Stefanie Ochel (44) übersetzt seit 2016 aus dem Englisch, Niederländischen und gelegentlich auch aus dem Französischen. Einen schöneren Beruf als Übersetzen gibt es für sie nicht, die Bedingungen allerdings seien schwierig. Als Literaturübersetzerin sorgt sie sich um den Einfluss von KI auf Lesegewohnheiten und Erwartungen an übersetzte Texte.
Stefanie Ochel, was treibt Sie an, was motiviert Sie?
Die Herausforderung und die Freude daran, mich richtig in einen Text zu vertiefen, mich einzudenken, einzuhören und einzufühlen, Worte und Klang für kluge Gedanken und starke Bilder, für Gefühle und Witz zu finden, an Lösungen für vermeintlich Unübersetzbares zu tüfteln, und auch: immer Neues zu lernen. Die Abwechslung, die es bedeutet, in andere Sprachrollen zu schlüpfen. Die Vielfalt – der Stimmen, Themen, Schauplätze, Ausgangssprachen, Erzählformen. Oft auch das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und zu schaffen, Perspektiven und Geschichten, die gehört werden sollten, zugänglich zu machen. Es macht mich glücklich, jeden Tag mit Sprache arbeiten zu dürfen. Es kommt nicht oft vor, dass ich aufstehe und gar keine Lust habe zu übersetzen.
Welche Idealvorstellungen zum Übersetzer:innenberuf hat sich bei Ihnen bestätigt oder wo wurden Sie eines Besseren belehrt?
Als eher Spätberufene bin ich nicht ganz blauäugig in den Beruf gegangen, überall war zu lesen, dass damit kein Geld zu machen ist. Zu meinem Idealbild gehörte die Freiheit, zu arbeiten, wann und wo ich will. Das mit dem Wo hat sich auf jeden Fall bestätigt, ich nutze die Ortsungebundenheit oft und gern – ich verbringe gerne ein paar Wochen im Jahr in Übersetzerhäusern und arbeite auch gerne im Zug, in der Bibliothek, im Park, im Café. Das mit dem Wann klappt nur bedingt, denn im Grunde arbeite ich doch fast die ganze Zeit, aber immerhin in wechselnder Kulisse.
Aktuelle Übersetzungen von Stefanie Ochel
Marlowe Granados: Happy Hour, Hanser, 2024. Angelo Tijssens: An Rändern, Rowohlt, 2024. Elizabeth McKenzie: Der Hund des Nordens. Dumont, 2024. Nina Polak: Zuhause ist ein großes Wort, Mare, 2023. Valentijn Hoogenkamp: Ich und Louis Claus, Hoffmann & Campe, 2023.
Wie gut können Sie von der Übersetzungsarbeit leben beziehungsweise wie wichtig sind Nebeneinkommen durch Gutachten, Literaturvermittlung, Autor:innentätigkeiten sowie Lesungen oder Moderationen?
Es variiert, aber mein Bruttogewinn als Freiberuflerin liegt meist bei maximal der Hälfte des Durchschnitts-Bruttogehalts von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland – bei konstanter Auftragslage und oft über 50 Arbeitsstunden pro Woche. Da ich mir Miete und Co. mit jemandem teile, kann ich davon leben, aber Rücklagen und gescheite Altersvorsorge sind kaum drin. Gutachten sind zeitaufwändig und meist sehr schlecht bezahlt, taugen also kaum als Nebenverdienst, können aber manchmal (direkt oder über Umwege) zu neuen Aufträgen führen. In den letzten Jahren hatte ich zusätzliche Einnahmen durch Übersetzungsworkshops und Veranstaltungen. Zum Glück gibt es Stipendien (zum Beispiel vom Deutschen Übersetzerfonds), ohne die es finanziell noch deutlich düsterer aussähe – und auch die sind aktuell durch Budgetkürzungen massiv bedroht. Ich hatte Glück, dass ich fast von Anfang an für einige Verlage übersetzen konnte, die die Gemeinsame Vergütungsregel unterzeichnet haben und Übersetzer:innen fair (d.h. ab dem 1. Exemplar) an den Buchverkäufen beteiligen. So kommt im Frühjahr noch mal ein bisschen was zusammen, aber das ist kaum zu kalkulieren, weil wir im laufenden Jahr keinen Überblick über die Zahlen haben.
Wie weit sind Ihre Übersetzungshonorare von einem Ihrer Meinung nach fairen Honorar entfernt?
Viele Texte erfordern vor der Abgabe mindestens drei komplette, gründliche Durchgänge (Rohfassung und mehrere Überarbeitungen), später kommen noch die Lektoratsdurchläufe und die Fahnenkorrektur hinzu. Je nach Schwierigkeitsgrad, Gestaltungs- und Rechercheaufwand müssten die Honorare für literarische Texte im Schnitt mindestens doppelt so hoch sein wie jetzt, um die Arbeitszeit auch nur annähernd angemessen zu vergüten. Bei vielen Projekten ist der Verhandlungsspielraum nicht groß, aber immerhin bin ich inzwischen öfter in der Position, dass ich mir bestimmte Untergrenzen setzen kann und notfalls auch bereit bin, ein ansonsten tolles Projekt abzulehnen, wenn das Honorar den Anspruch des Texts so gar nicht widerspiegelt oder ich es mir für das angebotene Honorar schlicht nicht leisten kann.
Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance?
In unserem Beruf verschwimmen die Grenzen leicht, was auch viel mit den Arbeitsbedingungen (dem Zeitdruck) zu tun hat, aber sicher auch damit, wie stark sich viele von uns mit dem Beruf identifizieren. Hinzu kommt, dass wir in unserer Branche eng vernetzt sind, über diverse Kanäle fast täglich Kontakt haben, Übersetzungsprobleme oder berufspraktische Fragen diskutieren, und dass viele Kolleg:innen auch Freund:innen sind. Dementsprechend gibt es kaum Tage, an denen das Übersetzen nicht Thema ist. Wenn ich einen Text mag, arbeite ich gerne jeden Tag daran, aber in manchen Phasen, die auch mal Monate dauern, wird es zu viel, da werden die Abende und Wochenenden durchgearbeitet. Diese Phasen möchte ich reduzieren, das ist nicht gesund und schadet der Kreativität.
Wenn Sie einen Wunsch als Übersetzerin frei hätten, welcher wäre das?
Ein besseres Verständnis von Übersetzen als eigene Kunstform und unverzichtbare Kulturpraktik, damit einhergehende größere Wertschätzung und angemessene Honorierung. Das klingt wie drei Wünsche, gehört aber meiner Meinung nach zusammen.
Wenn Sie noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie wieder Übersetzerin werden?
Ich glaube schon. Für mich gibt es keinen schöneren Beruf.
Wie würden Sie die Lage Ihrer Branche beschreiben?
Es scheint gerade wenig Grund für Optimismus zu geben.
Wie sehr sorgt Sie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz?
Durchaus ein bisschen. Nicht weil ich befürchte, dass die KI in absehbarer Zeit – oder überhaupt je – Übersetzungen produzieren könnte, die einem literarischen Werk gerecht werden, erst recht keinem sprachlich und stilistisch originellen, anspruchsvollen, formal und inhaltlich interessanten, komplexen Original. Ich bin zwar der Meinung, dass KI für manche Zwecke ein nützliches Werkzeug darstellt und dass sie sinnvoll angewendet – und unter Beachtung des Urheberrechts! – bestimmte schöpferische Prozesse im Idealfall unterstützen und beschleunigen kann. Was mich aber als Literaturübersetzerin besorgt, ist, was KI-generierte/gestützte Texte mit Lesegewohnheiten und mit den Erwartungen an Literatursprache, insbesondere an übersetzte Texte machen. Dass sich Menschen beim Lesen von Büchern immer mehr an konventionelle, uninteressante, leicht zu konsumierende Spracherzeugnisse gewöhnen. Dass irgendwann alles gleich klingt – und sich niemand daran stört. Dass die Verlage in Zukunft (einige fangen schon damit an) Bücher lieber kostengünstig mit KI übersetzen lassen und dann Übersetzer:innen oder Lektor:innen (für einen Bruchteil des üblichen, jetzt schon zu niedrigen Honorars) nur noch damit beauftragen, die gröbsten Fehler auszumerzen und den Text zu glätten. Ohne zu erkennen, dass diese »Redaktionsarbeit« zeitaufwändiger ist als eine eigene Übersetzung anzufertigen – von zermürbend ganz zu schweigen. Und dass eine KI-Vorlage die Kreativität lähmt und am Ende im besten Fall ein Text rauskommt, dem man zwar folgen kann, dem aber jede Seele und Reibung im guten Sinne fehlt. KI steckt außerdem voller statistischer Bias. Ich hoffe, dass Büchermenschen und Lesepublikum nicht der Illusion erliegen, dass, indem man den Menschen aus der Gleichung rausnimmt, am Ende eine irgendwie neutralere Übersetzung herauskäme, geschweige denn eine von künstlerischem Wert, die einem Original sinnlich, geistig, klanglich, emotional gerecht wird. Klar, auch uns unterlaufen Fehler, nicht alle menschlichen Lösungen sind automatisch »kongenial«, und über Entscheidungen lässt sich streiten, aber zumindest beruhen unsere Entscheidungen auf einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Text – einem Einfühlen, Einhören, Verstehen, was man von der KI nicht behaupten kann. Wenn ich mal den ersten Satz aus dem Manifest für menschliche Sprache des Arbeitskreises Literaturübersetzen und KI zitieren darf: »Menschliche Kreativität, sinnliche Erfahrung, Individualität, Weltwissen und das Bedürfnis nach Austausch sind für die Lebendigkeit von Sprache essenziell und erschöpfen sich nicht in zerlegbaren und berechenbaren Prozessen.«
Wie steht es um die Anerkennung bei Verlagen, den Kritiker:innen, dem Buchhandel und den Leser:innen?
Vieles ist schon besser geworden, auch dank Plattformen wir tralalit.de und vieler engagierter Kolleg:innen, die daran arbeiten, unsere Arbeit sichtbarer und begreifbarer zu machen, aber es gibt noch viel Luft nach oben, insbesondere, was Kriterien für eine gelungene Übersetzung angeht (die über Spitzfindigkeiten, reine Geschmacksfragen, das Herauspicken von Einzelentscheidungen hinausgehen). Diese Kriterien variieren von Genre zu Genre und von Werk zu Werk, von geschmeidig/flüssig lesbar zu bewusst Reibung erzeugend/sprachbewegend. Aber es ist sehr schön zu sehen, wie viele Buchrezensent:innen etwa auf Instagram die Übersetzenden in ihren Besprechungen nicht nur erwähnen, sondern manchmal auch darüber reflektieren, welchen Anteil die Übersetzung an ihrer Leseerfahrung und der Wirkung eines Werks hatte.
[…] Fragen, die Teil eines Fragebogens waren, den ich Gesine Schröder, Katy Derbyshire, Milena Adam, Stefanie Ochel, Odile Kennel und Andreas Jandl zugeschickt […]