert, die trotz der Wachhunde an der Tür klopfen, erschlägt Peter sie im Zorn. Erst hier erkennt er, dass er falsch lebt und sucht nach Besserung. Aus der Misere hilft ihm wiederum das Glasweiblein. Peter nutzt seinen letzten Wunsch, um sich sein altes Herz zurück zu holen. Das gelingt mit einer List, ebenso ist Lisbeth wieder lebendig, das Kind, mit dem sie schwanger war, ist entbunden und wohlauf.
Sascha Hommer legt mit »Das kalte Herz« seine Adaption des gleichnamigen Märchens von Wilhelm Hauff vor. Das ist ein Teil des vielfach verfilmten »Wirtshaus im Spessart«, einer Rahmenhandlung, in die mehrere Binnenerzählungen wie eben »Das kalte Herz« eingebettet sind. Die Erzählung ist einer der Klassiker der Romantik, eine Geschichte, in der viele Standard-Motive der Epoche anklingen: Die Erzählung wird Märchen genannt (obwohl sie gar nicht mit »Es war einmal…« anfängt, sondern eher wie ein Reiseführer), ebenso fallen die mystischen, unheimlichen Motive und der Hang zu Sagen aus der Heimat auf. Zudem ist der Umstand, dass das Sehnen des Köhlers nach Glück und Geld in Selbstzerstörung und Katastrophe endet, aus der sich nur im letzten Moment ein Ausweg auftut, ein Motiv der Zeit.
Hommer, selbst im Schwarzwald aufgewachsen, gelingt es sehr gut, die märchenhafte Stimmung in Bilder zu übersetzen. Der Schwarzwald, den er zeichnet, ist nicht der Schwarzwald, den man zwischen Karlsruhe und Lörrach findet, dafür aber sehr wohl derjenige, den man sich bei Lektüre der Erzählung vorstellt. Die erdig-grüne und düstere Farbgebung vervollständigt das Bild und setzt die Stimmung der Erzählung. Der Wesenskern der Erzählung ist ganz hervorragend eingefangen, die Motive der Romantik und die dazu gehörende Schwingung sind im Comic präsent. Die Geister sind sehr gut gestaltet, und die oft ganzseitigen Darstellungen zu ihrer Einführung und Vorstellung sehr gelungen. Wobei: Ein größeres Format hätte diese Zeichnungen sicherlich besser zur Geltung gebracht.
Dagegen sind die Gesichter der menschlichen Figuren teilweise ein bisschen platt, was nicht gut tut. Die Mimik der Lisbeth zum Beispiel ist eher die einer modernen Frau, was von der sehr wichtigen Figur entfremdet. Und die Sprache der Dialoge ist zu großen Teilen derart einfach gehalten, dass sie läppisch wirkt.
Die Änderungen Hommers gegenüber dem Original sind nicht immer nachvollziehbar und teils aufschlussreich. So ist das Glasweiblein im Hauff’schen Original ein Glasmännlein. Hommer sagt im Interview, dass er mit der Einführung des Weibleins für Ausgleich in der Repräsentation der Geschlechter sorge und verweist darauf, dass schon Paul Verhoeven 1950 bei seiner Verfilmung die Rolle der Lisbeth ausgebaut habe. Da hat er Recht. Die Lisbeth des Märchens ist eine Randfigur, die erst kurz vor der Vermählung auftaucht, und nicht die von Anfang an präsente und handelnde Lisbeth des Comics – das sorgt über die tatsächlich nötige bessere Repräsentation der Geschlechter hinaus auch für eine dichtere Handlung.
Sascha Hommer: Das kalte Herz – Auszug 2
Mit dieser Änderung aber wirft Hommer gleichzeitig eine wichtige Komponente des Originals über Bord: Glasmännlein und Hollandermichel sind im Original Repräsentanten des positiven und negativen Vatertyps und bieten ein positives und negatives Bild von Männlichkeit. Es ist also keine Petitesse, die hier aufgegeben wird. Und dass die Repräsentanz von Frauen ausgerechnet über die positive – und letztlich langweiligere – Figur eingeführt wird, ist auf enttäuschende Art und Weise erwartbar. Eine »Holländermichaela«, wild und zynisch, wäre sicher interessanter gewesen – und die Leser hätten sie sicherlich zu goutieren gewusst.
Ein weiteres Beispiel ist die List, mit der Kohlenmunkpeter sein Herz zurückholen kann. Diese gelingt mit einer Idee und der Hilfe des Glasweibleins. Im Original hält ein gläsernes Kreuz des Glasmännleins den Hollandermichel im entscheidenden Augenblick zurück, bei Hommer ist es Rauch aus der Pfeife des Glasweibleins.
Noch ein Beispiel: Ganz am Ende der Erzählung hat Kohlenmunkpeter sein Herz, seine Gefühle und seine Lisbeth wieder. Der Reichtum, zu dem ihm der Hollandermichel verholfen hat, ist dagegen weg. Bei Hauff verhilft das Glasmännlein zu einem schönen Bauernhaus und schenkt später vier Rollen Taler, also einen nicht unerheblichen Geldbetrag. Hommers Glasweiblein dagegen verabschiedet sich von der jungen Familie mit einem schlecht gelaunten »das schafft ihr schon« und überlässt sie ihrem Schicksal. Was soll der Geiz? War die eine Seite, die es für die Einbettung des märchenhaften Endes gebraucht hätte, zu viel? Wenn ja, warum wird dann weiter vorne in der Erzählung viel Platz darauf verwendet, wie Peter zum korrekten Beschwörungsreim für das Glasweiblein kommt, also für eine Nebensache?
Wohlgemerkt, Hommer hat jedes Recht, einen Stoff zu ändern wie es ihm beliebt. Schließlich ist er der Autor des Comics und nicht Wilhelm Hauff. Zudem liegen die bisherigen Adaptionen wie Schichten um den Originaltext, so dass der Stoff längst zur Knetmasse für weitere Versionen geworden ist. Interessant sind die Änderungen, weil sie einen Blick auf den Autor beziehungsweise auf den Blick des Autors auf seine Leserschaft und deren Erwartungen offenbaren. Traut Hommer seinen Leser_innen nicht zu, Stoffe im Kontext ihrer Entstehungszeit zu rezipieren? Dass sie beispielsweise mit einem Kreuz als »Verteidungswaffe« gegen böse Geister nichts anfangen können oder wollen? Und warum belässt er den Stoff in seinem ursprünglichen historischen Kontext, wenn er modernisieren will? Hommer hätte die Erzählung ja auch in die heutige Zeit verlegen können und aus dem Köhler – damals ein Beruf, der im Begriff war, der Industrialisierung zum Opfer zu fallen – den Vertreter eines zur heutigen Zeit prekären Berufsstandes werden lassen. (Der Inhaber dieser Literaturseite, der freundliche Herr Hummitzsch, würde jetzt wohl rufen: »Übersetzende zum Beispiel!«).
Aber wie gesagt, das alles ist bei einer Adaption legitim. Und natürlich ist der Kern des Stoffs – die Suche des ungeschickten Helden nach Glück in einem mystischen Kontext – gewahrt und sehr gut umgesetzt. Wichtig ist: Wenn man das Comic in Unkenntnis der Erzählung liest, fehlt nichts. Und: Comics werden für Leser gezeichnet, nicht für Literaturkritiker.