Film

»Und sorbisch bleibe ich«

Bei uns hei´ßt sie Hanka | © Neue Visionen Filmverleih

Die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke beleuchtet in ihrem neuen Film »Bei uns heißt sie Hanka« die sorbische Identität abseits der Folklore. Ihr autobiografisch grundierter Dokumentarfilm macht die Tradition und Gegenwart des wendischen Lebens auf ansteckende Weise greifbar.

»Wenn man sich bei uns früher schmutzig gemacht hat, hieß es immer, loof nicht rum wie ne wend’sche Hanka!«, erinnert sich die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke in ihrem Dokumentarfilm »Bei uns heißt sie Hanka«. 1965 in Spremberg geboren, wuchs sie mit der sorbischen und wendischen Kultur auf. Also zumindest mit dem, was da noch war, denn mit dem Verbot der sorbischen Sprache durch die Nazis geriet die Kultur ins Hintertreffen.

Grit Lemke: Bei uns heißt sie Hanka. Mit Anna-Rosina Wjeselina, Ignac Wjesela, Hella Stoleckojc, Jurij Koch. 92 Minuten. Neue Visionen 2024.
Grit Lemke: Bei uns heißt sie Hanka. Mit Anna-Rosina Wjeselina, Ignac Wjesela, Hella Stoleckojc, Jurij Koch. 92 Minuten. Neue Visionen 2024.

Die Sorben und Wenden bilden die kleinste anerkannte Minderheit Deutschlands, etwa 60.000 Menschen fühlen sich ihr zugehörig, gut die Hälfte davon spricht die westslawische Sprache. »Deutsch im Kopf, sorbisch im Herzen«, so beschreibt ein älterer Sorbe gegenüber Lemke seine doppelte Identität. Die Christianisierung der Lausitz seit dem Mittelalter hat dazu geführt, dass sorbischsprachige Menschen Abwertung und Verfolgung im Alltag erfuhren. Der Siegeszug des Christentums begleitet den Rückzug der sorbischen Kultur ins Private. Erst nach dem Ende des Naziterrors organisierten sich Sorben und Wenden erstmals wieder in der Domowina, dem Bund der Lausitzer Sorben. Und doch brauchte es auch danach noch Jahrzehnte, bis dieses »vergessene Volk« auch wieder selbstbewusst und offen die eigene Kultur pflegte.

Grit Lemke: Kinder von Hoy. Suhrkamp Verlag 2023. 259 Seiten. 12,- Euro. Hier bestellen https://www.suhrkamp.de/buch/grit-lemke-kinder-von-hoy-t-9783518473290
Grit Lemke: Kinder von Hoy. Suhrkamp Verlag 2023. 259 Seiten. 12,- Euro. Hier bestellen.

Die in der Lausitz aufgewachsene Lemke machte zuletzt mit ihrem unkonventionellen autobiografischen Buch »Kinder von Hoy« auf sich aufmerksam. Darin ließ sie Oral History und Dokumentation, Kulturgeschichte und politische Prozesse in einem Erzählstrom zusammenfließen, um mit Familie, Freunden und Bekannten auf ihr proletarisches Leben in der Lausitzer Bergarbeiterstadt Hoyerswerda zurückzublicken. Das von Lemke selbst als dokumentarischer Roman bezeichnete Buch ist ein gleichermaßen stolzer wie schmerzhafter Blick zurück auf das Leben in einer Stadt, die wie kaum eine andere von den (leeren) Versprechungen und Transformationen des 20. Jahrhunderts geprägt ist.

Traditionelle Hochzeit: Hanka und Ignac zelebrieren ihren großen Tag in sorbischer Tracht. | © Neue Visionen Filmverleih
Traditionelle Hochzeit: Hanka und Ignac zelebrieren ihren großen Tag in sorbischer Tracht. | © Neue Visionen Filmverleih

In ihrem inzwischen auf verschiedenen Streaming-Plattformen abrufbaren Dokumentarfilm »Bei uns heißt sie Hanka« folgt die Regisseurin nun den Spuren der eigenen sorbischen Biografie, um die traumatische Geschichte und hoffnungsvolle Renaissance dieser Lebensart abseits von zweisprachigen Ortsschildern und wendischer Folklore festzuhalten. Auf der Basis von Erzählungen, Familienarchiven und alten Fotografien zeichnet »Gritka Lemkoweje« die Vielfalt dieser Kultur nach, die auf Dachböden und in Schubladen, in Liedern und Geschichten die Zeiten überdauerte.

Späte Ahnenforschung: Erst im Rentenalter macht sich Hobby-Imker Günter Paulisch auf die Suche nach seinen sorbischen Wurzeln. | © Neue Visionen Filmverleih
Späte Ahnenforschung: Erst im Rentenalter macht sich Hobby-Imker Günter Paulisch auf die Suche nach seinen sorbischen Wurzeln. | © Neue Visionen Filmverleih

Die Lausitz ist seit Jahrhunderten die Heimat der Sorben und Wenden, Lemke ist mit dieser Region im Osten Deutschlands biografisch eng verbunden. Hier hat sie sich in eine Gemeinschaft begeben, die seit Jahren ihre Wurzeln wiederentdeckt und belebt. Sie spricht mit Menschen aus allen Generationen, denen die sorbische Sache ein Anliegen ist. Da ist der alte Schriftsteller Jurij Koch, dessen Werk nahezu vergessen ist. Oder der Fußballfan Měto, der seine sorbischen Wurzeln im Gespräch mit seinem Großvater entdeckt und über sie den Weg aus der rechten Szene gefunden hat. Wie sich sorbischer Aktivismus gegen die Fremdenfeindlichkeit in der Region stemmt, wird auch am Beispiel der Aktivistin Hella Stoleckojc deutlich, die mit dem sorbischen Künstlerkollektiv Wakuum gegen den Rechtsruck in der Region auf die Straße geht.

Die angehende Juristin Anna-Rosina (Hanka) Wjeselina geht ihren eigenen wendischen Wurzeln auf den Grund. | © Neue Visionen Filmverleih

Im Mittelpunkt des Films steht die angehende Juristin Anna-Rosina (Hanka) Wjeselina, die über die sorbische Familie ihres Mannes – dem visionären Jungbauern Ignac, der mit trotzigem Stolz seine Identität vor sich herträgt – ein Bewusstsein für die eigenen wendischen Wurzeln entwickelt. Der Film begleitet die Hochzeit des jungen Paares und die ersten Jahre auf dem Familienbauernhof, auf dem 1945 der Domowina gegründet wurde.

Generationenfrage: Beim Gespräch mit seinem Großvater erfährt Měto, dass Sorbisch-Sein früher eine Menge Probleme mit sich brachte. | © Neue Visionen Filmverleih
Generationenfrage: Beim Gespräch mit seinem Großvater erfährt Měto, dass Sorbisch-Sein früher eine Menge Probleme mit sich brachte. | © Neue Visionen Filmverleih

»Die Sorben gibt es genauso wenig wie die Deutschen«, macht Jurij Koch im Gespräch mit Lemke deutlich. Ihr Film ermöglicht eine Annäherung an Menschen, die irgendwann festgestellt haben, dass sie mehr als eine Identität haben und sich auf die Suche nach sich selbst gemacht haben. Die sich irgendwann an die fremd klingenden Lieder ihrer Großeltern oder flotte Sprüche von Bekannten erinnern und ihrer Herkunft auf den Grund gehen.

Wer schön sein will…: Der Haarschmuck der klassischen sorbischen Tracht sieht wunderschön aus, macht aber auch eine Menge Arbeit. | © Neue Visionen Filmverleih
Wer schön sein will…: Der Haarschmuck der klassischen sorbischen Tracht sieht wunderschön aus, macht aber auch eine Menge Arbeit. | © Neue Visionen Filmverleih

»Ich bin sorbisch. Und sorbisch bleibe ich«, sagt eine ältere Sorbin in Lemkes Film. Was das abseits von Folklore genau heißt, gestern wie heute, dem geht Lemkes Film facettenreich und authentisch nach. Sie begegnet Menschen, die Halt und Zugehörigkeit in einer Kultur finden, die jahrelang nur im Privaten gepflegt wurde und inzwischen um internationale Anerkennung und Unterstützung kämpft. Wie ambivalent das ist, zeigt sich in den Gesprächen mit Ignac Wjesela, der nichts davon hören will, Teil einer Minderheit zu sein.

Traditionelle Hochzeit: Hanka und Ignac zelebrieren ihren großen Tag in sorbischer Tracht. | © Neue Visionen Filmverleih
Traditionelle Hochzeit: Hanka und Ignac zelebrieren ihren großen Tag in sorbischer Tracht. | © Neue Visionen Filmverleih

»Bei uns heißt sie Hanka« ist der erste abendfüllende wendische Eintrag in die Filmgeschichte und wird damit zweifellos selbst zum sorbischen Kulturgut werden. Lemke weiß das, sie hat gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Andy Räder die Anthologie »Sorbische Filmlandschaften« herausgegeben. Darin arbeiten die Autor:innen den kolonialen Blick auf die sorbische Kultur im Film heraus.

Grit Lemke / Andy Räder (Hg.): Sorbische Filmlandschaften. Serbske filmowe krajiny. Verlag Bertz + Fischer 2024. 416 Seiten, 43 Fotos, 2 DVDs. 39,- Euro. Hier bestellen https://www.bertz-fischer.de/sorbischeFilmlandschaften
Grit Lemke / Andy Räder (Hg.): Sorbische Filmlandschaften. Serbske filmowe krajiny. Verlag Bertz + Fischer 2024. 416 Seiten, 43 Fotos, 2 DVDs. 39,- Euro. Hier bestellen.

Den hat Lemkes Film ebenso wenig wie einen musealen Charakter. Vielmehr ist »Bei uns heißt sie Hanka« ästhetisch anspruchsvoll, erzählerisch ansteckend und lebendig gestaltet. Diese filmische Liebeserklärung vertraut sich Sprache, Musik und Traditionen der Sorben an. Der Rhythmus der Erzählung ist wie der vom Tagebau gezeichnete Landstrich, vor dem sich Lemke in ihrem Film »Gundermann Revier« verneigte, brüchig, melancholisch und in seiner Verletzlichkeit wunderschön. Zugleich wird mit der Verbindung zum Tagebau die prekäre Situation der Sorben in einem globalen Kontext greifbar. Wo Orte weggebaggert oder anderweitig den Profiten den Wirtschaftskreisläufen geopfert werden, geraten indigene Kulturen unter die Räder.

Grit Lemke baut mit ihrem Film der sorbischen Kultur kein totes Denkmal, sondern lässt sie in all ihrem Reichtum (be-)greifbar und lebendig werden. »Manche Sprachen lernt man, um das Fremde zu verstehen«, sagt sie im Laufe des Films einmal, in dem sie auch ihre eigenen sorbischen Wurzeln erkundet, aber manchmal müsse man eine Sprache lernen, »um sich selbst zu verstehen.« Indem sie die Zuschauer an diesem Prozess teilhaben lässt, wird der Wert dieser kulturellen Identität (be-)greifbar.